Jonas Nowotny

Die Kinder der Schiffbrüchigen


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in Falten. Noch immer ahnte er nicht, in welche Richtung die Unterhaltung steuerte. Er blickte seine Schwester ungeduldig an. Komm endlich zum Punkt, dachte er.

      »Unser Bankberater meint, wir haben für ein Eigenheim zu wenig Erspartes.« Erleichtert atmete Catrin aus. Alexander wusste nicht, was er mit der Information anfangen sollte. Seit wann besprach seine Schwester solche Probleme mit ihm? Er gab keinen Anlass anzunehmen, dass sich seit ihrem Zerwürfnis wieder Vertrauen eingestellt hatte. Er schaute zum Himmel. Die Gewitterwolke zog heran. Er deutete mit dem Kinn zum Containerbüro der Thalberg Journeys. Er war im Dunkelblau des Firmenlogos lackiert. Eine schlechte Entscheidung, wie sich herausstellte, denn durch den dunklen Anstrich heizte das Büro sich im Sommer schnell auf. Doch statt den Container in einem helleren Ton zu lackieren, bauten sie eine Klimaanlage ein.

      Das Äußere ließ nicht auf das geschmackvoll eingerichtete Innere schließen: Im Eingangsbereich standen eine Bananenstaude und ein cremefarbenes Sofa. An den Wänden hingen gerahmte Fotos der Thalbergflotte. Der zukünftige Gast sollte sich ein Bild von der Ausstattung der Schiffe machen können. Seine Reise buchte man am Tresen, der den Kundenbereich vom Office trennte.

      »Ist Papa nicht da«, fragte Catrin und setzte sich auf den Drehstuhl ihrer Mutter. Alexander verneinte und machte sich in der winzigen Küchenzeile zu schaffen, die sich hinter einem Vorbau verbarg.

      »Kaffee oder Tee?«

      Catrin hustete. »Tee. Pfefferminz bitte, wenn du hast.«

      »Klar. Mama trinkt ihn literweise.« Alexander fühlte eine Spannung, die sich jeden Moment entladen würde. Der Wasserkocher brodelte, ehe er sich abschaltete. Alexander goss kochendes Wasser in die Tassen.

      »Zucker?«, fragte er und stellte ihr den dampfenden Tee auf den Tisch. Catrin schüttelte den Kopf. Komm, lass die Bombe hoch, Schwesterchen, dachte er. Mariannes Arbeitsplatz war penibel aufgeräumt und damit das genaue Gegenteil zu seinem eigenen. Es dauerte, bis er einen Platz freigeräumt hatte, um seinen Kaffee abzustellen. Auf dem Bildschirm des Laptops flackerte die Startseite von Queer.de.

      »Ich wusste nicht, dass ihr plant, ein Haus zu kaufen«, nahm Alexander das Gespräch auf. Catrin wärmte die Finger an der heißen Teetasse. Maria schlief friedlich an ihrer Brust.

      »Eigentlich würden wir lieber selbst bauen. Dann könnten wir bestimmen, wie alles sein soll. Und außerdem kann Björn viel selber machen.« Catrin rieb ihre Handflächen aneinander. »Die Bank findet aber, dass Björn zu wenig verdient, um die Raten zu bedienen.«

      Alexander begriff endlich, was Catrin frieren ließ.

      »Wie viel Eigenkapital fehlt euch«, fragte er, während er am Temperaturregler der Klimaanlage drehte.

      Catrin nahm die Frage als Einladung und fiel mit der Tür ins Haus: »Meine Firmenanteile würden locker reichen.«

      Alexander verschluckte sich. Sein Husten riss Maria aus dem Schlaf. Sie heulte los. Als Catrin sie beruhigt hatte, stellte Alexander klar: »Mit den Anteilen kannst du nichts anfangen.« Im Ohr pochte sein Puls.

      »Die Sparkasse jedenfalls«, erklärte Catrin, »will sie nicht als Sicherheit anerkennen.«

      »Du wolltest deine Anteile an die Bank verhökern?« Alexander war empört. »Und übermorgen haben wir dann fremde Menschen am Schreibtisch, weil ihr eure Raten nicht mehr zahlen könnt?« Er sprang auf und lief den schmalen Weg zwischen Wand und Tisch hin und her.

      Catrin senkte den Kopf. »Ich will, dass ihr mich auszahlt«, sagte sie leise.

      Alexander blieb stehen. Es dauerte einen Moment, bis seine Lippen sich zu einem Grinsen verziehen konnten. »Du möchtest was?«

      »Reg dich jetzt nicht künstlich auf!«

      Er schüttelte ungläubig den Kopf. »Deshalb also ward ihr auf Louis‘ Fest! Gutwettermachen! Ich muss dich enttäuschen, Schwesterlein: Bei Thalberg Journeys sitzt der Euro keineswegs locker! Vor allem jetzt nicht, wo die Anetta renoviert werden muss.«

      Mit vor dem Mund gepresstem Zeigefinger blickte Catrin ihn an. »Sie wacht auf, wenn du so brüllst.«

      »Du willst unsere Firma verhökern. Wie soll ich da ruhig bleiben?« Er fixierte seine Schwester. »Wenn wir dich jetzt auszahlen, können wir die Kredite für die Anetta nicht mehr bedienen!«

      »Ich ...«, begann Catrin, doch das Klingeln von Alexanders Handy unterbrach sie. Er blickte auf das Display.

      »Ich will raus aus der Nussschale, Alex«, sagte Catrin, »die enge Wohnung macht mich verrückt. Und wenn jetzt noch ein Kind kommt …« Sie verzog das Gesicht zu einer Leidensmiene.

      »Dann mietet euch doch ein Haus!«, zischte Alexander und drückte die grüne Taste am Handy. »Thalberg. Ah, super!« Seine düstere Miene hellte sich ein wenig auf. »Ja, ich bring Ihnen die Unterlagen dann gleich vorbei.« Er legte auf und trank einen schnellen Schluck.

      »Ich weiß nicht, ob du schon mal mit drei Kindern was zur Miete gesucht hast, Alex«, kehrte Catrin zum Thema zurück, »fünf Hunde sind kein Problem, drei Kinder aber ein echter Ausschlussgrund.« Sie war ächzend aufgestanden.

      »Das tut mir Leid. Aber wenn du jetzt deinen Anteil forderst, bricht das der Firma das Genick.«

      Catrin nickte, ihren Mund verzerrt, als kämen ihr gleich die Tränen. »Ich werde das mit Papa besprechen«, sagte sie. »Es geht nicht an, dass meine Anteile nichts wert sind.«

      Alexander öffnete den Mund, um etwas zu erwidern. Er überlegte es sich jedoch anders. »Ich muss jetzt weg«, sagte er stattdessen. Mit einem Leitzordner unter dem Arm folgte er ihr nach draußen. Die Gewitterwolken waren ohne Grollen weitergezogen. Die Septembersonne brannte.

      »Du weißt, wie Papa an Thalberg Journeys hängt.«

      »Wir werden sehen«, antwortete Catrin knapp und ging ein paar Schritte, ehe sie sich noch einmal umwandte. »Wenn ihr nicht auf meine Bitte eingeht, ziehe ich vor Gericht.« Alexander schüttelte den Kopf. Da war sie wieder, seine echte Schwester! Er wendete das Geöffnet-Schild an der Tür zu Bin gleich zurück. Schwermut überkam ihn. Wie einem treuen Pferd den Hals klopfte er mit der flachen Hand gegen den blauen Container. Würde er die Firma verlieren? Nein! Auch er konnte kämpfen. Und das genau das hatte er vor.

       Kapitel 13

      Während Catrin Alexander ihre Hausbaupläne offenbarte, bescheinigte eine B-Probe ihrem Ehemann Björn, dass Gott ihm nicht verziehen hatte. Dennoch fühlte er sich beim Verlassen der Praxis des Hausarztes gefasst. Es war, als habe er sich mit seinem Schicksal schon vorauseilend abgefunden. Das Merkblatt, das der Arzt ihm in die Hand gedrückt hatte, steckte gefaltet in seiner Hosentasche. Björn betrat eine Apotheke.

      »Guck, dass sie dir was für Schwangere geben! Für den Fall der Fälle«, hatte Catrin am Telefon gebeten. Sie brauchte etwas für ihre Erkältung. Es war doch eine Erkältung, oder? Herr, lass es nur eine Erkältung sein, richtete Björn ein Stoßgebet an Gott.

      »Ist in Ordnung«, hatte er geantwortet. Wie schnell man sich mit dem Lügen anfreunden konnte, dachte er.

      Ab dem Tag, an dem er Catrin kennengelernt hatte, wurde alles gut. Er schmunzelte bitter. Zuvor, während des Scheidungskrieges seiner Eltern, hatte er am Boden gelegen. Sie verlangten von ihm die Entscheidung, bei wem er bis zum Abschluss seiner Ausbildung zum Elektroinstallateur leben wollte. Zu seiner im neuen Liebesglück schwelgenden Mutter und ihren einundzwanzigjährigen Lover zog es ihn nicht. Aber die Vorstellung, die Wohnung mit seinem promiskuitiven Vater zu teilen, der seine neuaufgezwungene Freiheit in vollen Zügen auslebte, war kaum einladender. Doch ein eigenes Dach konnte Björn sich von dem bescheidenen Ausbildungsgehalt nicht leisten. Also zog er zu seinem Vater und den wöchentlich getauschten Frauen am Frühstückstisch. Manchmal beschlich ihn leise Bewunderung: Wo gabelte sein Alter nur alle diese Weiber auf?

      »Es ist so viel besser, wieder solo zu sein«, behauptete sein Vater überschwänglich. Björn glaubte ihm nicht. Die Vielweiberei