Markus Meisl

Der Kronprinz des Selbstvertrauens


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hält; und das Feuer erschlafft.

      Allmählich lasse ich meine Hände sinken, mein Blick schwenkt nach innen; ich starre ohne Ziel, doch seelenruhig ins Dunkel. So passiert es in letzter Zeit öfter, daß Gestalten vor mir erschienen, besonders zu Mittag, wenn Müdigkeit und Wärme mich umgarnen. Es ist wie ein kurzes Aufflammen von Gesichtern, die gleich wieder verschwinden. Ich frage mich, was sie bedeuten, ich frage mich, woher sie wohl kommen. Also, auch hier, alles beim Alten.

      *

      Einmal im Monat besuche ich meine Eltern. Es ist wichtig die familiären Bande zu pflegen und die Wurzel zu gießen.

      Ich öffne das Tor eines kleinen Häuschens mit Garten. Am Aufgang stehen Pflanzen, schimmert die Glocke aus Messing und selten dauert es lange; die Tür geht auf und mein Vater erscheint. Er ist ein stattlicher Mann mit gepflegtem Vollbart, blauen Augen und markanter Stirn, das Haar, verweht vom Winde der Zeit. Er begrüßt mich wie ein strahlender Jungmann, denn er freut sich, wenn die Kinder kommen.

      Ich betrete den Vorraum; überall atmet der Duft meiner Kindheit und Jugend, wenn auch schon etwas nostalgisch.

      Meine Mutter werkt in der Küche. Sie ist eine kleine, athletische Frau, mit vollem Haar und Brille und immer geschäftig. Putzt sie nicht den Boden, entstaubt sie die Schränke. Wäscht sie nicht die Wäsche, so poliert sie die Gabeln. Und abends vor dem Fernseher, da schwingt sie ihr Bügeleisen. So hat die Natur entschieden: vom Vater die Frisur, von der Mutter den geschliffenen Blick.

      Ich betrete die Küche, sie erkennt mich freudig. Und dann diese Geste wie aus Erwartung und sanftem Fordern: na, ein Küßchen? Und während sie unablässig den Kochtopf schruppt und mir die Wange bietet, erfüllt sich der Wunsch.

      Auch im Garten ist viel los. Mein Bruder und meine Schwester arbeiten ruhig und mit beständiger Absicht; denn bald, so heißt es, kommt der Winter. Mehrjährige und spätblühende Pflanzen sind wegen des Frostes gefährdet; das muß rechtzeitig ins Haus, es muß der Garten winterfest gemacht werden. Meine Schwester steht im Gemüsebeet und entfernt die Plastikfolie, dazu die Befestigungspflöcke. Die gesamte Ernte ist bereits eingebracht, die Zierpflanzen im Eimer. Allein zwei Rosensträucher blühen noch, in Gesellschaft blauer Zierkugeln. Mutter verwendet sie jedes Jahr als Gartenschmuck, wie zwei letzte Standposten, bevor das große Frieren kommt.

      Meinem Bruder fällt eine andere, jedoch nicht mindere Aufgabe zu. Er fährt mit der Schiebetruhe und holt die Zwerge ab; vorsichtig befreit er sie von Staub und Blättern, behutsam legt er sie in die Truhe. Sie sollen ins Haus, bevor der Winter einbricht und die Mützen zuschneit. Auch ein Zwerg hat Gefühle ...

      Die nächste Arbeit betrifft das Obst, Äpfel und Birnen. Der Großteil wurde schon geerntet, lange schon zu Mus und Marmelade verkocht. Doch zwei, drei Äpfel, eine wackere Gesellschaft, hängen noch dreist in den Kronen. Sie verhöhnen den Frost.

      Aber das ist nicht das einzige. Seit dem Sommer arbeitet Vater an einer neuen Gartenhütte, eine größere und schönere soll es werden, als die alte, mit eigenem Gesellschaftsraum, Vordach und Holzkohlegriller. Und eine Sitzecke und ein Tisch soll rein, auch eine Petroleumlampe und bunte Vorhänge, sowie ein Kanonenofen für kühle Abende.

      Vorerst steht das Gerüst, samt dem Fundament. Auch das Dach ist schon gedeckt.

      Aber noch ist manches zu tun und ich komme zum Zug. Gekleidet in eine blaue Arbeitsmontur und mit dem Werkzeugkoffer in der Hand marschiere ich auf, Vater wartet vor den Planken und Brettern der Baustelle. Er unterzieht die Hütte einem prüfendem Blick, weiß dann aber, wo wir fortfahren müssen. Da das Gerüst bereits steht, sind die Wände an der Reihe. Und er zeigt mir einen Trick, wie die Maserung eines Brettes zu verwenden ist, wie man eine Aussparung sägt, wie man richtig mißt, wie man das Stemmeisen führt, ohne sich selbst zu verletzten.

      Da kommt Mutter mit nagelneuen Arbeitshandschuhen. Sie gibt sie uns, zur Schonung der Hände. Denn Finger – man hat nur zehn. Vater dankt ihr für den Hinweis und er gibt mir das Paar.

      Inzwischen hat mein Bruder alle Gartenzwerge ins Winterquartier übersiedelt. Auch meine Schwester hat gute Arbeit geleistet: die blauen Zierkugeln sind weg, an ihrer Stelle bleiben die Holzstümpfe und die bloße Erde, müde vom Jahr, von aller Vegetation und Wachstumsarbeit. Nur die Rosen bleiben. Bis zum ersten Schneefall.

      Da zeigt mir Vater, wie man Bretter richtig anlegt: es ist wichtig, sie ganz aneinander zu pressen, damit der Wind nicht durch bläst. Denn etwas nachtrocknen und schwinden tun sie ohnehin, und das macht sich bemerkbar, auch bei guter Dämmung. So ist es immer gut, die Lage zu kennen, vorauszubauen, zu planen, denn einmal mehr zu überlegen ist, bei Erwägung aller Gefahren niemals Verschwendung: die Kälte.

      Endlich ist Mittag.

      Meine Geschwister und ich treffen uns am Brunnentrog zum Händewaschen - die Meisl-Kinder vereint. Damit sich einer waschen kann, muß ein anderer die Pumpe leihern und umgekehrt. Auch gibt es für alle ein Stück Seife, so hart wie ein Knochen. Das Handtuch ist frisch, doch so groß wie ein Kalenderblatt. Bruder geht nach dem Vater, meine Schwester nach Mutter. Er: attraktive Augen, volle Sehkraft, der Haarschopf beim Teufel. Sie: außergewöhnliches Haar, pflegeleicht, die Brille: so schwer wie Aschenbecher. Und ich: na ja, ...

      Und immer wieder ersteht dabei vor mir ein hehres und doch so fernes Bild; es scheint wie aus einem Traum, umkränzt von seligem Nebel: Der wahre Meisl - umwerfende Augen, mit der Sehstärke des Adlers und Haar, phantastisch, von außerordentlicher Wuchskraft und Geschmeidigkeit, daß die Bürsten nur so Schlange stehen. Bürsten in allen Größen und Formen. Werkstoffen und Farben. Für immer ...

      Da kommt Mutter mit vier Töpfen und den Tellern; ein Wunder, wie sie das alles tragen kann, sie hält es, sie balanciert es, und sie stellt es auf den Eßtisch. Noch trocknen wir uns die Hände, kommen dann aber an den Tisch: Mittagessen im Freien.

      Mutter verteilt die Teller und erklärt die Reihenfolge der Speisen. Es sind mehrere Gänge, Gemüse und Fleisch, Pikantes und Riskantes, vier Stunden Arbeit mit aufgescheuerten Knöcheln; und sie warnt uns: wenn es irgendjemandem nicht schmecken sollte, dann ... ja dann!

      Jeder nimmt sich vom ersten Gang, Suppe mit feinem Sahnedekor.

      Und alle beginnen zu essen, schweigend, mit tastenden Gaumen.

      Schließlich ist es Vater, der absetzt und das Schweigen bricht.

      „ALSO, MEINE LIEBE ... GANZ AUSGEZEICHNET! IM RESTAURANT HÄTTE ES NICHT BESSER SEIN KÖNNEN!“

      Und er drückt Mutter einen Kuß auf die Wange.

      Das war richtig.

      Vater beginnt wie beiläufig, in lockerem Ton zu erzählen; er kann überhaupt gut erzählen, besonders von seinen Reisetagen, als er beruflich auf Südseeinseln unterwegs war und gut verdiente; und das besonders bei fortgeschrittener Stunde und einem Gläschen Wein; vorläufig aber gibt es nur Quellwasser und normale Gespräche.

      Mutter empfiehlt zum Fleisch die Soße, denn ohne: da schmeckt`s nur halb so gut.

      Schwester und Bruder nicken.

      Und? Was gibt es Neues? Will Vater von uns wissen.

      Erst Zögern. Dann antworten wir, alle drei.

      Ja, hmm, gut ...jaa, hm, nja ... hoom, ...

      Um einfach zu bleiben.

      Nach einer Weile: Sonst noch was?

      Schließlich, nachdem ich den größten Kartoffel meines Tellers zerteilt habe:

      Also, ich habe mich diese Woche für einen Kurs angemeldet!

      Da heben meine Eltern die Brauen, bei so viel Information auf einmal. Einen Kurs? Ja? Erzähl doch! Laßt euch nicht alles durch die Nase ziehen.

      Gitarre, antworte ich, ein Abendkurs für klassische Gitarre!

      Plötzlich hört man den Wind im Gras und die Vögel: in den Wolken. Mutter sagt nichts, Vater starrt in die Brühe.

      Gitarre? Bemerken meine Geschwister schließlich, ohne eine Wertung abzugeben, hätten