Manuel Biener

Darwins Prophezeiung


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Reis. Von solchen Arten gibt es in Asien mehrere. Aber wie gesagt, ich bin da kein Spezialist. Es könnte auch etwas ganz anderes sein.“

      „Ja, das war leider bisher nicht in Erfahrung zu bringen.“ Joel machte eine bedauernde Geste. „Die Bauern hier kennen natürlich die wissenschaftlichen Namen der Pflanzen nicht und haben ihre eigenen Bezeichnungen. Auch Mister Butzmann konnte uns da nicht weiterhelfen.“

      „Butzmann?“ Ich spitzte die Ohren.

      „Ja, auch ein Deutscher. Er ist landwirtschaftlicher Berater und hat dort unten“ – Joel zeigte das Tal hinab – „eine Versuchsfarm. Kennst Du ihn zufällig?“

      Überleg dir genau, was du jetzt sagst, mahnte ich mich. Es zu leugnen wäre unklug, denn Butzmann kannte mich ja schließlich auch. Ich könnte sonst womöglich in eine peinliche Situation geraten. Also besser bei der Wahrheit bleiben. – Aber ich könnte zumindest so tun, als wäre mir neu, dass er sich hier aufhält. Dann würde jedenfalls niemand auf die Idee kommen, dass ich wegen Butzmann hergekommen war. Also erst mal den Überraschten spielen.

      „Ach, der ist hier? Er war sogar an derselben Universität wie ich. Das ist ja wirklich ein Zufall! Na, dann werde ich ihn doch mal besuchen. – Wo ist das denn genau, seine Farm?“

      „Das ist leicht zu finden. Du gehst auf der Straße Richtung Mayoyao, und so etwa 300 Meter hinter dem Ortsende von Banaue liegt linker Hand sein Haus. Es ist das einzige weit und breit, du kannst es nicht verfehlen.“

      Ich hatte fürs erste genug erfahren und wollte jetzt lieber wieder das Thema wechseln.

      „Also, fassen wir doch mal zusammen, was wir jetzt über die ganze Sache hier wissen. Punkt eins: Wenn der alte Priester recht hat, ist es keine Pflanzenart, die hier neu aufgetaucht ist. Sie kam früher schon mal hier vor, ist aber inzwischen wieder verschwunden. Somit ist meine ursprüngliche Vermutung, dass es sich um ein neu eingeschlepptes Unkraut handelt, vielleicht nicht zutreffend, aber ausschließen können wir es im Moment auch nicht. Punkt zwei: Seit etwa einem Jahr vermehrt sich die Pflanze praktisch ungehemmt und breitet sich vor allem in den Reisfeldern aus.“

      „Und sie bringt die Reispflanzen zum Absterben“, ergänzte Joel.

      „Davon bin ich allerdings nicht überzeugt“, wagte ich zu erwidern. „Das ist kein Effekt, der normalerweise von Unkräutern verursacht wird. Jedenfalls nicht direkt. Die Unkräuter stehen mit den Reispflanzen in Konkurrenz um Nährstoffe, wodurch der Reis zwar schlechter wächst und einen geringeren Ertrag liefert, aber deshalb in aller Regel nicht eingeht.“

      „Aber was kann denn sonst der Grund dafür sein?“ fragte Kitty.

      „Ich bin mir sicher, dass es Schädlinge waren, und zwar Reiszikaden. Strohige, abgestorbene Reispflanzen sind das typische Symptom des so genannten Zikadenbrandes“, dozierte ich. „Es ist allerdings denkbar, dass das Unkraut indirekt dazu beigetragen hat. Wenn der Reis nicht unter optimalen Bedingungen wächst, was zum Beispiel bei Nährstoffkonkurrenz der Fall ist, kann er auch anfälliger gegen Schädlinge sein.“

      „Aber wir wissen jetzt immer noch nicht, um welche Pflanzenart es sich handelt“, warf Joel ein. „Dafür bräuchten wir einen Experten.“

      „Ich kenne jemanden, der uns vielleicht weiterhelfen könnte“, meldete sich Kitty, „Der Freund einer Bekannten von mir, ein Norweger, arbeitet am IRRI, dem Internationalen Reisforschungsinstitut. Das ist in Los Banos, in der Nähe von Manila.“

      „Weiß ich“, warf ich ein. „Können wir den irgendwie erreichen, von hier aus?“

      „Die Telefonnummer meiner Bekannten habe ich hier, kein Problem. Hast du ein Handy?“

      „Moment“, sagte ich und nahm meinen Rucksack ab.

      Kitty setzte sich auf den Boden und blätterte in dem Notizbuch, das sie aus ihrer Umhängetasche gezogen hatte. Ich schaltete mein Handy ein und reichte es Kitty.

      Als die Verbindung stand, plapperte sie ohne Punkt und Komma, kicherte manchmal und unterbrach ihren Redeschwall nur für wenige Sekunden, in denen sie eine Zahlenreihe notierte. Dann beendete sie das Gespräch, gab mir das Handy zurück hielt mir ihren Aufschrieb hin.

      „Hier. Die Nummer seines Büros am IRRI. Er heißt Erik. Mit Nachnamen Evensen.“

      Ich drückte die Tasten und hatte ihn sofort am Apparat. Ich stellte mich kurz vor und erklärte ohne Umschweife, worum es ging. Mein Gesprächspartner hörte sich sympathisch an, war schnell von Begriff und an der Sache sogleich interessiert.

      „Er meinte, es sollte kein Problem sein, die Pflanze zu identifizieren. So spontan konnte er sich aber auch keinen Reim auf die Geschichte machen. Wir sollen ihm Exemplare davon schicken, und auch von dem angebauten Reis“, fasste ich das Telefonat zusammen. „Wie lange wird das wohl dauern, mit der Post?“

      „Wenn es schneller gehen soll, gibt es einen anderen Weg“, warf Joel ein. „Ihr könnt das Päckchen dem Bus mitgeben, wenn ihr jemanden habt, der es in Manila entgegennimmt. So machen wir das oft, und der Fahrer freut sich über ein paar Peso Trinkgeld.“

      „Gute Idee. Ich kann einen meiner Studenten damit beauftragen, und der soll es dann auch gleich zum IRRI bringen“, griff Kitty den Vorschlag auf.

      „Der nächste Bus fährt heute Abend um neun Uhr in Banaue ab und ist dann morgen früh gegen fünf in Manila“, wusste Joel. „Dein Student kann es aber natürlich auch noch später dort abholen. Am Ticketschalter des Busunternehmens.“

      „Das passt ja ausgezeichnet. Ich nehme die Pflanzenproben gleich mit.“ Ich schnitt mit meinem Schweizer Taschenmesser einige Sprosse mit Rispen des Unkrauts ab und zog Stücke der langen Wurzelausläufer aus dem Schlamm. Auf dem Rückweg sammelte ich noch einige Exemplare abgestorbener sowie frischer Reispflanzen.

      „Hier sind die Sachen, die du brauchst“, sagte Joel und legte Plastiktüten, Packpapier und Klebeband auf den Tisch, an dem ich saß und das Pflanzenmaterial sortierte.

      „So, das hätten wir“, sagte ich schließlich, als ich die einzelnen Proben mit beschrifteten Zetteln versehen und das Päckchen fertig gemacht hatte.

      „Haltet mich auf dem Laufenden“, bat Joel, als sich Kitty und ich von ihm verabschiedeten und wir uns durch das Tal in Richtung Banaue aufmachten. Ich genoss wieder ungeniert den Anblick ihres süßen Hinterns und den flüchtigen Duft ihres Körpers, den ich wahrnahm, wenn Kitty zwischendurch, nach dem richtigen Weg suchend, stehen blieb und ich mich ihr von hinten dicht nähern konnte. Dann musste ich jedes Mal der Versuchung widerstehen, ihr über den Rücken zu streicheln. Bevor ich sie aber mit einer solchen Aktion irritieren würde, brauchte ich ihre Aufmerksamkeit für ein anderes Thema. Nämlich Butzmann. Jetzt, da sein Name gefallen war, konnte ich Kitty unverfänglich noch ein paar weitere Informationen über ihn entlocken.

      „Sag mal“, sprach ich sie an, als wir auf einem breiteren Stück des Weges, der in den Ort führte, nebeneinander her gehen konnten, „kennst du eigentlich Mister Butzmann auch?“

      „Nicht persönlich“, gab sie zur Antwort, „aber meine Bauern haben mir von ihm erzählt.“

      Ich schwieg, um keine zu große Neugier zu zeigen und hoffte, dass Kitty von sich aus weiterreden würde.

      „Er bezeichnet sich als landwirtschaftlicher Berater, wie Joel schon sagte. Seine Idee ist wohl, den traditionellen Reisanbau durch ertragreiche und marktfähige Anbaukulturen zu ersetzen. Damit will er den Bauern ein Einkommen verschaffen und gleichzeitig die Terrassen erhalten. So habe ich das zumindest verstanden.“

      „Also Gemüse statt Reis?“ hakte ich ein.

      „So ungefähr. Auf seiner Farm hat er verschiedene Versuchsfelder angelegt, um den Bauern zu zeigen, was sich hier alles anbauen lässt. Dort hat er auch moderne Reissorten, die schneller wachsen als die traditionellen und auch bei kühleren Temperaturen reif werden. Mit diesen könnte man hier dann auch zwei Ernten pro Jahr erzielen. Zwei oder drei Bauern haben das letztes Jahr ausprobiert, waren aber nicht zufrieden. Damit diese neuen Sorten auch wirklich gute