Jonas Nowotny

Die Kinder der Schiffbrüchigen


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Hemd glich er einem Anwalt, der sich im Krankenhaus nach Mandanten umschaute.

      »Christian«, spukte Christian seinen Namen aus. »Leute, die Rauchbomben auf meiner Party legen, dürfen mich gerne beim Vornamen nennen.«

      »Chris«, mahnte Alexander. Betreten lächelte er Oliver zu und erklärte Christian: »Herr Wagner hat mir eben erzählt, dass er hier arbeitet.«

      »Arbeitet?« Christian schaute die beiden Männer verächtlich an. »In diesem Aufzug? Was bist du? Leichenbestatter? Ich muss dich enttäuschen: Louis lebt!« Das Lächeln um Olivers Mund trieb ihm die Wut hoch. Christians giftige Beleidigungen schienen an Olivers schimmernden Sakko abzuperlen. Der Maxi Cosi wurde Christian schwer im Arm; er stellte ihn sanft ab und kehrte mit dem Blick zurück in Olivers Augen. Dieser schüttelte den Kopf.

      »Ich bin Krankenpfleger. Ich hatte einen Notartermin, deshalb der Anzug.«

      »Und das glaubst du?«, fragte Christian Alexander. Er rammte seine Fäuste in die Hosentaschen.

      »Hör auf, Chris! Du kannst ihn nicht ohne Beweise beschuldigen!«

      Wie unangenehm Alexander die Situation war, bemerkte er an dessen hilflosen Blick. Aber das war ihm gleichgültig. Oliver, wie hieß er noch mit vollständigem Namen? Ja, Oliver Wagner hatte etwas mit der Geschichte zu tun. Er wusste es. Er fühlte es. Und auf sein Bauchgefühl konnte er sich verlassen, immer schon.

      »Soll er beweisen, dass er unschuldig ist«, fauchte Christian, im vollen Bewusstsein, dass er damit die Beweisführungspflicht unzulässig verdrehte.

      Oliver verschaffte sich Luft, indem er seine Krawatte lockerte. Er beteuerte: »Ich war rein zufällig vor Ort und wurde von Herrn Thalberg beauftragt, Fotos zu machen.«

      »Ich hab keine Fotos gesehen«, erwiderte Christian.

      Oliver lächelte müde. »Das wirst du in nächster Zeit auch nicht können. Die Polizei hat meinen Computer und alle Speicherkarten mitgenommen, als sie meine Wohnung durchsucht haben«, log Oliver.

      »Ohne Grund werden sie deine Wohnung nicht durchsucht haben, oder?« Christian blickte ihn scharf an. Oliver hielt dem Blick stand. Es war Christian, der seine Augen zuerst senken musste.

      »Können wir gehen?«, fragte er Alexander. »Louis wird bald aufwachen und hungrig sein.«

      Alexander nickte. »Entschuldigung«, hörte Christian ihn zu Oliver flüstern. Er verkniff sich ein Kommentar. Der Mann im Anzug senkte den Kopf und biss sich auf die Unterlippe.

      »Es tut mir leid, was euch passiert ist«, sagte er und ging.

      »Es tut mir leid, was euch passiert ist«, äffte Christian ihn nach, als er außer Hörweite war.

      »Das war eine miese Aktion, eben.« Alexander nahm Louis' Trage und eilte zum Parkplatz.

      »Oh, Entschuldigung, dass ich gerne wissen will, wer uns ausräuchern wollte wie gemeine Wühlmäuse! Dir scheint es ja egal zu sein!«

      Alexander blieb stehen und wandte sich um. »Es macht einen gewaltigen Unterschied, ob ich an der Wahrheit interessiert bin oder nur blind jemanden beschuldige!« Christian duckte sich vor der Wut, die auf ihn zurollte. Ihm war klar, dass er jetzt besser schwieg. Sie erreichten das Auto. Alexander drückte auf den Schlüssel. Die Schlösser des Peugeots klackten auf. Alexander stöhnte bei dem Versuch, die Babyschale im Auto zu befestigen. »Tunten und Technik«, fluchte er vor sich hin. Dann klappte es.

      Sie fuhren schweigend ein paar Minuten. Schlechtes Gewissen und Scham krochen Christian den Hals hinauf.

      »Ich meine, wer sonst kommt in Frage ...«, sagte er mehr zu sich selbst als zu Alexander.

      »Ich weiß es nicht.« Alexander klang gleichgültig. Nein, fand Christian, vielleicht traf das Wort es nicht ganz. Eher war da etwas Abwartendes in seiner Stimme, abwartende Gelassenheit. Er wünschte sich, ebenso reagieren zu können. Ein Ruhepol zu sein, trotz aller Widrigkeiten. Er legte den Kopf auf Alexanders Schulter.

      »Es tut mir Leid«, seufzte er müde.

      »Schon gut.« Christian erschrak vor der Gleichgültigkeit, die in der Antwort mitschwang. Erschöpft schloss er die Augen.

       Kapitel 11

      »Soll ich wirklich nicht mit hochkommen? Schaffst du es allein?«, fragte Alexander, als er den Wagen vor dem Haus parkte.

      »Klar! Fahr du nur zur Firma und schau nach dem Rechten. Ich versteh das«, antwortete Christian und drückte seinem Mann einen Kuss auf den Mund. Er stieg aus, öffnete die Hintertür und holte die Babyschale vom Rücksitz. Der Kleine atmete ruhig und friedlich, und Christian glaubte ein Lächeln auf seinen Lippen zu sehen. Inständig hoffte er, dass sein Sohn sich nie, auch nicht unterschwellig, an den Rauchbombenanschlag erinnern würde. Alexander blies ihm eine Kusshand zu. Christian fing den Kuss und wandte sich lächelnd ab.

      Bevor er in der Jeans nach den Wohnungsschlüsseln kramte, drückte er prüfend mit der Schulter gegen die Haustür. Sie sprang nach innen auf. Jemand hatte also wieder den Türschnapper verstellt – praktisch. Mit Louis beladen quälte er sich die Treppe in den vierten Stock hinauf. Mit jeder Stufe verfluchte er das Haus für das Fehlen eines Aufzugs. Schwer nach Luft schnappend stellte er seinen Sohn in die Küche und ging ins Bad, um sich etwas Bequemes anzuziehen. Das Handy klingelte in der Küche. Shit! Louis wacht von dem Krach auf, schoss es ihm durch den Kopf. Hastig die Jogginghose an sich hochziehend, stolperte er durch den Flur. Er fischte das Handy vom Tresen.

      »Thalberg?« Atemlos blickte er auf das Baby. Louis' Augen sprangen auf, seine Unterlippe flatterte, dann weinte er. Mist, fluchte Christian innerlich. Rüdigers Stimme trällerte in seinem Ohr.

      »Störe ich? Wie geht’s Louis?«

      »Wir sind eben nach Hause gekommen und du hast ihn geweckt.«

      »Oh, sorry!« Christian sah durch das Telefon Rüdigers verschmitztes Lächeln, das er einmal süß gefunden hatte und das sein Exfreund jedes Mal aufsetzte, wenn er in ein Fettnäpfchen gestolpert war.

      »Kein Problem«, flüsterte Christian und raufte sich das Haar. Er setzte sich auf den Küchenboden neben Louis und zappelte mit den Fingern vor seinem Gesicht.

      »Ich wollte fragen«, fuhr Rüdiger fort, »ob ich die DVD vom letzten Filmabend abholen kann. Ich weiß, ihr habt gerade andere Probleme ... aber es kostet mich ein Vermögen, wenn ich die Scheibe nicht in die Videothek ...«

      »Ja, ja, kein Problem, Rüdiger. Sie liegt auf dem DVD-Player. Kannst sie abholen.«

      »Klasse. Dann bin ich in zehn Minuten bei euch.«

      Christian schielte auf die Küchenuhr. Zehn vor zwölf.

      »Ist gut«, antwortete Christian. Louis war über den Zappelfingern eingeschlafen. Perfekt, dachte Christian, dann habe ich noch einen Moment. Er wollte in den Keller, um Rüdiger als Dankeschön für seine Hilfe während Louis' Namensfeier eine Flasche Wein zu holen. Zuvor setzte er ein Wasserbad auf dem Herd an, um das Mittagsgläschen zu wärmen: Möhrchen mit Rindfleisch. Dann stieg er hinunter ins Souterrain.

      »Herr Thalberg!«

      Christian zuckte zusammen; beinahe wäre ihm der Wein aus der Hand gerutscht. Vor ihm stand, die Arme in die Hüften gestemmt, die Hausmeisterin.

      »Machen Sie immer diesen Schniepel nach unten?«

      »Den was? Wohin?« Christian furchte die Stirn und schloss die Gittertür hinter sich. Er plante nicht, sich in ein längeres Gespräch verwickeln zu lassen.

      »Na, den Schniepel an der Haustür, der macht, dass man die Tür nur aufdrücken braucht!«

      »Ach, den meinen Sie!« Christian schob sich an der Hausmeisterin vorbei und drückte die Brandschutztür auf. Er erschrak, als er jetzt Louis' Weinen von oben herabschallen hörte. »Nein«, sagte er, »den benutze ich nie …«

      Die Hausmeisterin blickte ihn eindringlich