Manuel Biener

Darwins Prophezeiung


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und dem Logo der Firma, eine kurze Sporthose und Tsinelas.

      „Hallo Joel. Ich möchte dir Manuel aus Deutschland vorstellen. Er ist Biologe und interessiert sich für das Problem mit dem Unkraut.“

      Joel hatte sich erhoben und begrüßte mich mit ausholendem Handschlag.

      „Freut mich, dich kennen zu lernen“, sagte er aufgeräumt.

      „Sind sie Bildhauer?“, fragte ich, um das Gespräch in Gang zu bringen und weil mir die archaisch anmutenden Holzskulpturen unter dem Haus neben der Werkstatt aufgefallen waren.

      „Das ist mehr ein Hobby“, sagte Joel bescheiden.

      „Joel ist Künstler. Er hatte auch schon Ausstellungen in Japan und Australien“, stellte Kitty klar.

      „Ich orientiere mich an Figuren, die in der Religion und der Kultur der Ifugao Bedeutung haben und schon früher aus Holz gefertigt wurden“, erläuterte Joel, „wie zum Beispiel die Bulul, das sind die Reisgötter.“ Er zeigte auf eine Gruppe großer, menschenähnlicher Figuren in hockender Haltung. Ich fand sie sehr beeindruckend.

      „Man könnte tatsächlich glauben, dass die derzeitige Situation eine Strafe der Reisgötter ist – dafür, dass sie sich nicht mehr gewürdigt fühlen, weil der traditionelle Reisanbau zunehmend an Bedeutung verliert“, sinnierte Joel. „Aber bevor wir darüber reden, essen wir erst mal was. Meine Frau hat einen Topf Süßkartoffeln auf dem Feuer, die dürften jetzt so weit sein. Kitty, besorgst du bitte mal die Teller?“ Sie nahm das Bolo, das ihr Joel hinhielt. Beide entfernten sich und ich sah mir in der Zwischenzeit die Kunstwerke genauer an.

      „Setz dich, Manuel!“, rief Kitty. Auf dem Holztisch unter dem Haus stand ein Bambuskorb mit dampfenden Knollen, und an jedem Platz lag ein Stück des Bananenblattes, das Kitty besorgt hatte.

      „Hier ist frisches Quellwasser.“ Joel brachte noch eine Plastikflasche und Gläser. Ich schnitt eine Süßkartoffel in Scheiben und bestreute sie mit Salz. Sie hatte einen köstlichen, unerwartet aromatischen Geschmack. Ich fühlte sich auf einmal sehr wohl und empfand sogar einen kleinen Moment des Glücks.

      „Diese Süßkartoffeln sind eine alte Sorte und typisch für diese Region. Wahrscheinlich gibt es die woanders gar nicht“ erklärte Joel auf mein Lob des einfachen Mahles hin. „Früher waren sie hier das Grundnahrungsmittel der Familien, die keine oder nur kleine Reisfelder besaßen. Auch heute gelten sie noch als Arme-Leute-Essen und werden hauptsächlich als Schweinefutter verwendet. – Meine Frau hat übrigens gerade erzählt, dass sie dieses neue Unkraut auch in einem Süßkartoffelfeld entdeckt hat. Die frisch gepflanzten Setzlinge sind schon alle kaputtgegangen.“

      „Weiß denn hier jemand etwas genaueres über diese Pflanze? Ist die neu hier oder gab es sie auch schon früher?“ griff ich das Thema auf.

      Joel nickte. „Ich habe mich bei einigen alten Frauen erkundigt, die noch über ein großes traditionelles Wissen verfügen. Aber sie kannten die Pflanze nicht. Ein alter Ifugao-Priester hat jedoch behauptet, dass es sie hier früher einmal gab, allerdings ziemlich selten. Er bezeichnete sie als ‚wilden Reis’. An eine Situation wie diese kann aber auch er sich nicht erinnern. So etwas gab es demnach zumindest in den letzten sechzig Jahren noch nie.“

      Ich dachte nach. „Mit solchen Pflanzen kenne ich mich leider nicht gut aus“, gestand ich ein, „aber ‚wilder Reis’ könnte alles mögliche sein. Vielleicht ist es wirklich eine Urform der kultivierten Sorten. Es kommen aber auch Arten in Frage, die mit den heutigen Züchtungen verwandt sind, oder andere Gräser, die den Reispflanzen ähnlich sehen. Es gibt ja zum Beispiel auch diesen so genannten Wildreis aus Nordamerika mit den langen, schwarzen Körnern. Das ist aber eine Grasart, die botanisch mit dem Reis hier nichts zu tun hat, sondern zu einer ganz anderen Gattung zählt.“

      „Wir können uns das ja alles mal ansehen. Ich habe dort hinten ein paar Reisfelder.“ Joel deutete mit dem Kinn in die Richtung, aus der wir gekommen waren. „Gleich um die Ecke.“

      Nach einem kurzen Stück auf dem ebenen Fußweg im Tal schlugen wir einen steilen Pfad ein, der zwischen hohem Schilfgras zu den ersten Reisterrassen hinaufführte. Über Deiche und mit Trittsteinen befestigten Stufen in den Lehmwänden der Terrassen ging es weiter nach oben, bis Joel vor einem kleinen Feld stehen blieb. „Hier ist soweit nichts ungewöhnlich“, erklärte er, als Kitty und ich neben ihm standen. „Das ist alles gepflanzter Reis, der sich auch normal entwickelt.“

      „Und warum kann es nicht auch dieses Gras sein?“ fragte ich nach.

      „Weil wir dieses Feld genau beobachten und auch selbst bepflanzt haben.“

      „Und wann war das?“

      „Anfang März, vor fünf Wochen, wie alle Felder hier. Das ist jedes Jahr so. Die Ernte ist dann im Juli. Normalerweise. Dann kommt die Brachezeit, in der es in dieser Höhenlage für den Reisanbau zu kühl ist. Zumindest für die traditionellen Sorten. Im Januar werden dann die Saatbeete angelegt, in denen die Setzlinge für die neue Saison heranwachsen, bevor man sie in die Felder auspflanzt. So läuft das hier schon seit 2000 Jahren.“

      Joel führte uns zu einem anderen Feld. „Und so sieht dieses Unkraut aus“, zeigte er. „Kurz nachdem der Reis gepflanzt wurde, ist es hier erschienen.“ Es war die Situation, die mir schon auf dem Weg zum Aussichtspunkt aufgefallen war: Ein dichter, saftig grüner Bestand, der aussah wie Reis, und dazwischen einzelne strohige, abgestorbene Pflanzen, von denen Joel eine herauszog und uns zeigte.

      „Das ist der gepflanzten Reis“, erklärte er, „oder das, was davon übrig ist.“

      „Gibt es irgendwo auch ausgewachsene Exemplare von diesem komischen Unkraut?“, wollte ich wissen.

      „Oh ja. Sie stehen in den Feldern, in denen dieses Jahr kein Reis angebaut wurde. Ein Stück weiter oben ist so eins.“ Joel zuckte mit dem Kopf als Zeichen, ihm zu folgen.

      „Wahnsinn!“ entfuhr es mir angesichts des wilden Dickichts, von dem das gesamte, vor uns liegende Feld eingenommen wurde. Der Bestand erreichte eine Höhe von etwa eineinhalb Metern. Die Triebe und Ausläufer mit den langen, schmalen Blättern wucherten in alle Richtungen und bedeckten auch den Deich der Terrasse.

      „So sah es gegen Ende der Brachezeit in den meisten Feldern aus“, kommentierte Joel.

      „Und wie war das vorher, in den früheren Jahren?“ Ich schüttelte immer noch staunend den Kopf.

      „Da man die Felder in der Brachezeit sich selbst überlässt, sprießen da natürlich auch alle möglichen Wildgräser und Kräuter. Aber das ist kein Problem, im Gegenteil. Die werden dann einfach von Hand in den weichen Schlammboden gedrückt und dienen als Gründünger für den Reis, der dann gesetzt wird.“

      „Und die Bauern haben sich nicht gewundert, dass diesmal nur diese Pflanze hochkommt, und dann noch in diesem Ausmaß?“

      „Gewundert schon. Aber Sorgen hat sich deshalb noch niemand gemacht. Man hat es auf die ungewöhnliche Trockenheit im letzten halben Jahr zurückgeführt. Normalerweise ist es in der Brachezeit feucht und kühl, aber diesmal hat es kaum geregnet. Vielleicht der Klimawandel. Dadurch sind viele Felder zeitweise auch völlig ausgetrocknet, was sonst auch nicht passiert. Es waren einfach andere Bedingungen als sonst.“

      „... die für diesen vermeintlichen Wildreis günstiger waren als für die Arten, die nur im Wasser wachsen können“, folgerte ich. „Ja, das ist durchaus denkbar.“ Ich griff mit beiden Armen in das Gestrüpp, zerrte es auseinander und versuchte, eine der Pflanzen, die bereits Rispen trugen, herauszulösen. Die messerscharfen Blattränder schnitten mir in die Haut. „Das ist ja wirklich ein verdammt übles Zeug!“, fluchte ich, nachdem es mir lediglich gelungen war, ein längeres Stück Spross abzureißen. „Es hat aber tatsächlich eine gewisse Ähnlichkeit mit Reis.“ Ich hielt eine reife Rispe in die Höhe. „Der Fruchtstand ist allerdings nicht so kompakt.“ Mit den Fingernägeln puhlte ich einen der Samen aus seiner Hülle und präsentierte ihn in der offenen Hand. „So sehen die aus. Klein und rotbraun. Nicht so länglich wie Reiskörner, und nur halb so groß.“

      „Und?