Manuel Biener

Darwins Prophezeiung


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oder in Japan. Viel Kitsch, aber auch Kunst. Hinzu kommt, dass der Reisanbau den jungen Leuten keine Perspektive mehr bietet, logisch. Hier werden nur traditionelle Sorten angebaut, und man hat nur eine Ernte im Jahr. Das hat früher für die Eigenversorgung gereicht, aber nicht um etwas zu verdienen. Die meisten Jugendlichen gehen deshalb weg, arbeiten in den Städten oder in Übersee, und unterstützen mit dem Geld ihre Familien. Andererseits können immer mehr Eltern ihren Kindern jetzt auch eine gute Ausbildung ermöglichen.“

      „Und dann gibt es bald niemanden mehr, der hier noch Reis anbauen will“, folgerte ich und freute mich, dass ein anregendes Gespräch in Gang gekommen war. Es könnte durchaus noch ein längerer und netter Abend werden. Vielleicht sogar ein sehr netter.

      „So ist es. Um die Felder kümmern sich jetzt fast nur noch die Alten. Und damit besteht die paradoxe Situation, dass die Reisterrassen durch den Tourismus zwar neue Einkommensquellen geschaffen haben, aber gerade deshalb immer weniger für ihren Erhalt gesorgt wird. Wenn sie verschwinden, kommen auch keine Touristen mehr. Außerdem gehören die Reisterrassen zum Weltkulturerbe der UNESCO, und dieser Status droht dann auch verloren zu gehen. Es sind eben keine steinernen Pyramiden, die ohne weiteres die Jahrhunderte überdauern. Durch meine Befragungen will ich in erster Linie herausfinden, wie dieses Problem in den Familien wahrgenommen wird und welche Konsequenzen sich daraus für ihre Zukunft ergeben. – Und du?“, schob sie unvermittelt hinterher. „Nur auf siteseeing hier?“

      „Ich?“ entfuhr es mir überrascht. Ich musste mich räuspern. „Ja ja, ich, äh, komme gerade von Leyte und will mir jetzt endlich mal die Reisterrassen ansehen. Hat bisher nie gereicht, von der Zeit her.“

      Um mich interessant zu machen, holte ich gleich weiter aus und berichtete von meiner Lehrtätigkeit an der Visayas State University, erwähnte meine früheren Aufenthalte auf den Philippinen, um meine Erfahrungen mit Land und Leuten zu belegen und erzählte von meinen wissenschaftlichen Aktivitäten. Zumindest am Anfang machte das bei Frauen Eindruck.

      „Ich bin übrigens Manuel Biener. Aus Deutschland“, stellte ich mich vor, nachdem ich etwa so lange geredet hatte, wie auch ein Werbeblock im Fernsehen dauert. Es war an der Zeit, sich ein Stück näher zu kommen.

      „Und ich bin Kitty. Kitty Mendoza.“

      Sieh an, dachte ich. Ihr Familienname war ein Erbe aus der spanischen Kolonialzeit, die offensichtlich auch in ihren Genen Spuren hinterlassen hatte.

      Sie schob ihren Teller mit den abgenagten Hühnerkrallen beiseite und zog mit langsamen Bewegungen ihr Armeehemd aus, unter dem sie jetzt ein rotes T-Shirt trug. Dabei drückte sie ihre Schultern zurück und reckte mir so ihre kleinen, festen Brüste entgegen. Ich guckte automatisch hin und genoss den Anblick der Rundungen. Weitere Details blieben leider unter etwas BH-artigem verborgen.

      „Bist du öfters hier in Banaue?“ Ich richtete meinen Blick wieder auf ihr Gesicht und tat so, als hätte mich diese Frage gerade intensiv beschäftigt.

      „Immer mal wieder. Die Studie hier mache ich im Auftrag der Regierung. Mein Hauptprojekt befasst sich mit den Agta in der Sierra Madre, drüben im Osten von Luzon.“

      „Agta?“

      „Die Ureinwohner der Philippinen. Sie werden auch ‚Negrito’ genannt.“

      Unter diesem Namen waren sie auch mir ein Begriff. Mir war bekannt, dass es sich um eine ethnische Minderheit handelte, deren Angehörige dem Aussehen nach mehr mit den afrikanischen Pygmäen gemein hatten als mit den Filipinos asiatischen Ursprungs. Sie waren klein, hatten eine dunkelbraune Hautfarbe, krauses Haar und lebten als Jäger und Sammler in den verbliebenen Regenwaldgebieten, sofern sie noch nicht von den Zwängen der modernen Welt eingeholt worden waren. Ich hatte mich selbst schon gefragt, woher diese Menschen eigentlich stammten und wollte es jetzt wissen.

      Kitty legte den Kopf in den Nacken und fuhr sich mit einer langsamen Handbewegung durchs Haar. „Die Agta stammen von den frühesten Gruppen der Menschen ab, die vor etwa 60.000 Jahren Afrika verlassen haben und nach Süd- und Südostasien eingewandert sind. Einzelne Gruppen haben sogar Australien erreicht, wie die Vorfahren der Aborigines“, antwortete sie auf meine Frage hin und lehnte sich wieder vor. Eindeutige Signale des Interesses, aber vermutlich alles noch eher unbewusst, bewertete ich ihr bisheriges Verhalten. „Die Agta waren die ersten Menschen auf den Philippinen, lange vor der asiatischen Bevölkerung. Die hat die Inseln erst vor etwa 5000 Jahren besiedelt, vom asiatischen Festland aus. Agta leben heute auch noch in Malaysia, Thailand und auf den Andamanen. – Möchtest Du auch ein Bier?“

      Ich äußerte umgehend meine Zustimmung und Kitty rief der Frau hinter dem Essenstand die Bestellung zu. Diese leitete den Auftrag an einen kleinen Jungen weiter, der daraufhin mit nicht erkennbarem Ziel verschwand. Minuten später standen zwei Flaschen auf dem Tisch. In beiden steckte ein Strohhalm.

      „Toller Service!“ bemerkte ich belustigt.

      „Ja, das ist Kultur! Damit du dein Bier auch würdig zu dir nehmen kannst. Zuhause macht ihr es doch bestimmt genauso? Im Hof-brau-haus?“ Kitty lachte rauh, was ich ziemlich erotisch fand. Plötzlich wurde sie ernst, neigte den Kopf leicht nach unten und sah mir tief in die Augen. Ich schluckte reflexartig, unterdrückte mühsam einen Hustenreiz und spürte den Adrenalinstoß in den Adern. An meiner Kopfhaut begann es zu kribbeln. Austretende Schweißperlen vermutlich.

      Ich durfte ihrem Blick jetzt auf keinen Fall ausweichen, sonst hatte ich das Spiel verloren. Mir war bewusst, dass es sich dabei um eine – evolutionspsychologisch gesehen – vertrauensbildende Maßnahme handelte, mit der sie sich meiner Sympathie und meines Interesses versichern musste, bevor sie eventuell zu mehr bereit sein würde. Also hielt ich tapfer stand, bis sie nach einigen, mir endlos erscheinenden Sekunden den Augenkontakt abbrach und nach ihrer Bierflasche griff, als wäre nichts gewesen.

      Langsam ließ ich die unbewusst angehaltene Luft entweichen. Prüfung bestanden. Ich zog den Strohhalm aus der Flasche, setzte sie an den Mund und leerte zügig, aber beherrscht, fast die Hälfte ihres lauwarmen Inhalts.

      Im weiteren Verlauf der Unterhaltung wurde ich zusehends entspannter, lachte öfter und ließ ab und zu eine relativ originelle Bemerkung fallen. Das Gespräch drehte sich nun hauptsächlich um die jeweiligen Lebensläufe und ich erfuhr, dass Kitty in den USA, in Berkeley, studiert hatte und 32 Jahre alt war. (Ich hatte sie zuvor ein wenig älter geschätzt.) Die Kontaktaufnahme war damit in eine Phase getreten, in der die ersten persönlichen Daten ausgetauscht wurden, intimere Themen wie Beziehungserfahrungen oder aktuelle Liaisonen aber noch ausgespart blieben. Dass sie höchstwahrscheinlich nicht verheiratet war, hatte ich ja bereits aus dem fehlenden Ehering geschlossen, und demselben Indiz zufolge, konnte sie davon auch bei mir ausgehen.

      Gerade als ich anfing, mir Gedanken zu machen, wie dieser Abend wohl enden könnte – ich überlegte, ob ich ihr noch einen kleinen Spaziergang vorschlagen sollte, bei dem ich ihre Reaktion auf zunächst unverfänglichen Körperkontakt testen konnte – stand Kitty kommentarlos auf, ging zur Theke und bezahlte. Sie drehte sich kurz zu mir um, wünschte mir lächelnd eine gute Nacht und entschwand in die Dunkelheit.

      Ich saß da wie ein begossener Pudel.

      Verdammt, was war denn jetzt schon wieder schief gelaufen? In welchem entscheidenden Punkt hatte ich versagt? Das hatte doch so gut angefangen. Ich unterdrückte den spontanen Impuls, ihr hinterher zu rennen und griff nach meinem Tabak. Ich hatte es natürlich völlig versäumt, sie zu fragen, wo sie übernachtete und auch nicht erwähnt, wo ich mich einquartiert hatte. Herrgott nochmal. Jetzt würde ich sie höchstens zufällig nochmal treffen. Aber selbst wenn – was gäbe es nach diesem Abgang noch zu sagen? Das war ja wohl mehr als deutlich.

      Jetzt unterhielt ich schon seit bald 25 Jahren geschlechtsbasierte Beziehungen zu Frauen, aber trotz aller Erfahrungen hatte ich bisher nicht herausgefunden, worauf sich deren Motivation, Sexualkontakte zu schließen, eigentlich begründete. Bei allen anderen Tierarten, von der Küchenschabe bis zur Seekuh, folgt das Werbe- und Paarungsprozedere bestimmten erblich koordinierten und ritualisierten Gesetzmäßigkeiten und ist damit vorhersagbar. Aber die sexuellen Verhaltensmuster von Frauen scheinen, wie übrigens auch sämtliche anderen Stimmungen und Launen, zufallsbedingten Schwankungen