Manuel Biener

Darwins Prophezeiung


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maskuline Attribute zeigen und während der Menstruation das Bedürfnis nach Nähe und Geborgenheit vorherrscht. Da ich zum einen nicht mit einem übermäßig männlichen Körperbau gesegnet war, andererseits aber auch nicht gleich als treusorgender und einfühlsamer Partner fürs Leben gelten wollte, hatte ich deshalb immer gehofft, dass sich eine Frau beim Kennenlernen in einer dazwischen liegenden Phase ihres Zyklus befand.

      Ist doch alles Scheiße. Frustriert stand ich auf und bezahlte ebenfalls. Jetzt hatte ich das Bedürfnis nach etwas Hochprozentigem. In einem Sari-Sari Store, einem der typischen kleinen philippinischen Dorfläden, besorgte ich mir eine Flasche Rum der Marke Tanduay und dazu, zwecks Herstellung einer trinkbaren Mischung, noch zwei kleine Flaschen Cola sowie eine große Flasche Wasser.

      Was soll’s, lautete mein Fazit, als ich im trüben Licht der nackten Glühbirne unter dem quietschenden Deckenventilator auf dem Bett lag und mir verschiedene Szenen des Abends noch einmal vor Augen geführt hatte. Ist doch sinnlos, sich über die Tussi noch irgendwelche Gedanken zu machen. Die wollte einfach nur etwas Unterhaltung beim Essen, und ich kam eben zufällig vorbei, mehr nicht. Wahrscheinlich macht sie das immer so, wenn sie unterwegs ist. Dazu gelegentlich noch ein kleiner Flirt, aber nur, um ihre Wirkung auf Männer zu testen. Blöde Schlampe.

      Klar, es wäre natürlich nicht schlecht gewesen, sie ins Bett zu kriegen, aber schließlich hatte ich jetzt weißgott andere Sorgen und konnte mir nicht auch noch eine Frauengeschichte aufhalsen. Wer weiß, was das wieder für einen Rattenschwanz an Problemen nach sich gezogen hätte. Ist eigentlich sogar besser so. Schließlich war ich wegen Butzmann hier, und darauf musste ich mich jetzt konzentrieren. Und damit sollte ich diese Episode jetzt auch abhaken. Und zwar endgültig.

      Ich setzte mich auf und füllte zum dritten Mal meinen blauen Plastikbecher, den ich auf Reisen stets dabei hatte, zu gleichen Anteilen mit Cola und Rum. Beim trinken starrte ich auf den rissigen, hellblauen Verputz der Wand mit den rostbraunen Flecken und Streifen darauf, die von erschlagenen, vollgesaugten Moskitos stammten. Dann nahm ich seufzend die dicke Rilke-Biographie, die ich als Reiselektüre mitgeschleppt hatte, zur Hand und schlug das letzte, noch nicht gelesene Kapitel auf. Nach wenigen Zeilen stellte ich fest, dass ich jetzt nicht in der Verfassung war, in Rilkes Welt einzutauchen und blätterte nur noch die Fotoseiten durch. „Rose, oh reiner Widerspruch, Lust, niemandes Schlaf zu sein unter so viel Lidern“, las ich auf Rilkes Grabstein und klappte das Buch zu. Weltschmerz kroch in mir empor.

      Ich guckte über den Bettrand auf den Fußboden. Keine Cola mehr. Die eine Flasche war leergetrunken, die andere halbvoll umgekippt und auf dem welligen Linoleumbelag ausgelaufen. Egal. Dann eben Rum pur. Ich nahm einen kräftigen Schluck aus der Flasche, verzog das Gesicht und ließ mich wieder zurück aufs Bett fallen.

      Der Blick auf den geräuschvoll kreisenden Deckenventilator weckte bei mir plötzlich die Erinnerung an eine Szene aus dem Film „Apocalypse now“. Es war die, in der Martin Sheen alias Captain Benjamin Willard in einem schäbigen Hotelzimmer in Saigon – in einem ähnlich psychisch labilen und alkoholisierten Zustand wie ich jetzt – herumhing und auf einen Einsatz wartete. Draußen tobte der Vietnamkrieg. Willard bekam schließlich den Auftrag, den abtrünnigen und anscheinend durchgeknallten amerikanischen Colonel Kurtz, der sich irgendwo im kambodschanischen Dschungel sein eigenes, surreales Reich geschaffen hatte, aufzuspüren und zu eliminieren.

      Mein Auftrag lautet, den Bi-Ba-Butzemann aufzuspüren und zu eliminieren, lallte ich vor mich hin, bevor ich in den Schlaf wegdämmerte.

      Donnerstag, 13. April

      Es war schon lange hell, als ich vom Lärm der Mopeds auf der Straße wach wurde und mich stöhnend und geblendet von dem Streifen Sonnenlicht, der die Wand beschien, erhob. Mit trockenem Mund und pochenden Kopfschmerzen griff ich nach der Wasserflasche, trank gierig und spülte auch gleich zwei Tabletten Aspirin hinunter. Anschließend stellte ich mich in die gemauerte Duschkabine und ließ den harten, kühlen Wasserstrahl, der direkt aus einem Leitungsrohr von der Decke schoss, einige Minuten auf Kopf und Nacken prasseln. Um eine weitere Verbesserung meines Zustandes herbeizuführen, brauchte ich jetzt noch einen ordentlichen Kaffee. Einen solchen auf den Philippinen zu bekommen, müssen Sie wissen, ist praktisch unmöglich. Filterkaffee ist gänzlich unbekannt, und in Restaurants kriegt man bestenfalls ein Glas lauwarmes, abgestandenes Wasser aus einer Thermoskanne und dazu ein winziges Tütchen minderwertigen Löskaffees, der das Wasser ein wenig braun färbt. Nicht das, was ich morgens brauche, und deshalb habe ich das Nötigste immer dabei: einen kleinen Reisetauchsieder mit passendem Adapter, eine Blechtasse, in der das Wasser direkt erhitzt wird sowie ein Glas Löskaffee von vernünftiger Qualität aus Deutschland. Den Blechlöffel zum umrühren lasse ich immer im Flieger mitgehen.

      Ich nippte an dem so zubereiteten heißen, bitteren Gebräu, zündete mir eine Zigarette an und begann, mich mit dem Tag anzufreunden. Mein Programm sah eine zwanglose Besichtigung der Gegend vor. „Das gesamte, eindrucksvolle Panorama der Reisterrassen erschließt sich dem Besucher vom Viewpoint aus. Dieser Aussichtspunkt befindet sich am Ende des Tales etwa zwei Kilometer außerhalb des Ortes und ist zu Fuß bequem erreichbar“, stand in meinem Reiseführer. Motiviert durch das Wort „bequem“, schlüpfte ich in eine halblange Outdoorhose, T-Shirt, Socken und Trekkingsandalen, nahm meinen Rucksack auf und verließ den Raum.

      Als ich um die erste Ecke bog, befiel mich ein kurzes Unbehagen. Der flache Betonbau mit den vergitterten Fenstern war eine Polizeistation. Okay. Gab es hier also auch. Gut zu wissen. Den Blick nach vorne gerichtet, lief ich zügig daran vorbei.

      Bereits nach wenigen hundert Metern auf der befestigten, bergauf führenden Straße lief mir in der prallen Tropensonne der Schweiß von der Stirn. Ich setzte meinen Rucksack ab und stellte fest, dass ich vergessen hatte, die Wasserflasche mitzunehmen. Verdammter Mist. Ich blickte die Straße hinunter. Jetzt noch mal zurückgehen, sie zu holen und mich in einer viertel Stunde wieder genau an dieser Stelle zu befinden, ohne dem Ziel einen einzigen Schritt näher gekommen zu sein, war eine frustrierende Vorstellung. Ich beschloss, weiterzugehen.

      Die letzten Häuser des Ortes lagen schon ein gutes Stück hinter mir, als ich zum ersten Mal innehielt, um die Gegend auf mich wirken zu lassen. Vom Deich eines Reisfeldes aus ließ ich meinen Blick über die Umgebung schweifen. Bis auf wenige, meist sehr steile Bereiche mit Bäumen oder Gebüsch wurden Hänge und Einschnitte des Tals vollständig von den aus Lehm errichteten Terrassen eingenommen. In Form und Größe dem Relief angepasst, wirkten sie fast wie eine natürlich entstandene, geologische Stufenlandschaft, durchsetzt vom leuchtenden Grün der Reispflanzen. Die Kuppen der umgebenden Hügel waren von Wald bedeckt. Wirklich eindrucksvoll.

      Schließlich wandte ich mich von dieser Kulisse ab und betrachtete das Feld neben mir. Der Reis war fast einen halben Meter hoch, hatte aber noch keine Rispen ausgebildet, und war stellenweise viel dichter gepflanzt als in der Regel üblich. In diesem Punkt nahm man es hier wohl nicht so genau. Zwischen den gut entwickelten Pflanzen fanden sich gleichmäßig verteilt auch zahlreiche strohige, ausgebleichte Sprosse. Das war Zikadenbrand, diagnostizierte ich dieses Schadbild. Es wird von winzigen Reiszikaden verursacht, die die Pflanzen anstechen, an ihnen saugen und sie bei hoher Befallsdichte zum Absterben bringen. Ein häufiges Problem im Reisanbau, wusste ich.

      Ich setzte meinen Weg auf der Straße fort und fühlte mich zunehmend schlecht. Die Kopfschmerzen kehrten zurück, mir war flau im Magen und etwas schwindelig. Ich hätte besser doch noch die blöde Wasserflasche holen sollen. Aber jetzt war es nicht mehr weit und ich hoffte, dort oben etwas zu trinken und Obst, vielleicht Bananen oder eine Papaya, zu bekommen, um meinen Elektrolythaushalt wieder in Ordnung zu bringen.

      Hinter der nächsten Wegbiegung erblickte ich eine alte Frau, die tief gebückt in einem Reisfeld arbeitete. Sie war mit einem traditionellen, rot-schwarz gestreiften Wickelrock und einer blauen Jacke bekleidet und trug einen Strohhut. Als ich näher kam und sah, was sie machte, stutzte ich. Sie war offensichtlich dabei, die ganzen Reissetzlinge wieder herauszureißen. Ein Teil des Feldes war bereits ausgeräumt. Sie bemerkte mich und meinen erstaunten Blick, richtete sich soweit auf, wie es nach Jahrzehnten Arbeit in den Reisfeldern eben noch ging, und kam mir durch das trübe, braune Wasser entgegen.

      „Alles Unkraut!“