Jonas Nowotny

Die Kinder der Schiffbrüchigen


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oder was?«, präzisierte er. Catrin versteckte ihr Grinsen hinter einem Nippen am Kindersekt.

      »Und ich dachte, ihr seid gekommen, weil ihr unsere Familie endlich akzeptiert!«, fuhr Christian fort.

      »Um Himmelswillen! Wie naiv du doch bist!« Catrin lachte abschätzig und wiegte Maria im Arm. »Ich bin hier, weil mein Vater es wünscht und ich ihn nicht vergrämen will. Ich werde nie akzeptieren können, was vor Gott eine Sünde ist.« Sie schüttelte den Kopf, als käme sie nicht über die Blauäugigkeit ihres Schwagers hinweg. »Wenn jemand bei einem Manne liegt«, fuhr sie fort, »wie bei einer Frau, haben sie getan, was ein Gräuel ist. Drittes ...«

      »Drittes Buch Mose, Vers 20, 13«, unterbrach Christian ihren Vortrag, »und sollen beide des Todes sterben; Blutschuld lastet auf ihnen. Ich hab den Scheiß auch gelesen, Catrin.« Er nahm das Messer vom Partytischchen. »Und? Was schlägst du jetzt vor?«, forderte er Catrin heraus, »soll ich mir gleich hier die Pulsadern aufschneiden oder mich lieber später vor einen Zug legen? Was verlangt die Bibel? Steinigen?« Christian drückte sich die Klinge an den Unterarm, Oliver den Auslöser seiner Kamera.

      »Lästere du nur!«, raunte Catrin. Verstohlen schaute sie sich um, als würde ihr die Unterhaltung unangenehm. Als sie jedoch bemerkte, dass sich die übrigen Partygäste nur füreinander interessierten, setzte sie nach: »Du wirst deine Strafe bekommen, wenn ihr Euer Leben zum Zorn Gottes fortführt. Und jetzt zieht ihr noch ein unschuldiges Kind in das Ganze hinein.«

      Christian lachte. »Vielleicht sollte ich mir besser die Kehle durchschneiden?« Er ließ die Klinge vor seinem Hals tanzen.

      »Du bist peinlich«, zischte Alexander und wand Christian das Messer aus der Hand.

      »Peinlich? Ich?« Christian stemmte die Hände in die Hüften. »Deine Schwester ist es doch, die ...«

      Alexander zog Christian an sich und schloss ihm mit einem Kuss den Mund.

      »Isch do... wa...«, versuchte Christian weiterzusprechen. Für alle sichtbar schob Alexander ihm seine Zunge in den Mund.

      »Ekelhaft!« Catrin drehte sich weg. »Lasst uns Oma suchen«, schlug sie den Kindern vor, Björn trottete stumm seiner Familie hinterher.

      »Ein richtig kleiner Drache!«, lachte Rüdiger. Oliver erwiderte nichts. Stumm blickte er Catrin nach, bis sie verschwunden war. Er glaubte nicht an das Märchen von der Liebe auf den ersten Blick, denn nie zuvor hatte ihm der bloße Anblick einer Frau ein wohliges Bauchkribbeln beschert. Gern wäre er jetzt Catrin gefolgt, doch er erinnerte sich, warum er hier war. Er lenkte seine Aufmerksamkeit zurück auf die beiden Väter. Gerade schwankte ein Herr, dessen zotteliger Schopf schon länger keine Friseurschere begegnet war, auf die beiden zu. Sein weißes Hemd trug Schwitzflecken und ragte im Schritt aus der Hose heraus.

      »Was hat Catrin denn wieder gebissen?«, lallte er, während er an einem Partytischchen Halt suchte.

      Christian bedachte den Betrunkenen mit einem verächtlichen Blick und löste sich aus Alexanders Umarmung. Oliver rückte näher ans Geschehen. Eine unbestimmte Ahnung verriet ihm, er würde gleich weitere Familieninterna lernen.

      Und dann sah er sie. Mit einem dunkelblauen Blazer gekleidet, bahnte sie sich vorsichtig einen Weg durch die Trauben aus Gästen.

      »Da bist du, Horst!« sagte sie und stellte sich neben den schwankenden Mann. Oliver schätzte sie auf Mitte fünfzig, obwohl der Dutt, zu dem ihr graublondes Haar geknotet war, sie älter wirken ließ.

      »Ihr habt doch nicht etwa wieder gestritten?« Ihre besorgten Augen sprangen zwischen Horst und Christian hin und her.

      »Streit? Wer streitet sich denn?« Horst gab sich empört. »Sohn, sag deiner Mutter, dass ich nicht zoffen wollte.«

      Christian blies die Backen auf und blickte hilfesuchend auf die Frau hinab.

      »Ich hab nur wissen wolln«, lallte Horst weiter, »was deine Freundin wieder zu stänkern hatte.«

      »Catrin ist hier?« Die Miene der Frau erhellte sich. »Dann will ich sie suchen und ihr hallo sagen.«

      »Mama.« Christians Stimme klang flehend.

      Ein warmes Ziehen durchwanderte Olivers Magen. Wenn Christian die Frau im Blazer, dessen Kragen phantasievoll mit Pailletten bestickt war, Mama nannte, bedeutete dies, dass sie die Gesuchte war: Renate Bensch.

      »Kommst du, Horst?« Renate zog ihn am Ärmel. Horst riss sich von ihr los. »Lass mich und geh!«

      Renate blickte ihren Sohn an und zog entschuldigend die gepolsterten Schultern hoch. Dann wandte sie sich ab und ging. Oliver klickte ihr zweimal mit der Kamera hinterher, als könne er damit die Versuchung unterdrücken, ihr zu folgen. Versonnen befühlte er das Pfand in seiner Hosentasche; warm und leicht lag es in seiner Hand. Der Betrunkene stänkerte unterdessen weiter. War er der, für den Oliver ihn halten durfte? Der Gedanke ernüchterte ihn.

      »Catrin hat wohl nicht gepasst, dass ihr euren kleinen Wadenbeißer nicht ordentlich taufen lasst, was?«, riet Horst und sog an seiner Bierflasche. Schwankend linste er in den Kinderwagen, ehe er die Flasche absetzte und rülpste. »Und soll ich euch was sagen?«

      »Nein, Papa«, fuhr Christian ihn an.

      Horst sprach weiter: »Ich kapier‘s auch nicht. Was soll dieses bunte Treiben hier?« Horst wedelte mit der Flasche, dabei schwappte Bier heraus. Die Aufmerksamkeit der Gäste galt jetzt ungeteilt ihm. Amüsiert steckten sie die Köpfe zusammen.

      »Warum gibt es keine richtige Taufe, mit Pfarrer und Weihwasser?«

      Christian drückte sich die Hände vor das Gesicht, als perlten Horsts gelallte Fragen an ihm ab wie der verschüttete Alkohol.

      »Papa, du machst dich hier zum Affen!«, raunte er seinem Vater zu. Horst fasste sich ans Herz, als sei Christians Vorwurf ein vergifteter Pfeil. »Ich hab nur was gefragt. Ist es nicht mehr erlaubt, seinen Sohn was zu fragen? Ein Kind gehört getauft. In einer Kirche. Frag Mutter!« Horst setzte die Flasche an.

      »Im Gegensatz zu dir scheint Mutter kapiert zu haben, dass Louis nicht in unserer Familie wäre, wenn es nach dem Willen ihrer Kirche ginge, in die euer Enkel getauft werden soll!«, antwortete Christian. »Eure verlogene Kirche bekämpft das Adoptionsrecht für Schwule, als wäre es das schlimmste Übel auf dem Planeten.« Den Wutschaum um Christians Mund hielt Oliver fotografisch fest. Das Bild jedoch, das sich auf dem Bildschirm der Kamera zeigte, war verschwommen: Christian hatte sich mit den Worten »Louis braucht seine Flasche« abgewandt und war gegangen.

      »Jetzt spielt er wieder die beleidigte Leberwurst«, jammerte Horst, die Flasche nur kurz von den Lippen nehmend. Alexander legte den Arm um die Schulter seines Schwiegervaters. Gerade noch für Oliver vernehmbar, raunte er ihm zu: »Wenn du uns hier die Party versaust, werfe ich dich höchstpersönlich von Bord!«

      Oliver wandte sich ab. Das Beobachtete hinterließ in ihm ein unbestimmtes Gefühl. Plötzlich erfasste ihn der Gedanke, seine Pläne zu verwerfen, es einfach sein zu lassen und von Bord zu gehen. Vielleicht würde es ihm nicht gut bekommen, im Leben von Renate Bensch herumzuschnüffeln.

       Kapitel 2

      Oliver stellte sich abseits des Trubels an die Reling und holte Luft. Über seinem Kopf segelten drei Möwen und motzten. Er fotografierte sie, ehe er den Rucksack neben sich stellte und das schwarze Sakko auszog. Eine Brise kühlte ihm den nassen Rücken. Er hielt sich mit beiden Händen an der Balustrade fest und zog die Luft tief durch die Nase ein. Dann seufzte er. Was tat er hier? Er gehörte nicht hierher. Wie naiv war es gewesen zu glauben, ihr Leben habe sich ab dem Moment, als sie ihm das Pfand zusteckte, jeder weiteren Entwicklung entzogen. Nein, selbstverständlich war sie verheiratet, und selbstverständlich hatte sie einen Sohn. Das Kreischen eines Mädchens schreckte ihn aus seinen Gedanken …

      »Mein Bild! Mein Bild!« Rebecca rannte über das Deck. Sie verfolgte ein Blatt Papier, das von eine Böe erfasst worden war. Flatternd kam es auf Oliver zu. Dann wurde es von den Eisenstangen der Reling aufgehalten. Oliver versuchte es