Manuel Biener

Darwins Prophezeiung


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Position heraus gegenübertreten zu können. Das würde er dann, so hoffte ich, zur Selbstdarstellung nutzen. Ich würde mich von seinen Ideen beeindruckt zeigen, kritische Äußerungen vermeiden und wenn es sein musste, ihn für seinen Schwachsinn auch noch loben. So könnte dann eine Basis für weitere Geselligkeiten geschaffen werden.

      Butzmanns Haus lag auf einer kleinen Anhöhe oberhalb der Straße und war ein einfaches, aus grauen Hohlblocksteinen errichtetes Gebäude mit Wellblechdach. Es war offensichtlich neu und sollte wohl noch verputzt werden, vielleicht aber auch nicht. Ich stieg die steile, schmale Steintreppe hinauf und öffnete das niedrige Holztörchen zu dem Grundstück. Auf der spärlichen Grasfläche vor dem Haus tummelte sich eine Schar brauner Hühner mit ihren Küken. Da auf mein wiederholtes Klopfen an der Haustür keine Reaktion erfolgte, ging ich um das Gebäude herum. Auf dem leicht ansteigenden Gelände dahinter erstreckten sich bepflanzte und abgeerntete Gemüsebeete. Das Grundstück endete an einem steilen Hang, dessen unterer Bereich terrassiert und mit Reis bestellt war.

      Die dunkelblonde Gestalt, die neben einer der Feldparzellen stand und gestikulierte, musste Butzmann sein. Die Filipina, die kniend irgendwelche Setzlinge in die Erde steckte, war wohl seine Frau. Ich ging auf die beiden zu und hoffte, sie nicht zu erschrecken, aber Butzmann sah mich bereits kommen.

      „Guten Tag, Herr Butzmann.“ Ich erkannte ihn kaum wieder. Er war deutlich schlanker geworden, hatte längere Haare als früher und trug einen struppigen Vollbart. Sein Gesicht wirkte eingefallen, Pausbäckchen und Doppelkinn hatten sich aufgelöst. Das hellgrün-dunkelgrün karierte, kurzärmelige Hemd und die khakifarbene Leinenhose stammten wohl noch aus alten Zeiten und hingen jetzt mehr als lässig an seinem Körper. Auch seiner Goldrandbrille war er treu geblieben. Ob die billigen Plastiksandalen nur auf dem Feld seine nackten Füße schmückten oder den permanenten Ersatz für seine in Deutschland stets getragenen braunen Treter darstellten, wusste ich nicht, vermutete aber letzteres.

      Butzmanns Frau schaute kurz auf und registrierte meine Anwesenheit, grüßte aber nicht. Sie war altersmäßig schwer einzuschätzen, wahrscheinlich aber etwa so alt wie ihr Gatte. Möglich aber auch, dass nur ihr mürrisches Gesicht mit den leicht nach unten gezogenen Mundwinkeln zu dieser Annahme verleitete.

      Bereits aus diesen kurzen Eindrücken konnte ich meine ersten Schlüsse ziehen. Butzmann zeigte schon deutliche Anzeichen des so genannten Verbuschungssyndroms. Dieses stellt sich bei westlichen Wohlstandsbürgern zwangsläufig ein, wenn die Aufenthaltsdauer in einem exotischen Kulturkreis unter einfachsten Lebensbedingungen, speziell in abgelegenen Gebieten der Tropen, einen gewissen Zeitraum überschreitet. Der körperliche und seelische Abbau beginnt in der Regel mit Appetitlosigkeit, die durch die penetrante Einfalt der lokalen Nahrungsmittel und Speisen, gegen die sich allmählich eine Aversion entwickelt, hervorgerufen wird. Obwohl anfangs eine positive Einstellung und der Wille zur Anpassung bestehen, wird natürlich die Sitte der philippinischen Bevölkerung, morgens, mittags und abends Reis zu essen, an keinem einzigen Tag mitgetragen. Stattdessen wird zumindest das Frühstück mit Obst bestritten, was zwar gesund ist, auf Dauer aber keine echte Alternative zur gewohnten Bio-Müslimischung mit Milch, dem Fruchtjoghurt oder der deftigen Scheibe Vollkornbrot mit Käse, Wurst oder Marmelade darstellt und binnen weniger Wochen zu Frustration führt. Auch die Motivation, das selbst zubereitete Mittag- oder Abendessen mit hoher Kreativität abwechslungsreich zu gestalten, erlahmt wegen der in kürzester Zeit ausgereizten Möglichkeiten rasch, während der Wunsch nach Kartoffeln, Pizza, Spaghetti und schließlich selbst nach einer Dose Ravioli immer größer wird. In kritischen Phasen, die meist in Kombination mit anderen Widrigkeiten auftreten, wächst sich der Unmut über das Essen sogar zu einem richtigen Zorn aus, der wie bei einem Kleinkind zu einer trotzbedingten Nahrungsverweigerung ausarten kann und bei labilen Charakteren den Hang zur Selbstzerstörung offenbart, der konsequenterweise mit dem übermäßigen Konsum von Alkohol einhergeht.

      Ein weiteres Merkmal des Verbuschungssyndroms ist der minimierte Selbstanspruch an das äußere Erscheinungsbild, vor allem hinsichtlich der Körperpflege. Die Vernachlässigung derselben stellt sich ein mit der Erkenntnis, dass es sowieso niemanden interessiert, wie man herumläuft. Die Notwendigkeit, sich diesbezüglich zu disziplinieren, besteht vor allem deshalb nicht, weil es im direkten Umfeld keine Frauen gibt, die man beeindrucken kann (einschließlich der eigenen) oder darf (sofern man keine unbedingten Heiratsabsichten verfolgt).

      Am bemerkenswertesten an Butzmanns Zustand war sein Bart, der den eindeutigen Beweis dafür lieferte, dass seine Ehe völlig im Eimer war. Nach allen Erfahrungen, die ich zu Zeiten meiner Forschungsaufenthalte auf den Philippinen gesammelt hatte, stand dies zweifelsfrei fest. Auf keine meiner damaligen weiblichen Bekanntschaften aus den Clubs von Cebu City und Manila übte eine männliche Gesichtsbehaarung auch nur den Hauch von erotischer Anziehungskraft aus. Dies wurde mir aber erst bewusst, als ich nach einem langweiligen Empfang im deutschen Kulturzentrum in Cebu City, auf der Nachbarinsel von Leyte, einmal zufällig frisch rasiert in meiner Lieblingsbar erschien und mir dort ein bisher nicht gekanntes Maß an Aufmerksamkeit entgegengebracht wurde, was mehrfach bestätigten Aussagen zufolge allein auf das Fehlen meines sonst vorhandenen Drei- bis Sieben-Tage-Bartes zurückzuführen war.

      Für die Abneigung der philippinischen Frauen und vermutlich auch anderer Asiatinnen gegenüber Bärten hatte ich eine einfache Erklärung gefunden: Sie beruht auf der sexuellen Prägung in ihrer Kindheit. Da philippinische Männer nur einen spärlichen Bartwuchs aufweisen und diesen auch nur in sehr seltenen Fällen sprießen lassen, kannten die Mädchen von den Bezugspersonen, mit denen sie groß geworden sind – Väter, Brüder, Onkel – keine richtigen Bärte und sahen solche deshalb auch nicht als attraktiv an. In westlichen Ländern fanden zumindest manche Frauen Bärte in irgendeiner Form reizvoll, vermutlich weil sie als Kinder damit bei entsprechend ausgestatteten Familienangehörigen vertraut wurden. Als Indiz für diese These wertete ich den wissenschaftlich erbrachten Nachweis, dass Frauen und Männer solche Partner bevorzugen, die ihrem andersgeschlechtlichen Elternteil ähnlich sehen.

      „Herr Biener.“ Butzmann ergriff nur zögerlich meine Hand, die ich ihm auffordernd entgegenstreckte, sah mir flüchtig ins Gesicht und dann auf den Boden. Irgend eine emotionale Regung, die so etwas wie Erstaunen oder gar Freude ausdrückte („Ja sowas! Das ist doch der Herr Biener? Ich glaub’s ja kaum! Das nenn` ich aber eine Überraschung!“), zeigte er nicht.

      „Wie geht’s ihnen denn? Ich sehe, sie haben sich hier eine kleine Idylle geschaffen“, versuchte ich ein lockeres Gespräch zu eröffnen und ließ meinen Blick über die Beete schweifen, auf denen Bohnen, Zwiebeln, Tomaten und andere Gemüsesorten gediehen.

      „Ja, ja. Macht viel Arbeit.“, gab Butzmann von sich. Vor allem deinem Weib, ergänzte ich in Gedanken.

      „Ist aber sehr schön gepflegt. Gefällt mir wirklich gut. Das da drüben ist doch Spinat, wächst der gut hier?“ plapperte ich.

      „Das ist Petsay. Ein Kohlgemüse.“

      „Aha. Was machen sie mit den ganzen Sachen? Das ist ja sicher auch für die Bauern hier interessant. Mit Gemüse lässt sich doch gutes Geld verdienen. Ich habe gehört, dass es mit dem Reis hier nicht mehr so gut läuft.“

      „Nein, Reis läuft hier nicht mehr so gut.“

      „Sie arbeiten hier doch als landwirtschaftlicher Berater, wie ich mitbekommen habe. Was empfehlen sie denn den Bauern?“

      „Ich leite ein Projekt von Food-for-Asia. Das habe ich auch selbst entwickelt. Der traditionelle Reisanbau hier ist nicht mehr zeitgemäß. Muss man ganz klar sehen. Die Bauern wollen auch am Fortschritt teilhaben. Sie müssen profitabel wirtschaften. Mit der intensiven Produktion marktfähiger Kulturen. Gemüse und Hochertragssorten von Reis.“

      Butzmann war zwar immer noch etwas mundfaul und seine verschränkten Arme signalisierten Distanz, aber immerhin hatte er jetzt schon mehr als einen Satz am Stück von sich gegeben. Ich tat so, als würde ich kurz über seine revolutionäre Idee nachdenken und gab mich dann beeindruckt. „Das ist sicher ein guter Ansatz. Eigentlich ganz logisch! Und eröffnet völlig neue Perspektiven. Gerade jetzt, wo auch noch dieses komische Unkraut Probleme macht. – Was ist da eigentlich los?“

      Butzmann gab seine starre Körperhaltung auf und kratze sich unter den