Markus Meisl

Der Kronprinz des Selbstvertrauens


Скачать книгу

begebe mich mit gekonntem Schwung durchs Fenster...

      Nur wenig später: ein verstaubter Lagerraum – ich komme an, zwischen alten Kisten und vergessenen Toiletten. Hier ist niemand und das restliche Haus woanders. In einer alten, nie verkauften Kloschüssel jedoch: spezielle Magazine.

      Ich schlage den Deckel auf und entnehme das erste Heft, exklusive Ausgabe. Meine Gläser beschlagen, wie immer, wenn es zur Sache geht. Ich genieße die Ursprünglichkeit und das ästhetische Maß. Ich blättere mit Erregung, mit Bewunderung, jede Seite ein Treffer: wunderbare Auswahl, die besten Muster dieser Welt. Feine Stickereien aus Blumen und Arabesken, kostbare Zierrate, präsentiert - auf den Strümpfen der mondänen Damenwelt. Und alles sauber und auch zum selber kaufen!

      - - -

      Tage später läuft alles hinaus, auf das große Ereignis. Chef ist begeisterter Alpinist und so geht unser alljährlicher Betriebsausflug, wie könnte es anders sein: in die Berge! Groß im Gespräch sind gewesen Gletscherfelder, die felsigen Höhen, der Hochmahr, der Ewige, er ruft! Auf, auf, in das Reich des mystischen Steinbocks!

      Doch hier waltete, Gott Lob, der lindernde Einfluß von Fräulein Krüger und darum geht es, nicht zu steil und nicht zu lahm auf mittlere Höhe, mit Erlebnisaussicht und einer Jausenstation mit Flachlandbier.

      Als sich am Freitag morgen die ersten Nebel am alten Fabriksplatz verziehen, bin ich startklar: Bergschuhe und Steigeisen, Lodenjacke und Wams, Hut aus der Region und Wanderstab mit Abzeichensammlung. In meinem Rucksack und seinen vielseitigen Taschen: Schweizer Messer, Flachmann, Feldstecher. Und auf meinen Waden: viel Schwung und Murmelfett.

      Aber auch die Kollegen lassen einiges an alpiner Gesinnung und Vorbereitung erkennen. Ausgerüstet mit passenden Schuhen, windfester Kleidung und Wanderstöcken, alles modisch und geprüft bis auf achttausend Meter. Und als der Bus eintrifft, kommt Bewegung auf den Platz. Wer mit wem, vorne oder hinten und sitzt es sich besser am Fenster oder links am Gang? Das Fahrzeug hält, der Chef steigt aus; er präsentiert ultraleichtes Wandergewand, Profischuhe und Hut mit Gamsbart. Dahinter und auch schon auf Achse, Fräulein Krüger, rustikal verpackt, mit Programmheft und Wanderkarte.

      Es beginnt. Ich nehme einen Platz, ca. in der Mitte, zusammen mit einem Kollegen aus dem Lager, einem verträglichen Charakter. Chef und seine engsten Mitarbeiter ganz vorne, in der ersten und zweiten Reihe; gleich im Anschluß, die Sorte mit Verdauungsproblemen und Kurvenkrankheit. Und nun, erhaben über jede Geschmacklosigkeit: Isabella. Sie steigt die Treppe hoch, wie eine Blume, mit natürlichem Lächeln, seidigem Haar. Solide Schuhe, Rucksack aus fairem Handel und weiße Strümpfe, mit Stickereien aus Rosen, so daß wir uns herzlich begrüßen. Eine Prinzessin der Berge! Sie bezieht ihren Platz zusammen mit Frau Blau in der vorderen Hälfte, in guter Lage.

      Und wer kommt als letzter, mit überdimensionalem Kinn und violettem Stirntuch? Natürlich die Fliege, der Busclown. Überhaupt erlaubt sich hier die Frage, ob heute schon gestern, die Venus schon der Mars, oder der gute Stil bereits gänzlich verklungen. Denn er trägt sein Tuch am Hinterhaupt auf skurrile Art verknotet, mit einer engen Öffnung für den Haarschwanz, geschmackstechnisch ein Unfug. Und eine Höhenbrille mit verchromtem Bügel, der Angeber. Und keine Spur von einem Muster, da hat man´s. Die Fliege verlegt sich zusammen mit anderen Kollegen auf die Rückbank.

      Es gäbe hier noch mehr zu erzählen, aber wozu Zeilen verschwenden, wo es doch Wichtigeres gibt und des weiteren Geschmack.

      Nach der Begrüßung unseres Busfahrers, einem Hans oder Franz, geht es los. Und nun spricht Chef aus dem Mikrophon. Er heißt uns willkommen und kommentiert, in der Funktion des Fremdenführers, das erste Highlight. Zur rechten, die alte Fabrik, ehemaliger Standort zur Herstellung von Spucknäpfen und Wassertoiletten, Qualitätsartikel, schon damals, geleitet von seinem Urgroßvater ...

      Minuten später sind wir auf freiem Feld. Die Stadt ist verschwunden und um uns breiten sich Wiesen und Felder. Alle städtische Unruhe ist gewichen, einem sanften Dahingleiten und einer freudigen Vorausschau, in die Zukunft. Links an der Autobahn, am Horizont, eine auffällige Erhebung.

      Chef kommentiert:

      Hügelgrab, 15. Jhd. v. Chr., sie begruben ihren Stammesherrn mit Frau und Gespann, mit Kind und Kerze, um die Reise zu erhellen. Die Gräber sind in dieser Form einzigartig (er weiß viel). Das Gesinde: es folgte freiwillig ...

      Endlich sind wir aus der Ebene und die Straße beginnt zu steigen, auf zunehmenden Serpentinen - die Zukunft, sie kann warten. Der Bus trägt uns wie ein behäbiges Schiff bergauf, Kehre für Kehre. Es ist bequem, doch lustiger wäre es mit einer Maschine zu fahren. Hier sind Schluchten und dichte Wälder, mit Bächen in der Tiefe; erstmals erschlossen von den Kintolen, einem gefürchteten Bergvolk, das für sein Aussehen und seine Überfälle bekannt war. Je höher die Straße, desto wortkarger die Belegschaft.

      Schließlich, nach dem Passieren eines besonders dichten Waldstücks, die Ankunft im Basislager. Mehrere Busse stehen auf dem Platz, bereits geparkt und abgekühlt, manche erst dabei, ihren Inhalt zu lüften. Viele Pensionisten und Naturfreunde, Pioniere der Freizeit.

      Franz, unser Chauffeur hält, er wird den Tag im Tal verbringen und uns zu gegebener Zeit wieder abholen. Garantiert.

      Dann, vor dem Aufstieg, Kontrolle – Nachzählung der aussteigenden Mannschaft. Eins, zwei, drei, ... mit Hut, ohne, ... vegetarisch, konventionell, ... alles da. Fräulein Krüger notiert die Zahl und leitet sie weiter.

      Und daß mir keiner vom Weg abkommt! Ich bin verantwortlich für euch und im Wald, möglicherweise: noch vereinzelt Kintolen.

      Und indem man sich einig geworden ist, geht die Wanderung los. Anfänglich auf breitem Weg und schattigem Grund, mit dem Berg in verheißungsvoller Ferne. Der Troß bewegt sich gleichmäßig, mit mäßigem Tempo; da schalte ich einen Gang hinzu und komme nach vorne, auf die Höhe von Kollegin Blau und Isabella - unter sofortiger Aufnahme. Ja, meine beiden Mädchen, sie mögen mich!

      Na, lieber Kollege, fragen sie mit roten Wangen und Flirtlaune, auch ein Freund der Berge? Alles dabei? Kompaß, Flachmann, Verbandszeug?

      Unsere Unterhaltung hat Charme, hat Lässigkeit, so muß es ja sein. Doch schon bald schlage ich etwas vor: es wäre etwas Besonderes, nur für verdiente Menschen, ein Ort mit Kräften.

      Isabella, ... spreche ich unter vorgehaltener Hand, ... kommst du mit? Ich kenne da einen sehr schönen Platz, auf halber Strecke, ein Naturjuwel, wirklich einmalig und wenn wir uns beeilen, können wir noch rechtzeitig zurückkehren, ohne daß es auffällt?

      Sie reagiert unschlüssig. Ein Juwel der Natur, ein schöner Ort? Doch dann wagt Isabella das Abenteuer und Fräulein Blau verrät uns nicht.

      Und das geht so: wir verlangsamen unseren Schritt, nur ein wenig, so daß es niemand merkt. Dann, an einer unübersichtlichen Biegung: rein in den Wald. Von einem Moment auf den anderen sind wir in einer anderen Umgebung. Die Äste hängen tiefer, der Pfad ist steiler. Und unser Tritt, er wird rascher. Mit einem Mal steigen wir den Weg bergan mit abenteuerlichen Kräften. Das Harz duftet überall, am Wegrand der Specht und weiter drinnen im Gehölz, das Rascheln der Wildschweine. Ich kenne die Abkürzung aus früheren Wanderungen und Isabella hält Schritt, tadellos - ihr Naturell beweist den gesunden Kern. Unser Ausflug führt uns an einen Platz, der auch Versierte noch überraschen kann. Nach etwa einer halben Stunde Anstieg setzt es ein; die Bäume werden anders, geheimnisvoller, Blumen und Gräser erscheinen verändert und die Moospolster, doppelt so groß wie sonst, gut zum Liebe machen. Dies ist der Ort, wo es noch Füchse gibt mit Hasenohren und bunten Schnauzen, wo die Mäuse noch kleine Geweihe haben und Ameisenhaufen rosa Zuckergüsse; und vor manch verirrtem Wanderer stand schon, plötzlich hinter einer Biegung, zu nebeliger Stund: ein alter Kintole.

      Wir bewegen uns langsamer und kommen an eine Schwelle, wo sich der Raum öffnet.

      Und dann, wie eine Offenbarung, ein Wunder; wir stehen auf einer Lichtung und darauf ein einzelner Baum, von erstaunlicher Größe. Ich nehme meinen Hut ab, um die Ehre zu erweisen, alle Abzeichen verblassen. Isabella staunt; ich wußte, daß es ihr gefallen würde. Nun nähern wir uns, der Lage angepaßt. Es ist ein Platz von besonderer Energie, ein heiliger Ort, wohl schon von den Kintolen besucht.