Manuel Biener

Darwins Prophezeiung


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werden die Angehörigen in Deutschland oft durch Mitreisende oder den Reiseveranstalter informiert“, hieß es dort. In diesem Fall sicher nicht. Ich überflog den Text und stieß auf einen aufschlussreichen Satz: „Wegen besonderer klimatischer Bedingungen, gesetzlicher Bestimmungen oder Bestattungsgebräuche vor Ort müssen die Angehörigen ihre Entscheidung über die gewünschte Überführung oder Ortsbestattung möglicherweise sehr schnell treffen.“ Aha. Besondere klimatische Bedingungen waren auf den tropischen Philippinen definitiv gegeben, und es würde seine Zeit dauern, bis man den Transport seiner Leiche von den Reisterrassen bis nach Deutschland organisieren konnte. Und eine vernünftige Kühlmöglichkeit gab es vor Ort sicher auch nirgends. Und dann war es noch ein ganzer Tag reine Fahrzeit nach Manila. Dort würde Butzmann dann schon ziemlich streng riechen, was die Entscheidung, ihn auf den Philippinen zu lassen, sehr erleichtern dürfte. Und so eine Rückführung war sicher auch nicht ganz billig.

      Ich lehnte mich zurück und bohrte in der Nase. Das schien ja tatsächlich ziemlich einfach zu sein. Wenn man Butzmann irgendwo in der Wildnis, weit weg von der nächsten Straße finden würde, könnte man sogar noch mehr Zeit gewinnen. Dann würde man ihn vielleicht gar nicht erst nach Manila bringen. Sondern vor Ort begraben. Garantiert ohne Obduktion. Fertig. Ich rollte den geförderten Nasenpopel zwischen den Fingern zu einem Kügelchen und schnippte es weg.

      Aber vielleicht gab es doch noch ein Problem, fiel mir dann ein. Da stand doch was von einer Sterbeurkunde, die man in der Deutschen Botschaft vorlegen musste. War das so etwas wie ein Totenschein, auf dem auch die Todesursache stehen musste? Gab es so was auf den Philippinen überhaupt? Wie lief das dort?

      Das konnte man sicher auch über das Auswärtige Amt in Erfahrung bringen. Ich klickte den Button „Kontakt“ auf der Serviceseite an. Ein Formular zum Ausfüllen erschien: Name, Vorname, Straße, Hausnummer ... Uups. Besser nicht.

      Dann lieber nochmal ins Internet gehen und versuchen herauszufinden, was beim ungeklärten Tod eines Deutschen passiert, in einem Land wie den Philippinen.

      Nach längerer unergiebiger Suche fand ich eine erste relevante Information: „Nach Paragraph 159 Strafgesetzbuch ist die Staatsanwaltschaft zu Ermittlungen verpflichtet, wenn der Verdacht eines unnatürlichen Todes besteht. Wenn nach dem Ergebnis ein Fremdverschulden nicht ausgeschlossen werden kann, wird der Vorgang in ein Ermittlungsverfahren wegen des Verdachts eines Tötungsdelikts übergeleitet. Die Lage des Tatorts ist dabei unerheblich, weil das deutsche Strafrecht auch für Taten gilt, die im Ausland an Deutschen begangen wurden. Allerdings muss die Tat in dem entsprechenden Land ebenfalls mit Strafe bedroht sein.“ Okay. Aber was bedeutete das konkret? Mal weitersuchen.

      Ich war soeben auf einen Fall in Thailand gestoßen, als es an der Bürotür klopfte.

      „Ja?“ rief ich und wandte mich um.

      Ein bebrillter Jüngling betrat den Raum. Ein Student. Auch das noch. Ich schaute grimmig.

      „Grüß Gott Herr Dr. Biener. Hätten Sie gerade einen Moment Zeit?“

      „Um was geht’s?“ entgegnete ich unfreundlich.

      „Um meine Hausarbeit. Ich hab damit jetzt angefangen und ...“

      „Thema?“ unterbrach ich ihn.

      Der Student schielte auf den Besucherstuhl. Nein, da darfst du es dir nicht gemütlich machen, beschloss ich im Stillen. Sonst dauert mir das zu lange.

      „Das mit den Naturreservaten. Wo es um die Frage geht, wie man die einheimische Bevölkerung in den tropischen Ländern da mit einbeziehen kann, damit sie keine Tiere schießen oder den Wald abbrennen.“

      „Weiß ich. Und?“ Ich trommelte mit den Fingern auf den Tisch, um ihn vor weiteren Ausschweifungen abzuhalten.

      Der Blick des Studenten fiel auf meinen Computerbildschirm. Toter Kölner Geschäftsmann in Thailand: war es Mord?, stand da als große Schlagzeile.

      „Ja also ... äh, ich hab dazu im Internet wenig gefunden. Ich dachte, sie ...“

      „Im Internet! Das können sie sowieso nicht alles glauben, was sie da finden. Sie sollen wissenschaftliche Literatur verwenden, das wissen sie doch. Mit ordentlichen Quellenangaben. Und nicht copy-paste machen mit irgendwelchen Texten, wie diese ganzen Politiker in ihren Doktorarbeiten. Mann, Mann. Fangen Sie sowas gar nicht erst an!“

      Der Student senkte schuldbewusst den Kopf.

      Ich griff nach einem gelben Haftnotizblock und schrieb etwas auf.

      „Hier“, streckte ich dem Studenten den Zettel entgegen, der an meinem Zeigefinger klebte. „Besorgen sie sich dieses Buch in der Unibibliothek. Und wenn sie das gelesen haben, reden wir weiter.“

      „Gut, danke.“

      „Bitte.“

      „Ja dann, Wiedersehn!“

      „Tschüss.“

      Ich schnaubte und wandte mich wieder dem Bildschirm zu. – Um was ging es da? Genau. Eine Bekannte des Toten, der in Thailand aber leider schon eingeäschert worden war, hatte den Verdacht geäußert, dass dieser einem Giftmord zum Opfer gefallen war. Daraufhin nahm sich die deutsche Staatsanwaltschaft des Falles an.

      Und der wichtige Punkt war der: deutsche Behörden durften in Thailand nicht aktiv werden, vielmehr mussten thailändische Behörden über die Deutsche Botschaft um entsprechende Ermittlungen gebeten werden. Und das lief mit den Philippinen sicher nicht anders.

      Daran, dass die Ermittlungen in einem theoretischen Fall Butzmann zum Erfolg führen würden, hatte ich allerdings meine Zweifel. Die Vertreter lokaler Dienststellen, sofern es solche in Butzmanns Gegend überhaupt gab, waren damit wahrscheinlich überfordert und hatten sicherlich auch wenig Interesse daran, sich mit Nachforschungen in ihrem angestammten Umfeld unbeliebt zu machen. Eventuell aus Manila angereiste Beamte hätten ebenfalls kaum eine Chance, im Kulturkreis der einheimischen Bevölkerung die Hintergründe und Motive des Tötungsdelikts aufzuklären oder gar den Täter zu fassen. Sie würden rasch eine Reihe von Argumenten finden, sich nicht allzu lange mit dem Fall beschäftigen zu müssen. So viel war sicher.

      Wenn sich der Mörder also nicht besonders dilettantisch anstellte, war seine Wahrscheinlichkeit gefasst zu werden, denkbar gering. Letztendlich war es dann auch egal, auf welche Weise man Butzmanns Leben beenden würde, schloss ich. Es war in der Tat nicht entscheidend, wie man das Problem aus der Welt schaffte, sondern wo. Man müsste ihn einfach nur an einem entlegenen Ort überraschen und dann...

      Ich nickte versonnen. Da konnte wirklich kaum was schiefgehen. War jedem nur zu empfehlen, der seinen Ehepartner loswerden wollte. Mit diesem, vielleicht unter dem Vorwand einer Aussöhnung, eine schöne Reise in ein möglichst rückständiges Land machen; weit außerhalb des Einflussbereichs deutscher und sonstiger Behörden. Zum Beispiel eine Bootsfahrt auf dem Amzonas oder eine Trekkingtour im Himalaya.

      Um im konkreten Fall die Sache wasserdicht zu machen, könnte man gleichzeitig versuchen, den Verdacht auf einen bestimmten Personenkreis zu lenken. Hierfür könnte sich das Streuen von Gerüchten als durchaus sinnvoll erweisen. Besonders das mit der Goldsuche. Wenn man Butzmanns Leiche dann fand, würde es heißen: das waren die Rebellen. Und damit wäre der Fall erledigt.

      Bei dieser Vorstellung bekam ich ein wenig Herzklopfen. Alle meine Probleme könnten sich mit einem Schlag lösen. Wenn ich den Mumm dazu hatte. Unruhig begann ich mit den Beinen zu wippen. Ich versuchte, mir so eine Situation vorzustellen. Butzmann irgendwo im Urwald. Ich schleiche mich von hinten an ihn heran, einen Stein in der Hand. Unter meinen Schritten raschelt das Laub. Butzmann hört es und dreht sich um. – Nein, das würde wohl nichts werden.

      Ich seufzte. Wieder nur so eine Tagträumerei. Eine kleine Flucht aus der traurigen Wirklichkeit. Nichts, was daran etwas ändern konnte.

      Obwohl.

      Etwas wehrte sich in mir. Ich sollte diese Idee nicht so leichtfertig fallen lassen. Was hatte ich schon zu verlieren? Garnichts. Ich habe nämlich schon alles verloren. Aber gewinnen konnte ich alles. Ich würde den Tag erleben, an dem mein Buch erscheint. Vielleicht eine Professur