Markus Meisl

Der Kronprinz des Selbstvertrauens


Скачать книгу

      Gegen zwei Uhr nachmittags, kommt es im Betrieb zu einer allgemeinen Geschäftigkeit. Die Kollegen ordnen ihre Schreibtische, sichern Daten, kippen den letzten Rest des Automatenkaffees; mancher optimiert seinen Scheitel mit einem strengen Blick in den Handspiegel, Frauen erneuern ihre Reizlippe, ohne am Schminkstift zu sparen. Dann aber stehen alle, einer nach dem anderen auf - und - es ist nicht der Gang auf die Toilette.

      Denn einmal im Monat findet die Generalversammlung statt, zu der die gesamte Belegschaft geladen wird. Mit einer Leinwand und Projektor wird der aktuelle Rechnungsbericht vorgestellt, Entwicklungen besprochen, Neuigkeiten präsentiert. Als ich komme, sind schon die meisten Plätze besetzt, nur in der ersten Reihe, ganz vorne, da sind noch die meisten frei; also nehme ich Platz und klappe die seitliche Auflage nach unten.

      Noch müssen vorne ein paar Steckverbindungen hergestellt, technische Hürden überwunden werden; schließlich aber steigt mein Chef auf das Rednerpult, die Versammlung beginnt.

      Wehrte Kollegen!

      Ich begrüße Sie zur monatlichen Generalversammlung! Sie wissen, unser Unternehmen war und ist eine Erfolgsgeschichte. Das geht nur durch Zusammenhalt und eine Philosophie, die Schwung bringt. Schon unsere Gründerväter wußten das, sie hatten mit der Einführung des Wasserklosetts eine neue Ära eingeleitet und die Hygienestandards revolutioniert. (An der Wand hängen Photos in Schwarz und Weiß, Portraits von würdevollen Männern mit Bärten, Fracks und Nickelbrillen) Aber die Konkurrenz ist schon lange da und wir beobachten sie ständig. So hat der Markt in letzter Zeit große Schwankungen erlebt, besonders nach seiner Öffnung für chinesische Produkte. Und diese Entwicklung gilt es verschärft zu beobachten! Bitte um die erste Einspielung!

      . . .

      Auf der Leinwand erscheint das Photo eines Wasserklosetts in Gelb und Diamantschwarz. Die Form ist schnittig und kompakt, seitlich in einem Holster ruht die Klobürste. Der gesamte Korpus ist stromlinienförmig, man hat das Gefühl, es könnte jeden Moment losgehen.

      . . .

      Was sie hier sehen ist die neueste Erscheinung auf dem chinesischen Markt, ein Klosett, das bereits zu Millionen hergestellt wurde und bald auch gegen unsere Grenzen preschen wird. Und das ist die Gefahr: Die Chinesen produzieren billiger!

      Ich notiere alles. Manches unterstreiche ich, das hilft im nachhinein das Essentielle zu fassen. Und ich brauche es für meinen Job.

      Ja, wehrte Kollegen! Es besteht die Gefahr der Infiltration. Aber auch wir haben nicht geschlafen und ein Modell in die Welt gerufen, das nur geringfügig teurer, aber entschieden besser ist.

       Auf der Leinwand erscheint es.

      Bitte beachten Sie das Design, die versenkbare Brille mit antibakterieller Beschichtung. Auch die Vakuumpumpe mit Vorwärmer und am Spühlkasten, elegant integriert, ein CD-Deck mit programmierbarem Dreifachwechsler. Musik unterstützt den Vorgang, der Muskel entspannt.

      Alle klatschen.

      Inzwischen hat der nächste Referent seine Notizen geordnet.

      Er hat einen Vortrag über Wasserbetten vorbereitet und wie sich der Kaiser dazu geäußert hatte, der alte Mann vom Schloß.

      *

      Pünktlich um fünf endet mein Arbeitstag. Ich nehme meine Jacke vom Haken und verabschiede mich bei den Kollegen. Draußen auf dem Parkplatz scheint die Sonne und überall stehen die Autos. Es sind nur ein paar Meter und ich habe mein Fahrzeug bald erreicht; glänzend schwarz, ein Tank mit Muster, viel Chrom und Leder, ein Rad vorne, das zweite hinten dran; ich löse die Krawatte, so wie man sich von einer Schlinge befreit, und werfe sie in den Gepäckkoffer. Noch den Sturzhelm aufgesetzt und auf in den Feierabend.

      Am offenen Schranken der Firma bleibe ich kurz stehen, stoße dann aber mit jähem Ruck in den Verkehr, ganz knapp vor dem Nahen eines Autos. Kein Problem bei 50 PS: pro Speiche.

      Auf der Straße ist viel los. Menschen gehen, Menschen kommen, Ampeln schalten auf Rot, Fußgängerphase, Ampeln schalten auf Grün, es brüllt der Querverkehr. Ich liebe es, meiner Maschine die Sporen zu geben und mich durch diesen Betrieb zu schlängeln. Die nächste Ampel blinkt bereits schattig-waldgrün, ich bin noch ein gutes Stück entfernt; hier läßt sich beweisen, welche Kraft der Beschleunigung ein schmuckes Zweirad zu leisten vermag. Ich lege mich flach, drehe das Gas gegen den Anschlag und fahre über die Kreuzung, daß es nur so saust. Eine Rakete ist ein Furz dagegen.

      An der nächsten Ampel ein Zwischenfall. Ich komme gerade um die Ecke und will die Kreuzung queren, als ein Auto abbiegt, gänzlich mißachtend die Verkehrsordnung; nur eine Vollbremsung kann die Kollision verhindern. Augenblicklich stehen zwei Fahrzeuge quer, die Seitenscheibe eines Wagens senkt sich herab. Der Fahrer, ein Bodybuilder mit Glatze und getuntem Schnurrbart beschwert sich sofort, er kann sich kaum halten; alles geht so schnell, daß es mir unmöglich ist, sofort zu reagieren. Dann aber wende ich meine Maschine und fahre den Mittelfinger aus, während die anderen in der Garage bleiben; das erzeugt weitere, schwer zu beschreibende Reaktionen. Aber da bin ich schon wieder davon.

      Weiter draußen, gegen den Stadtrand, wird es ruhiger. Der Verkehr ist nicht mehr so dicht, alle Menschen werden gelassener. Das bewirkt auch bei mir eine ruhigere Fahrweise; und es gibt mehr Blumen und überall freie Parkplätze, auch für große Limousinen. Und noch weiter, als ich den Körper der Stadt verlasse und auf das Land komme, nochmals ein bedeutender Wandel: alles wird weiter und gedehnter, der Verlauf der Straße natürlich, der Hitze fehlt Gestank. Und ich steuere zu auf die Kurven und lege mich rein, jede einzelne bedeutet Widerstand, das ist Erotik, das ist Freiheit. Die Kühe grasen in der Sonne und verzieren die Weide, der Geist ist tolerant. Und wenn ich in einem der ländlichen Orte aufkreuze, weiß ich, ich bin ein Ritter, ein Abenteurer, auf meinem Roß aus Chrom und Stahl.

      Einige Zeit später halte ich inmitten eines kleinen Dorfes. Es ist sehr still, kein Mensch ist zu sehen. Nur ein paar Enten queren die Straße, langsam und dabei den Gänsemarsch kopierend. Aber der Ort ist nicht nur von Tieren besetzt. Es gibt sogar ein Cafe, mit Tischen und Stühlen im Freien. Ich steige von meiner Maschine, klemme den Helm unter die Achsel und gehe über den Platz: der Ritter kehrt ein und hält Rast auf seiner Reise durch aller Herren Länder, begleitet von Gefahren, von Siegen und Kämpfen; es ist ihm zu eigen, stets da zu sein für die Kranken und Schwachen und, wenn es darauf ankommt, auch den Querulanten die Klinge zu biegen.

      Da bewegt sich etwas hinter den Blumen - es ist klein, unsicher und tastend. Und dann, die Überraschung: ein Kätzchen, wohl erst wenige Wochen alt. Ich bleibe in der Reserve, beobachte es und bin berührt von diesem kleinen Wesen, es wirkt noch so zerbrechlich; aber dann kann ich nicht anders und hebe es hoch. Ich muß es einfach streicheln und halten, herzen und kosen. Es weiß noch so wenig von der Welt und bedarf der vollen Fürsorge. Hast du dich etwa verlaufen, deine Mutter verloren? Weißt du, wie du wieder zurück findest? Momentan habe ich das Gefühl, die Obhut für dieses Tierchen übernehmen zu müssen. Aber da fällt mir ein: alle Kinder unterstehen einem besonderen Schutz und nur wir Erwachsenen sind es, die zuweilen den Sattel verlassen. Ich setzte das Kätzchen wieder ab und schon hat es mich wieder vergessen und ist ganz eingenommen vom Licht und Schatten, aber schon auf sicherem Weg, seine Instinkte zu entwickeln.

      Endlich kommt die Kellnerin auf dem knirschenden Kies; sie ist sehr freundlich und ihre Beine - aus vortrefflicher Werkstatt. Auch die Brüste, sehr ansehnlich, ausgezeichnet für meinen Ausflug; ich bestelle einen Kaffee mit Kuhmilch, noch frisch und warm; der Kellnerin auf dem Rückweg zur Küche nachzusehen, es kostet nichts.

      ---

      Als ich meine städtische Wohnung erreiche, ist schon Abend. Ich trete in das Vorzimmer und tausche den Sturzhelm gegen die Filzpantoffeln. Gleich in der Küche erwarten mich Max und Moritz, meine beiden Goldfische. Sie geben mir das Gefühl, nie alleine zu sein. Max und Moritz leben in einem Aquarium mit Stein und Pflanze und haben Spaß; ich gebe sehr darauf acht, daß sie sich wohl fühlen und keine Beschwerde vorbringen. Eine Wasserpumpe sorgt für frische Sauerstoffzufuhr.

      Aber auch meine Küche ist ein Ort des Wohlbefindens, von wo ich den Gang der Geschichte verfolge. Alles was