Michael Fischer D.

Seifenoper


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sind Sie doch hier. Schauen wir uns zusammen die Bescherung an“, sagte er, indem er sich in seinen Lesersessel sinken ließ.

      „Livehaftig! Euer Ronny“, das Logo der Sendung erschien quietschbunt auf der Mattscheibe, musikuntermalt mit Fanfarenstößen. Man sah Ronny inmitten der Bühne seiner Sendung, alles wie immer so schön bunt hier. Sah die Ab- und Ansage des Moderators und wie Ronny zu erstaunen schien, als ein Mann im weißen Kaftan erschien. Wie sind wir hier doch multikulti schien Ronnys Miene zu sagen. Und wie Ronny noch dummdreist blickte, als der Neue den Kaftan öffnete, wie ein Exhibitionist. Und wie Ronnys Lächeln gefror und die Augenbrauen unter die grässlich schwarz gefärbte Haarpracht zu schlüpfen schienen. Und wie sein Gesicht verfiel, als man diesen fatalen Satz, „was gilt die Wette, wenn ich mich jetzt mitsamt dem Scheiß hier in die Luft...“ .

      Das Wort sprenge war bereits in dem darauffolgenden Getöse untergegangen.

      Aus der Ecke des Papstes hörte der Reporter einen tiefen Seufzer.

      „Ich sehe keinen Sinn in diesem Akt. Keinen Sinn. Keinen Sinn“, murmelte er stetig. „Keinen Sinn.“ Und schüttelte dabei betrübt sein Haupt.

      „Darin liegt auch kein Sinn, meiner Meinung nach lediglich Unsinn“, ließ sich der Reporter vernehmen.

      „Halten Sie den Mund!“, raunzte ihn Geo Kapellmann an. „Schauen wir uns gemeinsam die anderen Aufzeichnungen an. Dann können wir darüber debattieren.“

      Man hörte die überlauten Singles einer Sondersendung. Achtung, Sondersendung. Achtung. Sondersendung, bleckte es aus dem Apparat. Dann erschien ein Mann in Schwarz, blickte freudlos in seine Kamera und verlas mit belegter Stimme seinen Text.

      Während unserer beliebten live-Sendung Livehaftig!Euer Ronny verschaffte sich ein Attentäter muslimischer Herkunft Zugang ins Studio, zündete eine an seinem Körper angebrachte Bombe und tötete sich dabei. Auch der Moderator der Sendung, Ronny Akkermann, wurde schwer verletzt und ringt mit dem Tod. Über die Beweggründe des Attentats tappen die Behörden noch im Dunkeln. Wir schalten jetzt in unser Studio, um ihnen das Ausmaß der Zerstörungen zu zeigen. Hallo, Irmgard, kannst du mich hören?

      Es folgte ein Schnitt ins Studio Fünf, in dem noch vor zwei Tagen und etlichen Stunden die Sendung lief, live und mit Publikum. Die Reporterin Irmgard, ebenfalls in Schwarz gewandet, stand inmitten der Bühnen- und Kulissen-Trümmer, ein schauriger Anblick. Und überall dieses Blut, oder was auch immer das ist, dachte der Reporter vor dem Bildschirm zynisch. Rote Farbe. Damit kennen sich die Kulissenmaler doch aus.

      Ja, meine Damen und Herren, Sie sehen mich hier inmitten der Szenerie des Schreckens, der vor kurzem in unsere beliebte Unterhaltungssendung gefahren ist. Doch wer verbirgt sich hinter dem Attentäter? Welches kranke Hirn? Welcher verquere Geist? Welche tödliche Ideologie? Wir und die Ermittler wissen das noch nicht, und die Betonung liegt auf dem Wörtchen noch. Seien Sie gewiss, meine Damen und Herrn, dass wir Sie auf dem Laufenden halten und auch auf das warum bald eine Antwort haben.

      „Mit der Betonung auf dem Wörtchen bald“, ließ sich Reporter Harry Gundlach vernehmen. Doch Geo Kapellmann fuhr ihm noch einmal mit einer Geste über den Mund. Dann lauschten beide den Erklärungen auf einem anderen Kanal, derselbe Text, dieselben Bilder.

      Gundlach sah sich den großen Geo Kapellman, den sie den Papst nannten, genauer an. Fotos von ihm waren seit zwanzig, ja dreißig Jahren Mangelware; oder eben so alt. Kapellmann ließ sich womöglich aus Gründen der Eitelkeit nur ungern fotografieren, der Reporter sah einen unförmigen Riesen, der seine Augen hinter einer großen Sonnenbrille verbarg. Den Anzug von der Stange sprengte ein Wulst von einem Bauch fast aus den Nähten. Die Hosenbeine waren zu kurz für die langen, feisten Beine, so dass zwischen den Socken und dem Hosenschlag bleiches Fleisch zu sehen war. Kappellmanns Füße steckten in ausgelatschten, ungepflegten schwarzen Tretern, Größe fünfundvierzig schätzte der Reporter. Die Hände, von Gichtknoten grotesk verkrampft, fuhren ihm immer wieder wie unter Zwang ins Gesicht, an Mund und Nase, als ob sie da etwas verscheuchen wollten, Fliegen oder anderes eingebildetes Ungeziefer.

      Sehen so millionenschwere Film-Produzenten aus, fragte sich Gundlach.

      Da knipste der Papst mit leichtem Druck den Ton der Monitore aus. In dem Moment betrat ein anderer Anzugträger den Raum und flüsterte dem Chef etwas ins Ohr. Der sah nur in Richtung des Reporters, schüttelte dann, er schien enttäuscht, sein Haupt und bellte:

      „Verlassen Sie sofort mein Büro und mein Haus. Sie sind gar nicht derjenige, als den Sie sich ausgegeben haben. Sie sind ein Betrüger, jawoll! Raus jetzt!“

      In beschwichtigender Geste hob der Reporter die Hände in die Höhe, hörte noch mal Geos „raus!“, murmelte, o.k. ich bin kein Redakteur mehr bei dem Magazin, o.k., o.k., doch immer noch dessen Freier Mitarbeiter. Und bei einem Dutzend anderer Blätter auch noch.

      Doch das ging im Getöse der Monitore, die Kapellmanns Adlatus laut aufgedreht hatte, unter.

      „Manni Jaeger?“

      Keine Antwort.

      „Hallo! Ist da Manfred-Manni Jaeger? Auch Prominenten-Jaeger genannt?“

      „Ja“ kam es zögerlich von anderen Ende der Leitung. Es folgte wieder Stille.

      „Hier spricht Harry Gundlach. Vom Magazin, Hamburg.“

      Stille, nur ein leises Rauschen der Verbindung, und immer noch keine Reaktion.

      „Herr Jaeger, wir haben uns vor langer Zeit mal zu einem Gespräch getroffen. Erinnern Sie sich?“

      Schweigen am Ende der Leitung. Dann ein Seufzer.

      „Zusammen mit dem Kollegen Wendig und einem Fotografen. Erinnern Sie sich jetzt? Wir sprachen damals über die TV-Serie, die nach Ihrem Bild, nach Ihrer Person gestrickt wurde. Promi-Klatsch und Tratsch.“

      „Ja, jetzt ist der Groschen gefallen. Wir zogen damals zu dritt durch die Gemeinde, gell.“

      Die TV-Serie hatte jedoch wenig mit seinem wirklichen Leben und seiner Arbeit zu tun gehabt, erklärte Jaeger. Die beiden Erfinder, Regisseur Helm Blum und sein Storyflüsterer Pierre Kindler, hätten das Blaue vom Himmel fabuliert, fantasiert, berichtigte Jaeger sich. Das sei dann auch das Ende ihrer Freundschaft gewesen. Der Freundschaft von Helm Blum, Pierre Kindler und Manni Jaeger, erklärte er für Begriffsstutzige.

      Gundlach nickte, aber das konnte Manni Jaeger ja nicht sehen.

      „Und seit er mit dieser Historienplotte Der Seifensieder von Marseille reich und berühmt geworden ist, ist Kindler wie vom Erdboden verschluckt, von der Bildfläche verschwunden, merkwürdig, gell.“

      „Ja, merkwürdig“, wiederholte Gundlach.

      Manni Jaeger war einmal eine bekannte Münchner Medienfigur gewesen. Unter der Marke Prominenten-Jaeger hatte er zunächst für eine Münchner Boulevard-Zeitung, später dann für das berüchtigte Bundesboulevard-Blatt mit den extragroßen Lettern und dem vielen Blut auf der Tittenseite eine tägliche Klatschkolumne geschrieben. Tausend Mark hatte er dafür bekommen, täglich, hieß es.

      Jaeger war in München nicht nur als Klatschreporter berüchtigt, sonder auch ein bekannter Prominentenwirt, der im Hinterzimmer seiner Schickeria-Kneipe auch ein Kabarett betrieb und noch, unter Ausschluss der Öffentlichkeit, andere spaßige Dinge, Glücksspiel, Drogenspielchen. Die und das Spießerdelikt Steuerhinterziehung brachten ihn schließlich ins Gefängnis Stadelheim, wenn auch nur für acht Monate. Der Rest war auf Bewährung.

      Heute, so ist zu hören, ist Manni Jaeger gänzlich Pleite und soll von der Sozialhilfe leben. Deshalb die kargen Reaktionen, dachte der Reporter.

      „Ich bin hier in München auf einer interessanten Fährte, um nicht zu sagen, auf einer heißen Spur. Doch plötzlich verstummten meine Gesprächspartner oder legten auf...“

      Ein Kichern als Reaktion auf der anderen Seite der Leitung. Damit kannte sich Promi-Jaeger aus. Mit vor der Nase zufallenden Türen und aufgelegten Telefonhörern.