Ute Janas

Jakobs kleiner Koffer


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altertümlichen englischen Film zu spielen. Die beiden Mädchen hatten tatsächlich geknickst, und der würdevolle Gesichtsausdruck der Gärtner gab ihr fast den Rest.

      „Reiß dich bloß zusammen”, rief sie sich streng zur Ordnung, und schaffte es tatsächlich, die Begrüßungsrunde ohne peinlichen Ausfall zu überstehen.

      Mr. Mason hieß Peter das Gepäck in die Suite von Lady Christina bringen und führte Johanna gemessenen Schrittes in das Haus. Johanna trat in die weitläufige Halle. Die Wände waren mit Eichenholz getäfelt, die Rückwand wurde beherrscht von einem riesigen Kamin mit einem marmornen Aufsatz, in dem selbst an diesem warmen Maitag ein helles Feuer brannte. Die Decke war mit Stuckornamenten verziert und an den Wänden hingen Ölbilder mit Landschaftsthemen. Jeweils rechts und links der Halle führten breite Eichentreppen in das obere Geschoss, die sich dort zu einer Galerie vereinigten, unten führten zwei getäfelte Türen in das Innere des Hauses.

      „Dies ist die äußere Halle, Miss Oldenburg, von hier aus geht es in den Dining-Room, den Salon, die Bibliothek und die anderen Räume im Parterre. Die persönlichen Räume der Herrschaft liegen oben.“

      „Danke“, murmelte Johanna und schaute sich um, überwältigt von dem Eindruck dieses Raumes. Dann wandte sie sich etwas ratlos an den Butler.

      „Mr. Mason, was soll ich denn jetzt hier machen?”, fragte sie ihn verunsichert.

      „Bitte nennen Sie mich George, das ist hier so üblich, Miss Joan. Darüber hinaus schlage ich vor, Sie nehmen jetzt ihren Tee, anschließend beziehen Sie erst einmal Ihre Räume und erholen sich ein wenig von Ihrer Reise. Zum Dinner, etwa um 20.30 Uhr, erwarten wir Mr. Norman, er wird alles Weitere mit Ihnen besprechen. Sie haben also Zeit genug, sich auszuruhen, ein Bad zu nehmen und sich zum Dinner umzuziehen”.

      Aha, dachte Johanna, ein diskreter Hinweis auf die hier üblichen Umgangsformen, Umziehen zum Dinner. Gut, dass sie ihren langen Seidenrock eingepackt hatte. Aber ein Bad am hellichten Nachmittag? Das wollte sie sich aber noch einmal überlegen.

      „Wer ist Mr. Norman“, fragte sie sodann.

      „Er ist Major Brandwells Neffe und der Verwalter des Gutes, das zu Brandwell Manor gehört. Im Augenblick ist er gerade wegen einer Grundstücksstreitigkeit unterwegs, sonst hätte er sie schon hier begrüßt.“

      „Natürlich“, murmelte Johanna und ließ sich von George zu einem Sessel am Kamin führen.

      „Welchen Tee bevorzugen Sie, Miss Oldenburg”, fragte George und rasselte einige Sorten herunter. Johanna, die immer nur Kaffee trank, und sich mit Tee überhaupt nicht auskannte, hatte nur den Namen „Earl Grey“ verstanden und wiederholte ihn.

      „Sehr wohl“, sagte George, „als Nachmittagstee ist Earl Grey immer wieder köstlich, nicht wahr.“ Johanna nickte matt.

      Damit verabschiedete er sich mit einem dezenten Nicken und verließ die Halle durch eine der hinteren Türen. Johanna lehnte sich erschöpft von den vielen Eindrücken in ihrem Sessel zurück und ließ den Blick schweifen. Diese Halle war sehr groß, mindestens zwölf Meter lang und acht Meter breit, vermittelte aber dennoch den Eindruck großer Behaglichkeit. Auf dem Eichenholzparkett lagen dicke Orientteppiche, in den Fensternischen waren gepolsterte Sitzbänke angebracht und an den Wänden befanden sich kleine Sitzgruppen. Sie atmete tief durch. Das war also das Zuhause ihrer Großmutter gewesen, sie hatte sich in England offensichtlich wirklich in ein gemachtes Nest gesetzt. Ihre Sympathie für Christina schwand ein wenig angesichts des Luxus, mit dem diese sich augenscheinlich umgeben hatte. Der Lerchenhof erschien im Vergleich mit diesem Anwesen wie ein ärmliches Reihenhaus, und Johanna breitete sich innerlich darauf vor, Christinas Handeln kritischer als geplant zu betrachten.

      George erschien wieder und brachte den Tee. Das war nun offensichtlich ein richtiger „Five o‘clock tea“, in der Silberkanne, feinstem chinesischem Geschirr, Sahne, Zitrone und einem mehrstöckigen Tablett mit Gebäck, kleinen Kuchen und Sandwiches.

      „Wer soll denn das alles essen, George?” fragte Johanna lachend und George antwortete würdevoll:

      „Man muss nicht alles essen, Miss Oldenburg, bitte verzeihen Sie.“

      „Ist schon gut, George“, sagte Johanna. „ich bin mit den Sitten hier überhaupt nicht vertraut und ausgesprochen dankbar für jeden Tipp von Ihnen.“

      „Ich weiß”, antwortete George. „Bei Miss Christina war das auch so, als sie nach Brandwell Manor kam. Ich war damals hier der Hausdiener”, fügte er erklärend hinzu.

      Johanna nahm etwas Tee und biß herzhaft in einen gefüllten Kuchen. Sie lehnte sich wieder zurück in ihren bequemen Sessel und schlüpfte aus ihren Schuhen. Die Füße, die sie zur Entspannung auf den Nachbarsessel gelegt hatte, zog sie schuldbewusst wieder zurück, als George nach einer offensichtlich genau bemessenen Zeit wieder an die Tür klopfte und ihr anbot, sie hinauf zu führen.

      Neugierig ging sie hinter ihm die Treppe hinauf.

      Die Galerie führte in einen langen Gang, von dem rechts und links Zimmertüren abgingen. An den Wänden hingen in einer Ahnengalerie würdige Damen und Herren, vermutlich die Brandwell´schen Vorfahren. George öffnete eine der Türen und ließ Johanna eintreten.

      „Dies waren die Räume Ihrer Großmutter, Sir Norman fand es passend, dass Sie hier einziehen und nicht in eines der Gästezimmer“, sagte er und folgte ihr in den Raum. Johanna schaute sich um und fühlte sich sogleich wohl in diesem Zimmer, das hell und freundlich wirkte. An der gegenüberliegenden Seite blickte man durch die Sprossenfenster einer breiten Glastür in den Park, daneben war rechts und links jeweils eine Fensternische, in der in halber Höhe eine Bank darauf wartete, dass man sich hinsetzte oder legte, ausgestattet mit Polstern in einem Blumenmuster und gleich gemusterten Kissen. An der rechten Wand stand ein großer Schreibtisch aus Rosenholz, einige Bücherregale zierten die Wände, in einer Ecke war ein Kamin mit einem wertvollen Aufsatz, auf dem einige Fotografien standen, und ein breiter Diwan auf der anderen Raumseite lud zu einer angenehmen Ruhepause ein. Insgesamt machte der Raum einen gemütlichen, im Vergleich zu der Empfangshalle aber ausgesprochen schlichten Eindruck. An den Wänden hingen fröhliche, impressionistisch wirkende Bilder, die dicken Wollteppiche waren ebenfalls hell und freundlich.

      „Hier ist Mrs. Christinas privates Arbeitszimmer, sie hat hier viel geschrieben“, sagte George. Dann führte er sie in einen angrenzenden Raum, der offensichtlich Christinas Schlafzimmer war und von einem großen Himmelbett beherrscht wurde. Auch hier gab es wieder diese Fensternischen, eine von ihnen barg eine Frisierkommode mit dreiteiligem Spiegel und in der anderen war eine Art Waschtisch installiert, jedenfalls fand sich dort eine große Pozellanschale und eine Kanne, so wie man sie von früher kannte, als Körperpflege noch einfacher als heute vor sich ging. Eine weitere Tür führte zu einem Badezimmer, das nur auf den ersten Blick altmodisch wirkte. Zwar waren der Waschtisch und die Wasserhähne von altertümlicher Form, und die hölzernen Handtuchhalter stammten sicherlich auch aus der Zeit, als Queen Victoria ein seltenes Bad zu nehmen beliebte. Hinter einer kaum erkennbaren Abtrennung, die George jetzt zur Seite schob, fanden sich allerdings eine luxuriöse Eckbadewanne neuesten Komforts, eine Eckdusche mit gläserner Abtrennung, Toilette und Bidet.

      „Miss Christina hat großen Wert auf Badekomfort gelegt”, erläuterte George beinahe stolz. „Die Badezimmer in den Räumen des Majors und denen von Mr. Norman sehen genauso aus. Judy wird Ihnen gleich ein Bad richten”, fügte er hinzu und führte sie weiter herum. Johanna fand diese Vorstellung zwar belustigend, wagte aber keinen Widerspruch, um George nicht zu kränken. Sie kamen in einen Ankleideraum, dessen Wände ringsherum mit Schiebetüren bedeckt waren, in der Ecke stand ein wunderschöner großer Spiegel im Jugendstilrahmen. George öffnete eine Schranktür und zeigte ihr, wo ihre Sachen untergebracht waren, alles war bereits perfekt eingeräumt - kein Wunder bei so viel Personal im Haus.

      Bevor er sie verließ, wollte er noch wissen, ob sie einen speziellen Wunsch für das Dinner hätte.

      „Vielleicht etwas Leichtes“, sagte Johanna kraftlos, und er nickte.

      „Sehr wohl, Miss“, stimmte er zu und verließ sie damit.

      Johanna