Manuel Biener

Darwins Prophezeiung


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      „Schlechte Pflanze! Nicht gut!“ erklärte sie in gebrochenem Englisch und sah mich erwartungsvoll lächelnd an. Sie hatte nur noch wenige Zähne.

      „Ach so, ja. Danke!“ erwiderte ich irritiert und sah zu, dass ich weiter kam. Auch hier blieb man von Demenz eben nicht verschont. – Ob die zu Hause wissen, was ihre senile Oma hier gerade veranstaltet? Die Reisernte fällt bei denen dieses Jahr jedenfalls aus, soviel war sicher. Aber das ist ja nun wirklich nicht mein Problem, winkte ich innerlich ab, nachdem ich die spontane Idee, irgendjemanden darüber zu informieren, wieder verworfen hatte. Es würde wohl zu weit führen, sich als Americano in die privaten Angelegenheiten einer hiesigen Bauernfamilie einzumischen.

      Ich war fast am Ziel. Beiderseits der Straße standen jetzt wieder Häuser, in manchen befanden sich kleine Souvenirläden.

      „Manuel!“

      Ach sieh mal einer an. Die Miss Mendoza. Von der anderen Straßenseite aus, wo sie auf einem niedrigen Holzschemel saß, winkte sie mir zu. Sie hatte Jeans und ein weißes T-Shirt an, und statt ihrer roten Schuhe trug sie nun die landesüblichen Tsinelas, die außerhalb der Philippinen als Flip-Flops bekannt sind. Schräg gegenüber von ihr saß ein älterer Mann auf der Treppe zu einem Hauseingang. Ich entschied mich, keine Emotionen zu zeigen, hob kurz die Hand und ging weiter. „Hi!“ war alles, was ich sagte.

      Ich hatte gerade den größten Durst mit einer sogar kalten Cola gelöscht und stand an der Umrandung der betonierten Aussichtsplattform. Das Panorama war in der Tat beeindruckend, aber ich nahm es kaum wahr. Gedanklich machte ich an meinem Verhalten gegenüber Kitty herum. Es war vielleicht doch falsch gewesen, sich so abweisend zu geben. Eine kindische Trotzreaktion. Sie schien sich jedenfalls gefreut zu haben, mich zu sehen. Aber eigentlich konnte sie von mir auch nichts anderes erwarten, nach ihrem Abgang gestern Abend. Da konnte ich nicht so tun, als wäre nichts gewesen. – Oder sollte ich jetzt doch umkehren, in der Hoffnung, dass sie noch dort war, und dann einlenken?

      Plötzlich spürte ich eine Hand an meiner Schulter und zuckte zusammen.

      „Hallo Manuel“, sagte Kitty.

      Ich drehte mich um, holte tief Luft und sagte nichts. Ich erwartete eine Erklärung, aber Kitty sah mich nur an. Mit leicht zur Seite geneigtem Kopf, genau wie Irmtraud immer. In ihrem Blick lag eine Spur von Besorgnis. Ich weiß, dachte ich. Ich seh` scheiße aus, weil ich gestern zu viel gesoffen habe und rasiert bin ich auch nicht.

      „Manuel, hör mal ...“, begann sie schließlich. Oje, jetzt kommt’s, schwante es mir. Sie ist glücklich verheiratet, hat zwei Kinder, und das dritte ist seit kurzem unterwegs. Unbewusst richtete ich meinen Blick auf ihren perfekt flachen Bauch.

      „ ... ich würde gerne mit dir über etwas reden.“

      Ich nickte ahnungsvoll. „Wegen gestern.“

      „Gestern?“ Kitty schaute fragend. „Nein, etwas das ich heute Morgen erfahren habe.“

      „Na dann ist es ja gut, dass wir uns zufällig nochmal getroffen haben“, erwiderte ich in beleidigtem Ton.

      „Manuel. Glaubst du, ich hätte nicht herausgefunden, wo du untergekommen bist? Ich hätte mich auf jeden Fall auch noch von dir verabschiedet.“

      Verabschiedet? – Na toll.

      „Aha. Und was möchtest du jetzt mit mir besprechen?“ Neugierig geworden, beschloss ich, meine aufgekeimte Missstimmung zu unterdrücken.

      Einige lärmende Kinder bevölkerten inzwischen die Plattform und versuchten, durch Kaspereien meine Aufmerksamkeit zu erregen. Ein besonders vorwitziger Bengel zupfte an einer Schlaufe meines Rucksacks. Ich drehte mich abrupt um, riss die Hände hoch und mimte ein Monster, worauf die ganze Bande kreischend und lachend zurückwich.

      „Lass uns woanders hingehen“, entschied Kitty. „Da lang.“

      Sie ging voraus und folgte einem schmalen Pfad, der hinunter zu den Reisterrassen führte. Sicheren Schrittes bewegte sie sich in ihren Tsinelas über die schmalen Lehmdeiche der Felder. An einer Stelle, die vom Aussichtspunkt aus nicht einsehbar war, blieb sie stehen und nahm ihre Segeltuchtasche von der Schulter. Ich ließ meinen Blick über ihren Körper gleiten und war auf Enthüllungen aller Art gefasst.

      Mit einer ausschweifenden Handbewegung richtete Kitty meine Aufmerksamkeit auf das Tal. „Das meiste, was du hier siehst, ist kein Reis. Jedenfalls keiner, den die Bauern gepflanzt haben.“

      „Wie bitte? Was denn sonst?“ Ich warf Kitty einen kritischen Blick zu. Was redete die da für ein Zeug?

      „Das ist die große Frage. Es scheint irgendein Unkraut zu sein, das die Felder zuwuchert.“

      „Die Felder zuwuchert, wie meinst du das?“, fragte ich vorsichtig.

      „Es ist eine Art Gras, das sich überall in den Feldern ausgebreitet hat. Wenn es erscheint, wird der gepflanzte Reis nach kurzer Zeit gelb und stirbt ab. Das aufkeimende Gras sieht den Reissetzlingen zum verwechseln ähnlich, weshalb man es auch nicht so einfach herauszureißen kann. Abgesehen davon ist es dann für den Reis ohnehin schon zu spät. Die Bauern sind deshalb ziemlich verzweifelt. Manche versuchen jetzt, ihre Felder komplett zu jäten und nochmal ganz neu zu bepflanzen. Ob das was bringt, ist fraglich.“

      Dann war die Reisfeld-Oma also doch nicht verrückt, dämmerte es mir. Und Kitty vermutlich auch nicht.

      „Seit wann ist das schon so?“

      „Das hat wohl letztes Jahr bereits angefangen. Allerdings waren da noch wenige Felder betroffen, und nur im unteren Teil des Tales. In der Brachezeit hat sich die Pflanze dann aber stark vermehrt und kommt jetzt fast überall vor.“

      „Und jetzt willst du von mir wissen, ob ich eine Erklärung für das Ganze habe und ob man was dagegen tun kann.“

      „Genau. Du bist doch Biologe und kennst dich mit solchen Sachen aus. Vielleicht weißt du ja, was hier los ist.“

      Ich fühlte mich etwas schwach auf den Beinen und setzte mich auf die Deichkante. Kitty tat es mir gleich. „Also, zunächst mal“, begann ich nach kurzem Überlegen, „von einem Fall wie diesem habe ich noch nie etwas gehört. Natürlich gibt es in Reisfeldern, wie in anderen Feldern auch, eine ganze Reihe von Unkräutern, die allerdings kaum jemals so aggressiv sind. Ich könnte mir aber vorstellen, dass es sich in diesem Fall um eine invasive Art handelt, also ein neu eingeschlepptes Unkraut aus einer anderen Region, das hier besonders günstige Existenzbedingungen vorfindet. Sowas kommt immer wieder vor. Zum Beispiel auch die Wasserhyazinthe. Die stammt ursprünglich aus Südamerika und wurde nach Südostasien eingeschleppt. Jetzt wuchert sie hier überall auf den Flüssen und Seen.“ Ich nickte vor mich hin. Diese Erklärung erschien mir schlüssig. „Aber das ist nur eine erste Vermutung“, stellte ich klar. „Ich würde mir das alles gerne noch genauer ansehen.“ Mein wissenschaftliches Interesse war geweckt.

      „Das habe ich gehofft! Ich schlage vor, wir besuchen Joel. Er ist ein Bekannter von mir, bei dem ich heute Morgen schon war. Er hat mir das alles erzählt und kann sicher noch mehr dazu sagen.“

      Als ich mich erhob, wurde mir schwarz mit roten Punkten vor Augen. Einen Moment lang hatte ich Schwierigkeiten, das Gleichgewicht zu halten.

      „Da geht’s lang.“ Kitty zeigte auf die mehrere Meter hohen, senkrecht abfallenden Lehmterrassen, die vor uns lagen. „Ich hoffe, du bist schwindelfrei.“

      Nach etwa zwanzigminütigem Balanceakt auf den Deichen näherten wir uns einer kleinen Siedlung im Tal nahe dem Fluss. Zwischen Mangobäumen, Betelpalmen und Bananenstauden waren die pyramidenförmigen Dächer der kleinen, auf vier hohen Holzpfählen errichteten traditionellen Ifugaohäuser erkennbar. Die meisten Dächer waren aus Wellblech, aber es gab auch noch welche aus dem einst üblichen Schilfgras.

      „Kitty, warte mal. Du solltest bei Joel bitte nicht den Eindruck erwecken, dass ich hier der große Experte bin. Ich möchte keine falschen Hoffnungen wecken.“

      „Keine Sorge. Lass mich nur machen“, erwiderte sie und drückte kurz ihre Schulter