Tom Bleiring

Schattenwelten II


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      In der Klappe seines Kofferraumes steckte der Spiegel, noch immer mit dem Eischussloch in der Mitte. Selbst der Aufprall hatte den Spiegel nicht gänzlich zerstören können.

      Duncan wusste, dass es wenig Sinn gemacht hätte, jetzt auf die andere Seite überzutreten, um sich umzusehen. Die Schattenbreite war eine Parallelwelt, glich aber nicht der Realen.

      Wo sich in der realen Welt Hochhäuser erhoben, mochte sich in der Schattenbreite ein Moor oder kahle Landschaft befinden.

      Er sah hinauf zum Hochhaus, zog dann den Spiegel aus dem Heck seines Autos und verstaute diesen im Kofferraum. Dann fuhr er ins Zentrum Moskau‘s.

      Die Niederlassung der Agentur verbarg sich hinter der Fassade einer chemischen Reinigung, die von einem alten Chinesen geführt wurde.

      Xian, so hieß der Alte, sah auch so aus, als hätte er bereits zwei Leben gelebt.

      Er war klein, wie viele Chinesen, besaß kaum noch Haar auf dem Kopf und war runzlig und faltig, wie es sich für einen Greis gehörte. Auf seiner Nase saß eine dicke Hornbrille, die seine Augen extrem vergrößerte und ihn fast glupschäugig aussehen ließ.

      Duncan hatte ihn vor einem Jahr kennengelernt und musste einmal mehr feststellen, dass der äußere Schein bei einem Wesen aus der Schattenbreite sehr täuschen konnte.

      Xian besaß die Schnelligkeit einer Kobra und die Wendigkeit eines Mungos, wenn es darauf ankam.

      Außerdem war er ein Zombie.

      Wie Duncan später erfuhr, hatte Xian unter Mao am langen Marsch teilgenommen.

      Er war in einem Gefecht getötet worden und fand sich kurze Zeit später in der Schattenbreite wieder, wo er sein zweites Leben begann.

      Niemand konnte erklären, wie so etwas geschehen konnte, doch Xian fand sich recht schnell zurecht.

      Ihm schien es nichts auszumachen, dass er gelegentlich Körperteile verlor und nach Mottenkugeln zu riechen begann.

      Duncan betrat das Geschäft und ging zum Tresen, von wo aus Xian wie ein kleiner König über sein Reich herrschte.

      >>Mein Auto hat ein bisschen was abgekriegt, << sagte er zu dem alten Mann.

      >>Man soll sich bitte darum kümmern, dass es repariert wird. <<

      Xian nickte.

      >>Hatten sie Erfolg heute? , << fragte er Duncan.

      Sein chinesischer Akzent ließ seine Worte schräg und holprig erscheinen.

      >>Wie man es nimmt, << antwortete Duncan.

      >>Schick den Eltern des Jungen, der verschwunden ist, eine anonyme Mitteilung darüber, dass der Täter gefunden und ausgeschaltet wurde. Vielleicht tröstet sie das etwas über ihren Verlust. <<

      >>Ist es klug, diesen Leuten das zu sagen? << Xian runzelte zweifelnd die Stirn.

      >>Besser, als sie im Ungewissen zu lassen, << erwiderte Duncan und verschwand zwischen den Unmengen an Kleidungsstücken, die hinter dem Tresen hingen.

      Durch eine geheime Pforte im hinteren Teil des Geschäftes gelangte er in einen Büroraum, in dem sich einige Personen aufhielten.

      Drei davon kannte er, denn es waren Mitarbeiter, die er selbst aus London mit hierher gebracht hatte.

      Den vierten Mann kannte er dagegen nicht, weshalb er direkt auf diesen zutrat und sich vorstellte.

      >>Duncan MacMannus, << sagte er freundlich, >>mit wem habe ich das Vergnügen? <<

      Der Mann war um die Vierzig, etwa so groß wie Duncan und hatte einen Vollbart.

      Sein Kopf dagegen glänzte wie eine Bowlingkugel.

      >>Sergej Chekov, ebenfalls erfreut, << erwiderte der Mann und strich seinen grauen Anzug glatt.

      >>Ich bin Repräsentant der hiesigen Volkskammer. <<

      Duncan lächelte ihn an, um seine Unwissenheit über die örtlichen politischen Gegebenheiten nicht sofort zur Schau stellen zu müssen.

      >>Ich gehöre zur Regierung der Moskauer Schattenbreite, wenn sie so wollen, << erklärte Chekov kühl.

      >>Und wir sind nicht erfreut darüber, dass sie ohne unsere Genehmigung sich hier niedergelassen und eingerichtet haben. Wir haben eine Agentur hier vor Ort. <<

      >>Eine Agentur ist die Agentur, Mister Chekov, << antwortete Duncan und legte seinen Mantel ab.

      >>Es gibt nur eine Agentur für die gesamte Schattenbreite, Verehrtester, und die untersteht seit Kurzem mir. Alle lokalen Leiter wurden darüber informiert und keiner legte dagegen Einspruch ein.

      Nicht einmal Moskau, wenn ich mich recht erinnere. <<

      >>Die frühere Regierung war sehr liberal eingestellt, << verkündete Mister Chekov.

      >>Außerdem war man, nun ja, zu sehr angetan von ihrem Erfolg über den Dunklen Meister, um sich ihnen in den Weg zu stellen. <<

      >>In den Weg stellen? , << wiederholte Duncan verblüfft.

      >>Das ist sehr rücksichtsvoll, auch wenn man bedenkt, dass wir alle in die gleiche Richtung gehen sollten und uns so gar nicht im Wege stehen können. <<

      Mister Chekov schien nicht sehr amüsiert über das zu sein, was Duncan sagte.

      >>Rechnen sie nicht mit der Unterstützung durch lokale Sicherheitskräfte, << erwiderte er erzürnt.

      >>Ihre Befugnisse sind noch nicht durch unsere Regierung abgesegnet worden.

      Sie haben hier keinerlei rechtliche Grundlagen für ihre Aktionen, egal wie diese auch aussehen. <<

      Duncan sah kurz zu seinen Mitarbeitern, die sich um Mister Chekov positioniert hatten.

      >>Ist das so? , << fragte er.

      >>Dann sag ich ihnen jetzt mal was, Sergej. Sehen sie diese jungen Männer? <<

      Er deutete auf seine Mitarbeiter im Raum.

      Chekov ließ seinen Blick über diese schweifen und erwiderte:

      >>Solch dramatische Auftritte schüchtern mich nicht ein. Ich war selbst einige Jahre Agent, ich kenne diese Spielchen. Scheinbar gehört Einschüchterung noch immer auf den Lehrplan eines jungen Agenten? <<

      Er lächelte, doch es war ohne jede Spur von Humor.

      >>Ich wollte ihnen doch nicht drohen, << erwiderte Duncan.

      >>Ich wollte ihnen nur eine Sache klar machen, nämlich dass diese jungen Herren die neue Agentur verkörpern, einen Dienst, der sich an das Gesetz unserer Welt hält.

      Wir sind keine Verbrecher mehr, keine Erpresser und Diebe.

      Die neue Agentur dient der Schattenbreite und ihren Bewohnern.

      Wir verfügen über die Mittel, unser Tun geheim zu halten vor den Augen der realen Welt.

      Ich verstehe selbstverständlich die Besorgnis der Moskauer Oberen, aber sie ist völlig unbegründet.

      Wir verwüsten keine Gebäude, wir töten nicht aus einer Laune heraus und versuchen auch nicht, jemanden gegen seinen Willen zu etwas zu bewegen.

      Aber wir vertreten das Gesetz! Und das gilt überall auf der Welt, sowohl auf unserer Seite, wie aber auch auf der anderen. <<

      >>Ich wiederhole es gerne nochmals; sie haben hier keinerlei Befugnisse, << fuhr Mister Chekov dazwischen.

      >>Sie dürfen sich hier nicht als Polizei betätigen, ganz gleich, was sie bisher bewerkstelligt haben.

      So lange unsere Regierung ihnen nicht diese