Linda Große

Alte Männer - böser Traum


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wenig zu rot“, antwortete er unverblümt. „In deinem Alter!“

      Für einen kurzen Moment war seine Mutter sprachlos. Bis auf die Geschichte mit dem verweigerten Einzug in die Villa, war sie von ihrem Sohn ausschließlich zustimmende Bemerkungen gewohnt.

      „Was ist mit dir los? Hast du Sorgen?“, fragte sie mit dem sicheren Instinkt einer lebenserfahrenen Frau.

      „Nein, entschuldige“, wiegelte Plastrothmann ab. „Nur ein schwieriger Fall.“

      Damit war für seine Mutter die Sache erledigt. Auch Plastrothmanns Anwaltstätigkeit gehörte zu den Tabuthemen ihrer Beziehung.

      Zufrieden lehnte sie sich in ihrem Sessel zurück und gab Bericht über die Ereignisse der vergangenen Woche. Es war immer das Gleiche. Die gestiegenen Preise, die vermeintlichen Unverschämtheiten der Hauswartsfrau, der neuste Tratsch aus dem Friseursalon, die Ungezogenheiten der Nachbarskinder und Ähnliches. Plastrothmann lehnte sich ebenfalls zurück, doch alles andere als entspannt. Seine Nervosität beunruhigte ihn. Er war solche Gefühle nicht gewohnt.

      Dieses Unbehagen, das ihn befallen hatte nach Heinrichs Telefonanruf in der Kanzlei. Er war sofort zu ihm gefahren und das, obwohl sie sowieso jeden Freitagabend zusammen speisten. Heinrich hatte ihn, auch das entgegen sonstiger Gepflogenheiten, Höchstselbst an der Wohnungstür empfangen. Er wirkte äußert besorgt, ja fast aufgeregt. Das verstärkte Plastrothmanns Unbehagen noch. Bis heute begriff er nicht, dass dieses ihm völlig unbekannte Gefühl Angst war. Einfach nur diffuse Angst.

      Heinrichs Haushälterin wirtschaftete bei seiner Ankunft unüberhörbar in der Küche. Der Tisch im Esszimmer war bereits gedeckt gewesen für die übliche freitägliche Abendmahlzeit. Auch dies ein unerschütterliches Ritual in seinem Leben. Das Essen mit Heinrich, seinem Mentor und Protektor.

      Heinrichs Haushälterin Henriette war eine ausgezeichnete Köchin. Selbst ihr hohes Alter konnte ihrem Geschmackssinn offensichtlich nichts anhaben. Zwar fanden sich in letzter Zeit ab und an Stückchen von Eierschale in ihrem göttlichen Käsekuchen oder auch mal ein Haar im Hirschragout, doch beide Männer fanden sich damit in stillschweigendem Einvernehmen ab.

      Heinrich hatte ihn an diesem Abend am Esszimmer vorbei in die Bibliothek geleitet. Dort, wo sonst normalerweise der gemeinsame Abend endete. Nachdem sie in den knarzenden Ledersesseln Platz genommen hatten, war Heinrich ohne irgendwelche Umschweife zur Sache gekommen. Erst verstand Plastrothmann seine Aufregung nicht so recht: Ein V-Mann vom Verfassungsschutz in der Partei. Das der BND seine Leute bei ihnen einschleuste, war doch nun wirklich nichts Neues. Es dauerte eine ziemliche Weile, bis er es begriff: Heinrichs Sorge galt allein ihm. Offensichtlich war dieser Mann durch seine eigene Empfehlung so schnell aufgenommen worden. Das war Nahrung für das Misstrauen, das gewisse Leute in der Partei ihm entgegengebrachten.

      „Ich habe dir so oft gesagt, es reicht nicht nur Sympathisant zu sein, ein unentschlossener Mitläufer. Das gibt den Gerüchten heftigste Nahrung. Misstrauen in den eigenen Reihen können wir jetzt wirklich nicht gebrauchen! Geschlossenheit ist die unabdingbare Voraussetzung für unseren Plan! Du musst endlich Farbe bekennen, sonst befürchte ich das Schlimmste“, hatte Heinrich an dem Abend wiederholt erklärt. Obwohl er Plastrothmann nicht von seinem Standpunkt überzeugen konnte, die Ängste blieben. Es war nur noch eine Frage der Zeit, bis er sie als solche erkennen würde.

      „Du bist schon wieder ganz woanders mit deinen Gedanken!“ insistierte seine Mutter zum zweiten Mal an diesem Tag. Plastrothmann schaute auf seine Armbanduhr, obwohl er direkt neben der unüberhörbaren Standuhr saß. Es waren gerade knappe zwei Stunden vergangen seit seinem Eintreffen. Trotzdem erhob er sich, verabschiedete sich abrupt von seiner erstaunten Mutter mit dem Satz: „Habe noch einen unaufschiebbaren Termin.“

      Mit schnellen Schritten verließ er die Wohnung. Die Eingangstür knallte unüberhörbar hinter ihm zu. Zurück blieb eine Frau, die sich zum ersten Mal in ihrem Leben fragte, ob sie sich um ihr Kind Sorgen machen müsse.

      Plastrothmann polterte die Treppe hinunter, stürmte den Gehweg entlang, schloss die Autotür auf und ließ sich schwer atmend hinter das Steuer sinken. Nachdem er den Zündschlüssel eingeschoben hatte, fragte er sich, wohin er jetzt eigentlich wollte. Resigniert fuhr er mit den Händen über seinen frisch rasierten Schädel. Danach schaute er Hilfe suchend auf seine Armbanduhr. Sie lieferte nicht die Spur einer Inspiration. Immer, ausnahmslos immer, befand er sich am Samstag um diese Uhrzeit bei seiner Mutter. Es dauerte einige Minuten bis er wieder klar denken konnte, Heinrichs Warnungen in die Tiefen seines Gehirns verbannte. Der Selbsterhaltungstrieb meldete sich erneut mit Unmut, fast Wut. Und plötzlich wusste er, wohin er wollte!

      Kapitel 10

      Clea schaute etwas zweifelnd in den Spiegel. Diese Person sah doch wirklich gut aus! Aufsteigende leichte Zweifel lagen nur darin begründet, dass sie sich selber fremd vorkam. Sie trug das rotweißgestreifte bretonische Shirt. Sie hatte es am Montag auf dem Markt in Cany-Barville gekauft, weil es sich mit seinen dreiviertel Ärmeln und dem Carreausschnitt um eine ausgesprochen schicke Version des typischen Fischerhemdes handelte. Dazu eine weiße Jeans mit Schlag, an deren unterer Seitennaht entlang eine schmale schwarze, gestickte Rispe rankte. Und ihre langen dunklen Haare trug sie heute nicht nur offen, sondern zusätzlich hatte sie mit Föhn und Rundbürste noch etwas Fülle hinein gezaubert.

      Sie ging näher an den Spiegel heran, beugte sich etwas vor, um ihre gesamte Beinlänge zu begutachten. Es gelang nicht ganz. Trotzdem, ihre Figur war in Ordnung, die Hose stand ihr wirklich klasse. Jedenfalls schien der Spiegel dieser Meinung zu sein.

      Und trotzdem, sie fühlte sich fremd, unbehaglich. Sollte sie nicht doch lieber ein paar ganz normale Jeans anziehen, plus T-Shirt? Und die Haare? Eine Zeitlang war sie richtig hin und her gerissen. Bis sie endlich begriff, dass sie sich selber auf die Nerven ging. Kurz entschlossen verließ sie ihr Zimmer. Hoch erhobenen Hauptes. Und registrierte erstaunt, wie das funktionierte. Sie fühlte sich plötzlich richtig selbstbewusst.

      Jean-Paul saß mit Henri im Garten. Bei ihrem Erscheinen stand er auf und pfiff anerkennend durch die Zähne. Auch Henri war schwer angetan von ihrem Outfit. „Une fleur d’allmagne“, sagte er, „eine Rose, eine Rose von Deutschland.“

      Clea bedankte sich erfreut für das Kompliment.

      „Kommt Betty denn nicht mit?“, fragte sie Jean-Paul, der sich mit ihr auf den Weg machen wollte.

      „Die ist schon längst da, sie hat die Blüten gebracht für die Rosenbowle.“

      „Rosenbowle, das hört sich toll an“, freute sich Clea, „habe ich noch nie getrunken.“

      Ein paar Minuten darauf erreichten sie das düstere Feldsteinhaus, das Clea wegen seines verwilderten und völlig blumenlosen Gartens bei ihren Spaziergängen aufgefallen war. Heute ragten die halb aufgestoßenen Fensterläden in das unbeschnittene Buschwerk hinein. Das hohe Fenster erlaubte einen Blick in einen düster wirkenden, dunkel getäfelten Raum. Fröhliches Stimmgewirr und leise Musik drangen nach draußen. Das große Eingangstor stand weit offen. Jemand hatte die von zahlreichen Regengüssen aufgequollenen Werbezeitungen der Supermärkte aus dem Briefkasten und den Gitterstäben des schmiedeeisernen Tores entfernt. Nur im wuchernden Gras lagen noch einige völlig ausgebleichte Exemplare. Sie gingen über die Einfahrt. Im Schatten des Hauses blühte ein verspäteter Löwenzahn mitten auf dem Weg. Der ungemähte hochgeschossene Rasen wogte zu beiden Seiten in die Auffahrt.

      Die zweiflügelige Eingangstür war genauso achtlos aufgestoßen wie die Fensterläden. Die Flügel bildeten einen schmalen Spalt, durch den Jean-Paul sich mit einer leichten Seitwärtsdrehung hindurchzwängte. Clea tat es ihm nach. Die Diele war so dunkel, dass sie spontan nach seiner Hand griff. Die Luft war kühl und abgestanden. Es roch nach Staub und Zerfall. Ein schwacher Lichtstrahl aus dem Salon zeichnete einen Pfeil auf den düsteren Dielenboden. Tanzende Staubkörner transportierten Schwaden von Parfümduft, Rasierwasser und saurem Weingeruch in die stockdunkle Diele. Ein Szenario wie für einen Vampirfilm, dachte Clea leicht fröstelnd.

      Auch die Tür zum großen Wohnraum war nur knapp aufgestoßen. Jean-Paul ließ