Michael Fischer D.

Seifenoper


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hätte.

      „Harry Gundlach vom Magazin aus Hamburg, Herr Franke-Welser. Unter diesem meinem Namen waren wir auch verabredet.“

      Franke-Welser, immer noch wie leergepumpt, zuckte mit den Schultern und ließ dem Reporter artig den Vortritt. Die alten Fernsehhasen hatten noch Manieren.

      Franke-Welser hatte die sechzig bereits überschritten, sich jedoch dank regelmäßiger Massagen, Wald- und Wiesenläufe prima gehalten, dachte Gundlach neidisch. Und fühlte, wie sein Bauchansatz unangenehm beim Stufensteigen wabbelte.

      Dann bekam Franke-Welser ein Stück Stoff des Sakkos des Reporters zu greifen und flüsterte:

       “Was war denn nun mal wieder unser Thema, Herr? Herr?“

      „Gundlach. Harry Gundlach. Vom Magazin aus Hamburg. Unser Thema? Aber Herr Franke-Welser! Unser Thema, das sind Sie und Ihre Produktionen und die Schwierigkeiten, die derzeit am Horizont der gesamten deutschen und europäischen Fernsehunterhaltung drohen!“

      Dräuen hatte er beinahe gesagt, weil er das so am liebsten hinschrieb.

      „Der Rückgang der Zuschauerzahlen! Das Ausbleiben der Werbetrailer. Der finanzielle Absturz. Undsoweiter, undsofort.“

      „Rückgang? Niedergang? Probleme?“, echote AFW, wie er in der Branche genannt wurde, und tat baff. „Aber mein Herr, Herr Gundlach. Probleme haben wir mitnichten.“

      Wir! Dabei machte er eine schwärmerische Handbewegung, drehte sich einmal um seine eigene Achse, wohl, um auf die Dutzenden TV-Geräte und Breitwandmonitore hinzu weisen, die hier in der Eingangshalle seines Anwesens allesamt kunterbunt unter Strom standen und stumm vor sich hinflimmerten.

      „Sehen Sie sich einfach um. Schauen Sie in meine Sendungen. Hier“, und wieder diese prahlerische Handbewegung, „sehen Sie alles, was meine Firma derzeit zu bieten hat, livehaftig und in Schnürsenkel-Aufzeichnungen. Schnürsenkel? Kennen Sie den Begriff aus unserer Branche? Nun, so nennt man auch die Endlosschleifen im Jargon. Lustig, nicht wahr?“

      Ja, ja, lustig, nickte der Reporter und besah sich die TV-Bescherungen, während der Produzent wie ausgeknipst verschwunden war, wie in den Kulissen verloren. Woraufhin eines von Franke-Welsers blonden, blutjungen Dingern durch den Raum huschte, ohne Gundlach nur eines Blickes zu würdigen.

      Auf den Monitoren, acht, neun, zehn an der Zahl, sah Gundlach Ausschnitte aus Welsers televisionären Schaffen, tonlos, stumm, doch in allen Farben des Regenbogens glühend: Dicke Sänger wiegten sich vor Fachwerk und Brunnen und blühenden Geranien; Nurejew selig als sterbender Schwan auf einer leeren Bühne und nebenan rockte tatsächlich Rod Stewart über die Bretter einer Open-Air-Szenerie. Daneben tobten Schlachtenszenen, Männer meuchelten einander von Pferden aus, wohl aus der Abteilung Historie kompiliert, während auf einem anderen Bildschirm barbusige Blondinen einander beschmusten. Nachtprogramm.

      Auch Wettervorhersagen hat Franke-Welser in seinem TV-Portfolio, eine lange Blondine mit hervorstechendem Busen wies eben neckisch auf ein Hoch, als ob es ihr persönliches wäre.

      Endlich hatte der Reporter auf einem weiteren Großbildschirm den großgewachsenen Ronald Akkermann, von aller Welt nur Ronny genannt, entdeckt. Ronny war auch eine von Franke-Welsers Entdeckungen, Schöpfungen, ja künstlichen Kreationen. Ronny geisterte seit über einem Vierteljahrhundert unverwüstlich, unangreifbar und unbekümmert über seine vom Vorabend bis ins Hauptabendprogramm ausschweifende Unterhaltungssendung mit dem sprechenden Titel „Livehaftig, Euer Ronny!“ Ein stundenlanger Programm-Mix aus Spielen, Rätseln, Schlagern, Artistik, Witzen, Wetten und Karaoke-Gesang.

      Auf dem Riesenbildschirm sah Gundlach deutlich, wie alt der Junge geworden war, runzlig und fahl und schon ein wenig fett und schmierig. Schmuddelig. Das Haar war strähnig wie eine schlechte Clowns-Perücke an das Haupt geklebt, das schmale Menjou-Bärtchen wie auf die Oberlippe gemalt, die Augenbrauen schienen nachgefärbt und wucherten die Stirn empor, die tiefen Hautporen wurden nur schlecht von der Schminke verdeckt. Mit den langen, von irgendeinem Bühnenfigaro schwarzgefärbten und ondulierten Locken erinnerte er Harry immer an den guten, alten Abi Ofarim, freilich an einen Abi Ofarim im Rentenalter.

      Irritierend drang Ronnys gellende Stimme plötzlich in den multimedialen Raum, Franke-Welser hatte dafür wohl ein mysteriöses Kommando per Fernbedienung gegeben.

      „Jawoll“, hörte man Ronny sagen und „prima gemacht. Doch jetzt zu unserem nächsten Spiel, der nächsten Wette“, schnitt er dem auf Abgang programmierten Kandidaten schnöde das Wort ab, und wandte sich mit mürrischer Miene einem neuen Gast zu. Als Franke-Welser wie aus dem Nichts wieder an Gundlachs Seite erschien, zuckte der kurz zusammen, doch der Reporter hatte wirklich nichts Unrechtes getan. Hatte nur geschaut und sich seine Gedanken dazu gemacht.

      „Na, mein Lieber“, meinte Franke-Welser zu Gundlach und berührte ihn dabei wieder am Arm, so sanft, als hätte ihn eine Katze gestreift. Pfoten weg, dachte Gundlach und schüttelte sich ein wenig.

      „Der ist immer noch unser Renner. Ich meine, Ronny macht seine Sache doch immer noch gut, finden Sie nicht auch?“

      Doch der Reporter war zu abgelenkt, um Franke-Welser zu antworten. Auf dem Bildschirm tat sich nämlich Ungewöhnliches, ja Ungeheuerliches.

      Aus der Drehtür trat der nächste Kandidat, ein Mann, den Ronny eben noch als Mehdi angekündigt hatte, ein Türke oder Algerier oder Marokkaner mit deutschem Pass oder so. Der war in einen weiten weißen Kaftan gehüllt, öffnete den wie ein Exhibitionist, man sah einen fetten Gürtel blitzen, an dem unzählige gleichförmige Dinge klebten, die aussahen wie metallene Säckchen oder Schachteln. Sahen aus wie, na wie denn?, fuhr es Gundlach durch den Sinn.

      Leicht panisch blickte er zu seinem Gastgeber, dem berühmten TV-Produzenten Alf Franke-Welser, doch der starrte auch nur stumm auf das Geschehen auf dem Bildschirm.

      „Was gilt die Wette“, ließ sich jetzt Mehdi aus dem Studio vernehmen, „wenn ich mich jetzt mitsamt diesem ganzen Scheiß in die Luft...“

      Die folgende Detonation schluckte nicht nur Mehdis letzte Worte, sondern ließ auf dem Fernseher einen bunten Feuerball aufleuchten, rot, weiß, rot, weiß, purpurn glimmte der Bildschirm, ehe ein grauer Schleier aus Rauch und Staub und Kummer ihn verdunkelte. Darauf das Insert: „Für die Bild- und Tonstörungen bitten wir um Entschuldigung.“

      Entgeistert von dem, was er auf dem Bildschirm zu sehen bekommen hatte, hatte Franke-Welser Harry Gundlach seines Anwesens verwiesen. Die Blonde hatte als seine Begleitung fungiert. Er solle sich morgen noch einmal melden, hatte Franke-Welser gehaucht, morgen, wenn er Rücksprache mit dem Sender getätigt hätte. Wenn er mehr über das wüsste, was sie beide eben erlebt hatten.

      Harry hatte sich in einem Hotel in der Saarbrücker Innenstadt ein Zimmer reserviert, das er eben bezogen hatte. Der Fernsehapparat lief bereits und auf dessen Hintergrund in einer Art Endlosschleife das Attentat. Im Vordergrund saßen Teilnehmer einer Diskussion und brabbelten Unverständliches, weil Gundlach den Ton weggedreht hatte.

      Zunächst richtete er sich in dem Hotelzimmer ein. Dann nahm er ein Bier aus dem Kühlschrank und trat ans Fenster, einen Blick auf die Landschaft zu werfen. Unten mäanderte die Saar träge in ihrem Bett, auf der anderen Seite des Flusses sah man das Saarbrücker Schloss am Hang hocken. Darin ist das Landesparlament untergebracht, erinnerte er sich. Im Staatstheater, hatte er gesehen, als er vorbei fuhr, spielte man Becketts Warten auf Godot, den guten, alten Absurd-Klassiker. Vielleicht würde er sich bei dem heute Abend noch zerstreuen? Sonst gibt’s heute nichts mehr zu tun, rien a faire, herrlich, wie lakonisch das Stück beginnt.

      Als die Schrift Ronny lebt! – Das Ärztebulletin morgen – Ronny lebt! – Das Ärztebulletin morgen über das Bild des TV-Geräts lief, sprangen die Diskutanten wohl auf Kommando des Aufnahmeleiters auf und umarmten einander wie Fußballer beim Torschuss.

      Harry drehte den Ton wieder lauter. Ein Nachrichtensprecher wurde in die laufenden Sendung geschnitten, der mit Routine-Stimme das eben gezeigte noch einmal wiederholte und berichtete, dass der beliebte Moderator an einen unbekannten Ort, in eine verschwiegene Prominentenklinik verbracht worden