Manuel Biener

Darwins Prophezeiung


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Warum? Weil es die ganze Situation hier bestätigt. Die Felder werden nicht mehr ordentlich gepflegt. Es wird nur schlampig gejätet. Wenn man da nicht hinterher ist, wuchert alles zu. So ist das.“

      „Und in ihren Reisfeldern da oben ist nichts?“

      „Nein. Alles bestens.“

      „Kommt ihre Frau eigentlich von hier aus der Gegend?“ erkundigte ich mich, damit der dünne Gesprächsfaden nicht abriss.

      „Nein. Sie ist nicht von hier.“

      Mein Elan flachte ab wie eine Welle am Strand. Alle Bemühungen, Butzmann in Plauderstimmung zu versetzen, liefen ins Leere. Einen letzten Versuch wollte ich aber noch unternehmen.

      „Diese verschiedenen Sorten Gemüse, die sie hier anbauen. Zeigen Sie mir, was das alles ist? Sie sind ja der Experte.“

      „Ich habe im Moment wenig Zeit.“ Butzmann hob den linken Arm und schaute auf sein Handgelenk, an dem sich aber keine Uhr befand. „Ich bin gerade erst von einer längeren Reise zurückgekommen.“

      „Ach so, wo waren Sie denn?“, fragte ich dreist, um wenigstens noch eine interessante Information zu erhalten.

      „Laos.“

      Laos, so, so. Was er da wohl gemacht hat? Auf diese Frage wollte ich es jetzt nicht mehr ankommen lassen, um Butzmann nicht zu verstimmen. Das durfte ich im Moment noch nicht riskieren.

      „Gut, Herr Butzmann. Dann will ich sie auch nicht länger aufhalten. Ich bin ja noch ein paar Tage hier, dann schaue ich einfach ein anderes mal wieder vorbei. Bis dann!“, kündigte ich an und vermied es, Butzmann die Hand zu reichen.

      Da sich Frau Butzmann, weiter Setzlinge pflanzend, inzwischen zu weit entfernt hatte, um einen verabschiedenden Gruß noch in normaler Gesprächslautstärke übermitteln zu können, verzichtete ich darauf und wandte mich zum Gehen.

      Das lief nicht besonders gut. Verdammt. Es war zwar klar, dass mein erster Besuch bei Butzmann nicht mit einer Blutsbrüderschaft enden würde, aber dass es so schwierig war, einen Zugang zu ihm zu finden, hatte ich nicht erwartet.

      Vielleicht hätte ich ihm eine Kleinigkeit mitbringen sollen, eine Flasche Wein aus Deutschland oder so. Quatsch, dann hätte ja alles nicht mehr nach Zufall ausgesehen, fiel mir ein. Egal jetzt, ich musste mir etwas anderes überlegen. Ein Ansatzpunkt wäre vielleicht seine Frau. Wenn sie zum Einkaufen ging oder so, könnte ich mit ihr ein Gespräch anfangen, um auf diese Weise an weitere Informationen zu kommen. Eine große Aussicht auf Erfolg versprach das allerdings nicht, nach meinem Eindruck von ihr. – Nein, kann man vergessen.

      Dann kam mir ein neuer Gedanke. Wie wäre es denn, wenn man Kitty darauf ansetzen würde. Genau. Gute Idee. Ich würde Butzmann noch einmal besuchen, dann aber mit Kitty im Schlepptau. Wenn es noch jemanden gelingen konnte, die Atmosphäre dort aufzulockern, dann ihr. Sie würde mit Sicherheit auch einen Draht zu seiner Frau bekommen, und die würde dann etwas zutraulicher werden. Meine Stimmung hellte sich wieder auf.

      Ich war soeben in die Lodge zurückgekehrt, als mir mein Handy den Eingang einer SMS signalisierte. „Manuel, habe Neuigkeiten zum Unkraut. Komme mit Nachtbus, bis morgen früh, Erik“, lautete die Botschaft. Da kann man ja mal gespannt sein. Wenn sich Erik extra hier her bemühte, hielt er die Sache wohl für ziemlich bedeutend.

      Als ich mich nach Einbruch der Dunkelheit frisch rasiert und geduscht in Richtung Marktplatz begab, geschah dies natürlich in der Hoffnung auf eine weitere Begegnung mit Kitty. Wenn sie mich aus einer spontanen Laune oder einem tiefen Bedürfnis heraus heute noch einmal sehen wollte, konnte sie davon ausgehen, mich dort zu finden. Ich würde mich also eine Weile dort herumtreiben, denn schließlich hatte ich ihr ja auch etwas mitzuteilen. Die Nachricht von Erik.

      Ich hielt den verstaubten, mit einem Geflecht aus Rattan verzierten Schädel eines Schweins in den Händen, der, wie mir der Inhaber des Souvenirladens erklärte, früher ein Ifugaohaus schmückte. Ganz früher allerdings, zu Zeiten der Kopfjagd, verwendete man dafür die Schädel der getöteten Feinde, die dann leider gegen solche Ersatzteile ausgetauscht werden mussten. Wenn Interesse bestünde, könne er, der Inhaber, mir aber auch eine Original-Kopfjagdtrophäe besorgen. Verfügbar seien noch solche von japanischen Soldaten aus dem zweiten Weltkrieg, die in den Wäldern der Gegend aufgespürt wurden, wohin sie nach der Kapitulation von General Yamashitas Armee, hier im benachbarten Tal, geflohen waren. General Yamashita übrigens war im Besitz eines enormen Goldschatzes, den er nicht mehr außer Landes bringen konnte, sondern irgendwo hier in der Nähe ...

      Ich bekam nicht mehr mit, was der Alte weiter erzählte, da ich aus dem Augenwinkel heraus Kittys Anwesenheit registriert hatte. Sie stand wenige Meter neben mir und beobachte mich amüsiert.

      „Danke, das mit dem Schweineschädel werde ich mir überlegen“, sagte ich höflich, gab das Stück zurück und wandte mich Kitty zu, die mich mit ihrer typischen Art – den Kopf leicht zur Seite geneigt – anlächelte.

      „So ein Zufall aber auch“, bemerkte ich schmunzelnd. Ich freute mich.

      „Nicht wahr? Und das in einer so großen Stadt!“, erwiderte sie munter.

      Ihre offenbar gute Laune ausnutzend, wagte ich es, sie kurz am nackten Arm zu tätscheln.

      „Darf ich dich zum Essen einladen?“, fragte ich.

      „Die Vielfalt der einheimischen Küche genießen. Gerne. Dort wo wir letztes Mal waren oder am Stand nebenan?“

      „Beehren wir doch zur Abwechslung mal die andere Wirtin. Damit es keinen Neid gibt zwischen den beiden.“

      „Tja, wenn das so einfach wäre. Wenn wir jetzt woanders hingehen, denkt unsere erste Köchin, dass es uns bei ihr nicht geschmeckt hat. Dann ist sie gekränkt und die andere schadenfroh.“

      „Wenn das so ist, dann dürfen wir gar nichts essen. – Vielleicht sollten wir einfach nur an uns denken?“, meinte ich und hoffte, dass Kitty diese Bemerkung nicht allein auf das Essen bezog. Ich muss jetzt aufs Ganze gehen, nahm ich mir vor. Morgen steht dieser Erik auf der Matte und dann würde ich kaum noch mit Kitty allein sein können.

      Auf unserem Weg zum Küchenstand fegte eine heftige Windböe über den Platz und wirbelte Staub und Abfälle auf. Donnergrollen und Wetterleuchten hinter den Bergen kündigten ein nahendes Gewitter an. Ich legte überflüssigerweise schützend den Arm um Kitty und zog sie an mich.

      Nur wenige Sekunden nach den ersten dicken Tropfen, die uns noch während des Essens am Tisch trafen, kam es zum Wolkenbruch. Der wahre Sinn dieses Wortes offenbart sich einem nur in den Tropen. Gigantischen, schwebenden Wasserbehältern gleich, entladen die Gewitterwolken schlagartig ihren Inhalt. Dabei entstehen keine Tropfen, sondern dicke Wasserstränge, die sich wiederum zu wasserfallartigen Schleiern verbinden und mit einem gewaltigen Tosen herabstürzen. Mittendrin hat man das Gefühl der völligen Isolation, da selbst die unmittelbare Umgebung optisch und akustisch plötzlich verschwindet. Auf ebenem Gelände, wie jetzt auf dem Marktplatz, staut sich das Wasser binnen kürzester Zeit auf mehrere Zentimeter, da die auftreffende Menge weit größer ist als die, die irgendwo abfließen kann.

      Wir sprangen auf und suchten Zuflucht hinter dem Wasserfall, der vom schmalen Dachvorsprung eines nahen Gebäudes herabschoss. Im trüben Licht der Neonleuchte, die unter dem Wellblech angebracht war, richtete sich mein Blick zunächst auf Kitty Brust, an der das durchnässte, weiße T-Shirt klebte. Darunter befand sich aber leider noch ein dunkles, eng anliegenden Oberteil aus einer Art Stretchstoff, für das es sicher auch einen Fachbegriff gab, den ich aber nicht kannte.

      Dann schaute ich Kitty in die Augen und strich ihr zärtlich das nasse Haar aus dem Gesicht, während ich mit der anderen Hand an ihrem Rücken rieb. Kitty ließ beides einen Moment lang geschehen, bis sie meine Hände in ihre nahm und sie drückte, während sie mich mit ihren großen Augen ansah. Ein deutliches Zeichen. Ich erwiderte den Druck ihrer Hände und überlegte krampfhaft, was ich Kitty auf diese Geste hin bedeutsames sagen sollte. „Du hast wunderschöne Augen“, wollte ich schließlich romantisch flüstern, musste ihr diese Worte im tosenden Lärm aber beim dritten Versuch der Übermittlung ins Gesicht brüllen,