Markus Meisl

Der Kronprinz des Selbstvertrauens


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kontrollieren und ob alles vorliegt, wie es der Computer verspricht. Hier ist es ruhig und warm und ich bin unsichtbar; mehrere Regalreihen mit schmalen Gängen und drei Etagen versperren den Blick. Betritt eine zweite Person das Areal, hört man es früh genug und das geschulte Gehör weiß mit der Erfahrung zu unterscheiden: Freund oder Feind.

      Ich inspiziere die Regale und mache bei jedem Teil, das sich mit der Liste deckt, einen Strich: Pissoirs, Toiletten, Bidets, etc.. Es verlangt Genauigkeit und Erfahrung, äußerlich sind es mitunter nur Kleinigkeiten, die ein Modell vom anderen unterscheiden, die sich aber im Grunde verhalten wie ein Ferrari und Minicooper. Und erklären sie das mal dem Kunden.

      Nach einer Stunde aufmerksamer Produktschau geht am äußersten Rand des Lagers die Türe. Ich halte inne, spitze die Ohren; Stimmen, etwas bewegt sich. Ist es die Evaluierung, einer von den Kollegen oder gar die Generalversammlung? Es ist mir noch unklar. Doch dann verebbt die Bewegung wieder, wie eine unschlüssige Brise. Die Türe schließt sich wieder.

      Jetzt greife ich an eine bestimmte Stelle im Regal, hebe den Deckel eines Spühlkastens und hole ein Bündel Zeitschriften hervor, Magazine, wie man sie kennt - zwischendurch erlaube ich mir, sie müssen nämlich wissen, ein wenig Auflockerung. Das muß sein. Denn durcharbeiten ohne Pause? Nicht mit mir!

      Die abgelichteten Damen in den Zeitschriften sind von gepflegter Art, durchwegs gewählt nach sinnlichen Kriterien. Eine liegt kokett am Strand und informiert mit versprechenden Blicken, eine andere wiederum hält sich die Brüste und ist lockscheu, wieder eine andere übt sich in einer Pose, die offensichtlicher nicht sein könnte. Die Bilder gefallen mir. Nur daß man die Körperbehaarung konsequent und an allen Stellen entfernt hat, ist bedauerlich. Manchmal mag es notwendig sein, doch im Grunde wirkt es zu sauber, wenn der Pelz verbannt wird. Fragen sie den Fachmann. Und unter jeder Dame ein Name - Dolly, Maria, Jenny, Lili, etc.. Dolly hat etwas Liebliches, Maria die größten Brüste, Lili ein opulentes Pearcing doch Jenny - Jenny ist die beste.

      Da geht am Eingang die Türe: Stimmen, Diskussionen, die Hauptkommission. Jetzt ist es soweit. Zwei Sekunden später sind die Magazine wieder im Versteck, neuer Rekord; denn jetzt, jetzt ist es Zeit. Ich nehme meine Unterlagen, drehe mich um und folge dem seitlichen Gang, für eine Weile; plötzlich in der Wand eine Geheimtür, aus der Entfernung nicht zu sehen - und ich verschwinde...

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      Das zweite Ende des Fluchtweges befindet sich unter dem Treppenaufgang, hinter einem Schrank; die Türe wurde schon länger nicht mehr benutzt, ich öffne sie unter dem Zerreißen zahlreicher Spinnweben, schwer und voller Staub. Hier ist wenig Licht und niemand zu hören. Es existiert auch eine Toilette auf dieser Ebene, nicht weit und für den Fall des Falles. Ich gehen hin, öffne die Türe und mache Licht; die Luft ist rein, die Kabinen auch. Demnach gehört die ganze Etage mir. Hose runter, Deckel rauf, es geht doch. Was will man mehr...

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      Sodann im Lift. Die Armbanduhr zeigt viertel vor zwölf. Jetzt noch etwas anzufangen, so kurz vor Mittag, es zahlt sich nicht aus. Die elektrischen Türen des Aufzugs haben eine spiegelnde Fläche, so rücke ich meine Krawatte zurecht, bringe meine Fasson in Stellung. Eine Nummer nach der anderen blinkt auf, schließlich mein Stockwerk, ich nehme Haltung an ...

      Dann, Ungewöhnliches im Büro; nicht weit meines Platzes eine Unruhe, die ganze Etage hat sich versammelt. Hat jemand den Stein der Weisen gefunden, den Stern von Betlehem gesichtet? Aber ich kann nichts Besonderes erkennen.

      Ist es uns überhaupt möglich, das Wesentliche stets am Anfang zu erkennen, jene Sternstunden, die gleich der Sonne erscheinen und die Routine beenden? Kann man überhaupt von Schicksal sprechen, wenn Unvermeidliches uns packt, abgerichtet auf unseren DNA-Code?

      Schließlich wird es klarer: mein Chef ist gekommen, um uns zwei neue Mitarbeiter vorzustellen. Alle stehen um ihn, wie um den Mittelpunkt des Colloseums. Er stellt den ersten Jungkollegen vor, ich schüttle seine Hand. Er ist ein unsicherer, etwas steifer Typ mit Brille, zwei Spurrillen zu freundlich. Seinen Namen habe ich sofort wieder vergessen.

      Dann, der zweite Neuzukauf: Isabell Matinell.

      Eine Frau tritt vor. Große Augen, ein magnetisches Lächeln. Das Haar kräftig, mit einem Schimmer. Ohrringe, sehr trefflich, tadellose Kleidung, ein kleiner Wohlstandsbauch. Und der Händedruck: offen und herzlich.

      „Frau Matinell wird uns im Verkauf, in der Abteilung für Wasserbetten unterstützen, „ gibt Chef bekannt, „ sie besitzt mehrjährige Erfahrung und ein Masterdiplom.

      Ich sehe sie an, ohne Unterbrechung.

      Da erinnert sich Chef eines seiner Scherze über Wasserbetten; für die hat er eine besondere Vorliebe und alle Kollegen müssen zuhören. Er baut die Pointe auf, behutsam, mit Bedacht und dann - der goldene Schuß. Die Belegschaft lacht, abrupt und aus vollen Hälsen, denn zehn mal erbrochen - da schmeckt´s am besten. Und die Neue schmunzelt, doch ihre Augen bleiben natürlich, mit eigenem Glanz. Und sie bewahrt tadellos Haltung, innen, sowie auswärts gerichtet.

      Da ist die Vorstellung zu Ende; Chef macht eine zufriedene Bemerkung, begleitet von galanter Gebärde und führt die Neuen weiter ...

      Ich bleibe zurück. Die Gruppe löst sich auf. Immer löst sich alles auf und manchmal, da wachsen Gebirge. Und ich gehe zurück auf meinen Platz, sonderbar gestimmt. Und ich setzte mich, langsam, von sonderbaren Ahnungen umsponnen - etwas Großes erwartet mich, schon bald.

      Und auf dem Schreibtisch ein Stoß von Akten, so hoch wie ein Termitenbau ...

      „ IHR MATERIAL ZUR EVALUIERUNG.

      AN MICH ZU ÜBERMITTELN, DRINGEND!“

      *

      Prüfung hin, Prüfung her. Selbstverständlich. Der Chef hat mir ein Arbeitspensum hinterlassen, das auch mit Überstunden nicht zu bewältigen ist. Aber auch die Personenkontrolle hat sich nun verstärkt und die externen Prüfer der Evaluierung stehen überall zwischen den Schreibtischen, vor dem Gummibaum, am Auswurf vom Fax und sehen sich um. Sie tun ihre Arbeit gewissenhaft, dem Auftrag entsprechend. So wie alle, die morgen noch ihre Krawatte tragen und den Kaffee zu trinken gedenken, nicht wahr? Ein Kontrolleur erscheint über den Pflanzen, wie ein argwöhnischer Mond, er forscht, forsch; doch nichts, er sieht mich nicht, er kann mich nicht sehen. Schließlich, als die Gefahr vorüber, hebe ich meinen Kopf aus der Versenkung. Nun bin ich an der Reihe; mein Auge prüft scharf, aus vermeintlichem Grün: ja, überall herrscht Konzentration auf die Sache, der Hochbetrieb der Köpfe. Es sind große Kräfte, die das zusammen halten, es muß wohl so sein. Aber das ist es ja gerade - seitdem ich sie gesehen habe, bin ich mir nicht mehr sicher. Es ist mehr, denke ich mir, es gibt noch anderes und das ist bald nicht mehr zu halten ...

      Noch am selben Tag Gewinnung weiterer Einsichten. Ich stehe unweit meines Platzes am Kopierer und, wie sollte es anders sein: kopiere. Da kommt mein Chef mit der Neuen, instruierend, belehrend. Am ersten Tag ist alles noch neu, wer kennt es nicht. Ich bleibe unauffällig, er professionell. Mein Chef ist gewandt im Umgang mit Menschen, in seinem Anzug, mit der Designerkrawatte, und die Neue eine Blume im routinierten Stall. Noch nie habe ich derartig Anmutiges gesehen, so schön, so gefaßt. Und dann das Unglaubliche; als die beiden an mir vorbeigehen, an der Rückseite ihres rechten Beins, unter dem Minirock hervorschießend: eine Laufmasche, ein Spalt im Gewebe. Ich erschrecke. Meine Brille, sie läuft an, beschlägt in Rekordschnelle. Als ich sie notdürftig gereinigt und wieder aufgesetzt habe, noch immer dasselbe. Auf bewegtem Fleisch, ziehend über den Schenkel, über die Wade, gar bis zur Ferse: Leck im Strumpf. Und die beiden führen ein informelles Gespräch ...

      Als die Arbeit weiter geht, ereilen mich unerwartet Schwierigkeiten. Die Akten der Evaluierung sind aufwendiger, als gedacht, viele komplizierter. Ich gebe mir Mühe und versuche, einen klaren Kopf zu bewahren - das ist wichtig. Posten hin, Posten her, hier eine Verknüpfung, dort ein Korrektiv. Und dennoch, wandelnd durch kühle Berechnung, durch Formationen von Zahlen, durch Berge von Arbeit: diese Beine.

      Und ich begreife, mit einem Lächeln und dem zarten Anflug von Verständnis: sie haben ein Strumpfproblem ...

      Schließlich Ende des Tages.

      Die