Michael Fischer D.

Seifenoper


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den in den nächsten Tagen erreichen könnte.

      Über Franke-Welser? Dann fiel ihm Manni Jaeger in München ein, auch Prominenten-Jaeger genannt. Der hatte für die größte Boulevard-Zeitung die Klatschspalte bedient, bis er wegen Steuerhinterziehung in den Knast wanderte.

      Ob der wohl wieder draußen in Freiheit ist? Promi-Jaeger jedenfalls hatte immer beste Kontakte. Ich glaube, den Beckett-Abend lasse ich sausen und mach` mich auf zu einer Sause in einer obskuren Bar. Wo langbeinige Damen in Anführungszeichen und sonst wenig am Leib auf Barhockern lungerten. Davon, erinnerte er sich, gab`s in der Saarbrücker Innenstadt ein halbes Dutzend. Überhaupt gab es in Saarbrücker Kneipen viel zu lachen, weil die Ureinwohner sich immer so tüchtig französisch geben.

      Ich bin blind, mein Gott, ich bin blind. Vater unser, der du bist im Himmel, geheiligt werde dein Name, zu uns komme dein Reich. Und taub und taub und taub. Dein Wille geschehe, wie im Himmel, also auch auf Erden.

      Wie in alten Messdiener-Zeiten schwappt das Urgebet der Christenheit durch Ronnys Hirn. Blind und taub und lahm.

      Unser tägliches Brot gib uns heute und vergib uns unsere Schuld, wie auch wir vergeben unseren Schuldigern.

      Ronny kann weder sehen, noch hören noch seinen Körper bewegen. Nur noch beten.

      Und führe uns nicht in Versuchung sondern erlöse uns von dem Übel. Amen.

      Mach einfach deine Augen auf, befielt Ronny seinem eigenen Leib, und höre einfach und bewege deinen Körper, fauler Sack.

      Und führe uns nicht in Versuchung sondern erlöse uns von dem Übel. Amen. Und führe uns nicht in Versuchung. Versuchung. Versuchs einfach!

      Langsam erscheint ein Schimmer unter den geschlossenen Augen, ein lichtdurchflutetes Zimmer, Ronny muss nur noch die Augen öffnen und die Linsen fokussieren, dann sieht er, dass er in einem Krankenzimmer liegt. Liegt. Und fest verbunden ist. Und angebunden.

      Und führe uns nicht in Versuchung.

      Wie ein obszöner Refrain fährt diese Zeile immer wieder durch sein Hirn. Und führe uns nicht in Versuchung, sondern.

      Kann er sprechen?

      Wo? Bin? Ich?

      Da hört er ein Rascheln gleich neben dem Ohr. Ronny kann auch wieder hören.

      Und führe uns nicht in Versuchung.

      Ein Schatten tritt daraus hervor.

      Ohr. Hervor.

      Eine Schwester in raschelnder Kluft. Kluft? Tracht! Die sich zärtlich lächelnd zu ihm nieder bückt. Und etwas sagt, was Ronny nicht verstehen kann. Er ist zu sehr eingewickelt. Kommt ihm so vor. Mull um Kopf und Arme und Beine. Davon eines in Habachtstellung. Sieht komisch aus. Dann ist die Schwester schon wieder verschwunden.

      Und führe uns nicht in Versuchung, sondern erlöse uns von dem Übel. Amen. Amen. Amen.

      Wie ein Refrain. Schön, wie sich manche Zeilen unauslöschlich ins Gedächtnis geschrieben haben.

      Amen.

      Bewegst sich da etwas unter der Decke? Ach, es ist nur sein Händchen, das nervös zuckt.

      Ein Blitz, ein Donner, einstürzende Kulissen, Staub und grässliches Geschrei. Das war das letzte, an das er sich erinnern kann. Und, wie dämlich, seine Abmoderation der dämlichen Boygroup Aha.

      Aha, aha, aha, sind die Schwulen alle da?

      Gegrüßt seiest Du Maria, der Herr ist mit dir. Du bist gebenedeit unter.

      Gebenedeit. Heißt das tatsächlich so. Gebenedeit?

      Ronny will die Hand von unter der Decke auf die Decke legen, doch sie lässt sich nicht bewegen. Von der linken, die eh auf der Decke liegt, fallen Schläuche und Sensoren das Bett hinunter, wo sie, denkt Ronny jetzt, wohl in einen Monitor münden, der den Ärzten und den Schwestern Bescheid gibt, pling, pling, pling. Alles im grünen Bereich.

      Pling. Pling. Pling.

      Gebenedeit unter den Weibern. Weibern. Und gebenedeit ist die Frucht deines Leiben, Jesus. Jessas.

      Jetzt kommen sie zurück. Ein ganzer Schwarm Weißkittel. Und in der Mitte der Chef. Der beugt sich zu Ronny herab.

      „Und wie geht es heute unserem Patienten?“

      Ronny macht den Mund auf, doch es kommt nur Luft heraus. Stinkt die so, die Atemluft, dass sich der Medizinmann gleich wieder abwenden muss? Angeekelt? Schwester, übernehmen Sie!

      Heilige Maria Muttergottes, bitte für uns Sünder, jetzt und in der Stunde unseres Todes. Amen. Nochn Gebet. Amen.

      „Aber Herr Ackermann, Ronny, darf ich doch sagen! Sie müssen doch gar nicht sterben. Sie befinden sich auf dem Weg der Besserung. Gell!“

      So spricht die Schwester. Dann dreht sie an einem Knopf und der Patient versinkt wieder in tiefem Schlaf. Amen. Schön, wenn man noch beten kann.

      Ich bin blind, ich bin taub, ich bin stumm.

      Ronald Ackermann, Ronny genannt, fühlt sich, als ob er aus einem schwarzen Tunnel langsam ins Licht trete. Oder aus einer Kulisse ins Scheinwerferlicht, hooper trooper, dadadadada, island in the sky. Alles ist ihm schwer, sein Körper und sein Geist sowieso. Guter, alter Abba-Song.

      Habe ich so lange geschlafen, dass mir immer noch ganz schummrig, schwindlig, übel ist, fragt er sich ein ums andere Mal.

      Wie aus einem schwarzen Tunnel ins Licht. Das Bild gefällt ihm. Er sieht sich quasi wie von außen, wie von hoch oben gesehen oder gefilmt aus einem Helikopter, durch einen schwarzen Tunnel wanken, an dessen Ende ein Licht scheint, jedenfalls etwas Helles, Strahlendes. Nur für ihn. Haben davon nicht auch Menschen berichtet, die knapp dem Tod von der Schippe gesprungen sind? Grenzwerterlebnisse. Erlebnisse aus dem Grenzwertigen. Von der Schippe gesprungen – was für eine alberne Ausdrucksweise, denkt er leicht amüsiert. Amüsiert?

      Da berührt ihn jemand an der Schulter, kaum spürbar.

      Wie ich nur hierher gekommen bin? Ronny erinnert sich lediglich an die letzten paar Sekunden seiner Erfolgssendung „Livehaftig! Euer Ronny“, als sich ein Mann im weißen Kaftan daran machte, seine Wette auszusprechen. Vorher war der Idiot, der am Reißen des Fließes die Marke des Toilettenpapiers raten konnte. Idiotisch, vollkommen idiotisch. Dann war da noch diese Boygroup, die er angekündigt hatte, tralala und hopssassa, klingelingeling. Schwulies, verdammte.

      Dann ein Blitz und ein Knall und eine Staubwolke, alles brach irgendwie zusammen, vor ihm und neben ihm und hinter ihm. Geschrei von denen, die sonst zum Applaus verdonnert waren. Dann war ich weg, denkt Ronny, weggetreten. Und bin erst hier wieder aufgewacht.

      „Wie spät haben wir eigentlich?“

      „Er spricht, unser Ronny hat gesprochen! Na endlich. Nach neun Tagen des Schweigens!“

      Das Schweigen. Kennen Sie den Film?

      „Und welchen gottverdammten Tag haben wir! Werktag und Uhrzeit bitte!“

      „Unser Ronny ist wieder der Alte. Aus einem langen Koma und den starken Beruhigungsmitteln erwacht. Und möchte den Tag und die Uhrzeit wissen. Köstlich.“

      Die beiden Schwestern, die am Bett des Verletzten Wache halten, scheinen erleichtert. Eine, eine kleine dunkle Philippinin, eilt nach draußen, um dem diensthabenden Arzt und Oberschwester Yvonne Bescheid zu sagen, die andere, eine rothaarige, so ganz nach Ronnys Geschmack, tätschelt dem Erwachten die linke Schulter, die am wenigsten lädiert scheint und redet beruhigend auf ihn ein. Was sie routiniert beherrscht.

      „Ich möchte meine Schwester und meinen Produzenten sprechen“, sagt nun Ronny, der wohl lange an diesem Satz gefeilt hat, so makellos kommt er ihm über die Lippen.

      „Meine Schwester und meinen Produzenten!“ wiederholt er streng.

      „Das ist alles organisiert. Bald, wohl morgen früh, werden beide an Ihrem Bett erscheinen. Ihre Schwester und ihr