Jonas Nowotny

Die Kinder der Schiffbrüchigen


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erklärst du mir mal, was du hier vor mir versteckst?« Die Gegenfrage hatte Mut gekostet. Zitternd deutete Renate mit dem Kinn auf die Flaschenarmee. Horst schien einen Moment lang nachzudenken. Dann schnellten seine Hände nach vorn, während er mit den Füßen eine Bierflasche aus der Parade fegte. Er schleuderte Renate am Hals gepackt gegen den Tannenholzverschlag. Ihr Kopf prallte auf das Holz.

      »Was versteckst du da hinter dem Rücken?«

      »Nichts!«, zischte Renate. Horst würgte sie fester. Er würde sie erdrosseln, da war sie sich sicher, heute würde er es tun!

      »Gib her!«, forderte er. Seine Fahne schlug ihr ins Gesicht. Sie röchelte nach Luft. Noch ein paar Sekunden länger im Würgegriff und ihr würde schwarz vor Augen werden …

      »Hi ... hier.« Renates Hand kam zitternd mit dem Brief nach vorn. Horst ließ von ihr ab. Das Papier würde ihr Todesurteil sein.

      »Liebste Renate, mein Engel!«, las Horst laut, nachdem er den Brief unwirsch entfaltet hatte, »ich hoffe, mein Bote ist zuverlässig und diese Zeilen erreichen dich!« Er senkte das Papier, die Augen zu Schlitzen gekniffen. »Du Schlampe bescheißt mich?«

      Renate war inzwischen wieder zu Atem gelangt. Sie wollte leben, Louis gesund werden sehen. Forsch entriss sie Horst das Schreiben und zerriss es in einer Schrecksekunde in kleine Schnipsel.

      »Die Frage ist, wer hier wen betrügt, Horst. Diese ganzen Fla...«

      »Du lenkst ab! Wer ist der Typ?«

      »Das ist lange her. Es war vor deiner Zeit.«

      »Du lügst! Warum sonst versteckst du das vor mir? Du bescheißt mich! Du Schlampe bescheißt mich!«

      »Nein, du belügst mich!«, konterte Renate. Woher hatte sie nur ihren Schneid? »Du versprichst mir hoch und heilig, du hörst mit dem Saufen auf, und dann versteckst du hier …«

      »Das ist doch nicht gelogen!«, entfuhr es Horst.

      »Du hast Recht, das ist für blöd halten! Jeden Abend betrinkst du dich heimlich und glaubst, ich merk´s nicht, ich riech es nicht!« Renate konnte Horst durch die ansteigenden Tränen nur noch verschwommen sehen.

      »Nüchtern ist es mit dir ja nicht auszuhalten, du ewige Moralapostelin!« Er fischte eine Bierflasche vom Boden und schrappte den Kronkorken am Holz der Kellergatter ab. »Da gönne ich mir ein Blondes. Du bist ja schon lange nicht mehr blond, grau wie `ne Maus biste!« Demonstrativ legte er die Flasche an.

      Renate stopfte die Brieffetzen mit zitternder Hand in ihre Hosentasche und schob sich geduckt an Horst vorbei.

      »Ich muss los.«

      »Gehst du zu ihm?«

      Sie wischte sich mit der flachen Hand über die Augen.

      »Du weißt genau, dass ... ach, egal.« Sie machte eine abweisende Handbewegung. »Ich geh ins Krankenhaus, wenn du´s wissen willst. Zu Louis, deinem Enkel. Du erinnerst dich vielleicht?«

      Horst winkte ab, zog eine Packung Marlboro aus dem Hemd.

      »Schon gut, Hauptsache, ich muss deine Leier nicht anhören.«

      Renate wandte sich nochmals zu ihm um. »Ich habe mit Catrin über dich gesprochen ...«

      Horst zündete eine Zigarette an und blickte Renate entgegen.

      »Über dich und deine Flaschen!« Sie trat gegen die von Horst umgeworfene Bierflasche.

      »Hey, pass auf! Das ist Pfand drauf!« Horst sank auf den Boden, als wolle er seinen Schatz vor weiteren Tritten bewahren. »Was geht es die blöde Catrin an, wenn ich mal ein Bier trinke?«

      »Sie organisiert für dich einen Heilungsgottesdienst. Da gibt es einen Prediger. Er ...« Ihre Stimme glitt ins Flehende. Catrin und der Prediger waren ihre letzte Hoffnung auf einen trockenen Horst. Die Augenpaare der Eheleute trafen sich. Hass funkelte ihr entgegen. Dann sprang Horst unvermittelt auf und schleuderte sie zurück gegen das Holzgitter. Ein heißer Schmerz brüllte in ihrem Kopf.

      »Ich brauche keinen beschissenen Prediger! Ich bin gesund!«

      Seine Fahne schlug ihr ins Gesicht, gefolgt von seiner Faust. Renate sank zu Boden, ihre Hände schützend vor dem Gesicht.

      »Du bist Alkoholi...«, weinte sie.

      »Wenn du das Wort noch einmal in den Mund nimmst«, raunte er, »dann bring ich dich um! Verstanden?« Er riss sie an ihrem Regenmantel hoch und presste sie gegen den Verschlag. Sie rechnete jeden Moment damit, dass ihr die Wirbel brachen.

      »Ver... Verstanden«, keuchte sie.

      Horst Griff lockerte sich. Er schüttelte seinen Kopf. »Na also. Man braucht sich ja nicht zu wundern, dass ich trinke. Bei der Frau.«

      Sein Lachen ging in einen Raucherhusten über. Renate streichelte sich schmerzverzerrt die Wange; Blut tropfte auf den Regenmantel. Wie dumm sie war! Verlassen sollte sie ihn, seit langem schon. Von Jahr zu Jahr wuchs seine Brutalität. Eines Tages würde er sie totschlagen. Dann brauchte sie keine Ausreden mehr für ihre Veilchen. Der Faustschlag, der er ihr versetzt hatte, würde ein neuer blauer Fleck werden. Was für ein tollpatschiges Weib sie war, dachten die Leute bestimmt. Horst blickte sie hasserfüllt an. Er nippte am Bier und zog an seiner Zigarette.

      »Glotz mich bloß nicht so blöd an. Wolltest du nicht weg?«

      Renate nickte schwach und schlurfte mit wackeligen Beinen aus dem Keller. Sie war eine feige Frau, gab sie sich zu.

       Kapitel 8

      Zur selben Zeit, drei graue Häuserblocks weiter, grollte Donner, als Björn aus dem VW-Bus sprang, die Autotür zuschleuderte und seinem Kollegen im Auto zum Abschied winkte. Mit der Kapuze hätte er sich vor dem Platzregen schützen können, aber er zog sie sich nicht über den Kopf. Er empfand den Schauer als reinigend, reckte das Gesicht in den Regen. Der Kollege hupte mit dem Scheinwerfer und fuhr weiter.

      Die wenigen Schritte bis zur Tür zogen sich hin, als trüge er ein unsichtbares Gummiband im Rücken. Bleiern waren seine Füße. In diesem Moment wollte er überall hin, nur nicht heim. Im Hausflur triefte er vor Nässe und legte eine Tropfspur ins erste Obergeschoss. Dort betrachtete er vor der Wohnungstür die Wasserlache, die sich um ihn auszubreiten begann. Er zögerte. Noch konnte er umkehren. Ein müdes Lächeln stahl sich in sein Gesicht. Dann steckte er den Schlüssel ins Schloss. Die Gelegenheit zur Flucht war verstrichen.

      Björn schob sich in die Wohnung; ein warmes Flackern empfing ihn. Wo sonst Spielzeuge als Stolperfallen lagen, brannten heute Teelichter. Sie hatte Rosenblütenblätter verstreut. Björn packte der Impuls zur Flucht, unterdrückte ihn jedoch und schälte sich umständlich aus der Jacke. Endlich hing sie an der Garderobe. Nicht heute, dachte er, nicht jetzt!

      »Hey, Schatz!«, schnurrte Catrin.

      Björn wandte sich um und sah Catrin am Ende des Flurs, gegen den Türrahmen des Badezimmers gelehnt. Ein rotes Seidentuch züngelte neckisch um ihren nackten Körper. Ein unschuldiges Schulmädchenlächeln lockte ihn mit dem Zeigefinger näher. »Wir haben alle Zeit der Welt«, wisperte sie, »unsere süßen drei schlafen heute bei Tabea.«

      Ein Regentropfen lief Björn aus dem Haar über das Gesicht und fiel zischend in ein Teelicht. Er schluckte.

      »Komm schon«. Catrin ließ sich den Seidenschal wie eine Königsboa um den Hals gleiten und leckte sich lasziv die Lippen. Eine hübsche Frau und eine Schlange, dachte Björn. War das nicht ein Bild aus der Bibel? Adam und Eva. Auch heute würde Eva ihn dorthin bekommen, wo sie ihn haben wollte: ins Bett. Warum also dagegen ankämpfen.

      »Ich sehne mich schon den ganzen Tag nach dir.«

      Wie sie das sagte! In einem früheren Leben, das noch nicht lange zurücklag, war er auf seine graue Maus am Herd stolz gewesen. Konnte sie sich doch im Handumdrehen in ein williges Bunny verwandeln und ihn sein lassen, was er nur zu gerne war: ein richtiger Mann, einer, der sich holte,