Markus Meisl

Der Kronprinz des Selbstvertrauens


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der Enttäuschung. Gitarrenkurs hin, Gitarrenkurs her, ja, aber ist es nicht an der Zeit, auch im Beruf an ein Weiterkommen zu denken und DAFÜR Kurse zu besuchen? Immerhin sei ich schon sieben Jahre in derselben Stellung, ohne jede Beförderung. Gibt es nicht die Möglichkeit, einmal aufzusteigen und seine Gehaltsstufe zu wechseln? Abteilungen brauchen Führungspersönlichkeiten und Weiterentwicklung bedeutet mehr Geld, bedeutet mehr Sicherheit.

      Nun schweigen wir alle.

      Es bedarf keiner weiteren Erklärung. Schließlich setze ich das Besteck ab und wische mir mit der Serviette den Mund. Da erinnert Mutter an die Nachspeise: Pudding mit Erdbeersoße. Probiert mal!

      Ich beziehe Stellung: aber der Gitarrenkurs ist mir wichtig. Es ist ja nur einmal in der Woche! Selbst große Manager haben ihr Steckenpferd und nicht nur die Arbeit. Und die Stellung in der Firma, sie ist nicht so schlecht, wie es scheint, manchmal etwas computerlastig, ja, aber ein Job. Und Aussicht auf Beförderung: die gibt es zur Zeit wohl kaum; es sind andere, die sich diesen Braten teilen.

      Hier reagiert Vater verärgert: Alles Ausreden! Auch mir sind gewisse Sachen wichtig! Das mit der Beförderung wäre ja noch zu abzuwarten, aber ihr, alle drei zusammen, seid schon über dreißig und habt noch immer keine Kinder. Wie ist das nur möglich? Es ist doch die natürlichste Sache der Welt. Und wir wünschen uns Enkel, lange schon, und - hier verändert er nochmals seine Stimme - in letzter Zeit ist es immer so still im Haus.

      Jetzt ist es raus.

      Aber da ist auch meine Ruhe dahin und ich schwanke zwischen verletztem Stolz und dem Notstand um eine Erklärung. Er muß doch auch meine Seite verstehen! Und das mit dem Kinderkriegen ist nicht so einfach! Die Zeiten haben sich geändert und die Frauen sind nicht mehr so pflegeleicht wie früher; das muß er beachten. Seit sie neues Bewußtsein haben, seitdem die Emanzipation in den Zeitungen steht, seitdem Kondensmilch nur mehr am Schwarzmarkt zu melken ist.

      Alles nur Ausreden - besonders faule - entgegnet er zornig und schlägt mit der Hand auf den Tisch, es braucht nur ein wenig guten Willen und die Bereitschaft, Verantwortung zu übernehmen. Aber daran mangelt es wohl jedem einzelnen von euch!

      Da ist´s genug! Ich springe auf, mit geballten Fäusten; den Pudding können nun die Vögel haben, Notration für den Winter. Ich wende mich ab, gebe dem Sessel einen Tritt und stapfe durch den Garten; sollen sie doch weiter essen und sich leid tun, die Stille beklagen, mich geht das nichts mehr an. Ich platze ins Haus und greife nach meinem Sturzhelm, Sekunden später sitze ich auf meiner Maschine und starte: mit Höllenlärm!

      Häuser und Gärten beginnen sich zu bewegen und flitzen an mir vorbei. Die Straße, eine einzige entfesselte Rennbahn! Und ich drehe meine Maschine weiter auf, werde immer schneller, verbissener; nun hatte ich die Kröte wieder gefressen!

      Und es bohrt die eine Frage: Warum muß er mich so quälen, mit großen Erwartungen und erhobenem Zeigefinger? Bin ich denn ein Erfüllungsknecht? Ist unser Leben tatsächlich auf der falschen Bahn? Gibt es den Verhau, den ganz großen?

      Und immer wieder die Angst vor dem Wind und der Kälte; wo ist denn nun der Wind, wo ist denn nun die böse Kälte?

      Mein Innenthermometer flirrt vor Hitze. Und ich gebe noch mehr Gas und ich werde wahnsinnig. Ich komme in eine Kurve, dort modert der Schatten, verquickt mit dem Laub... ich breche aus. Meine Maschine verliert die Bodenhaftung, doch mit derselben Geschwindigkeit geht es weiter. Dann geschieht alles sehr schnell. Ich durchstoße einen Holzzaun, die Bretter fliegen, ich rutsche auf einer Wiese, alles dreht sich, fliegt an mir vorbei, dann etwas Lebendiges, flüchtend, Federn durch die Luft, und ich schieße über ein nasses, schwarzes Feld, gleich einem Pfeil, und kollidiere mit etwas Kompaktem, ... zuletzt überschlage ich mich.

      Nach Sekunden des Schreckens komme ich zu mir; ich sitze auf einem Misthaufen, das Visier mit Kot verschmiert; doch dann sinke ich auf meine Schenkel und stinke; nun ist es doch wieder das Weh, das mich packt wie eine Zange. Ich bin verkrampft und bekomme kaum Luft.

      Und rings um mich herrscht großes Durcheinander, als hätte eine Bombe eingeschlagen. Hühner und Gänse gackern, in den letzten Schritten ihrer Flucht und blicken auf mich zurück, die böse Rakete. Ein Hahn schlägt empört mit den Flügeln, die größte Beschwerde vorbringend. Und ich hocke noch immer auf dem Dung; letzten Endes geht es doch allen gleich, man wird überfallen, man wird überrascht, man landet auf dem Mist. Überall verliert die Freude Federn. Und ein Huhn senkt sein Hinterteil und gibt dem Schrecken gehörig Luft.

      Den Dreck auf meinem Anzug erledigt die Reinigung, die Kratzer auf der Maschine die Werkstatt, die blauen Stellen verschwinden. Für Knochenbrüche gibt es den Doktor. Doch wer reinigt meine Weste, das Mal unter der Haut?

      Eklats dieser Art lähmen mich für Wochen. Dann leide ich und kann an nichts anderes mehr denken ... einen guten Job, eine verständnisvolle Frau, dazu noch Sonnenschein und alles authentisch und frei von schlechter Nachrede.

      Doch woher nehmen und nicht stehlen?

      ---

      Einmal in der Woche vergesse ich meine Sorgen.

      Ich befinde mich in einem schattigen Hof, unter dem prachtvollen Grün von Linden. Meine Maschine steht neben einem Haufen aus Schutt, vorwiegend in grau und blau, dazwischen Bruchstücke von Ziegeln. Auf dem Gepäckträger ruht, sorgsam mit Gummibändern befestigt, ein Holzkoffer; er hat an den Ecken kupferne Beschläge und ist sehr handlich. Ich nehme ihn behutsam von der Maschine. Die Session beginnt. Ich gehe über einen breiten Weg, durch einen Garten, dann durch eine Tür und in das Haus mit Blumen. Schon höre ich die vertrauten Stimmen, es zieht mich, es wartet, und zwei Schritte weiter bin ich da, im Gemisch von Farbgeruch, Milchkaffee und entspannter Atmosphäre. Denn jeden zweiten Mittwoch ist Kurs für Kreativmalerei.

      Mutter der Veranstaltung ist Mama Martha, ein in die Vollendung gekommene Frau mit großem Herzen. Sie begrüßt mich mit zwei dicken Küssen auf die Wange und umarmt mich. Ihre Sprache ist die des Körpers, freundliche Augen, reichlich Pfunde und ein Umfang, so breit wie ein Rubensgemälde. Für Mama sind alle Kinder Malende, Sprößlinge der Erde; egal wie dick der Pinsel, wie stark der Auftrag der Farbe, egal wie groß das Können: in jeder Brust pocht warmes Blut.

      Ich gehe zu meinem Platz und begrüße die Kollegen, Menschen aller Alterstufen, auch Menschen mit Behinderungen. Die Atmosphäre ist wohlwollend, gemeinschaftlich, es ist das gemeinsame Hobby, das verbindet.

      Ich streiche über das Leinen und öffne meinen Malkoffer. Im Koffer: Pinsel, Farbtuben, Verdünnungsmittel, zwei Ballaststoffriegel.

      Noch dauert es eine Weile, bis sich alle eingefunden haben. Die Leute sitzen, tratschen, doch allmählich wird es dichter. Schließlich erhebt Mama Martha das Wort. Sie begrüßt die Gruppe mit warmem Willkomm. Am Anfang stehen ein paar einleitende Worte, über die Kunst, über die Freiheit, die große Gnade; denn grau ist alle Theorie, doch hell des Lebens dampfender Strom. Mama Martha stimmt uns ein ...

      Am Anfang steht nur die weiße Fläche, das unbenützte Leinen. Doch plötzlich ist Farbe auf dem Pinsel und die Arbeit beginnt. Ich habe anfangs etwas Scheu, mich dem Prozeß zu überlassen. Wer weiß, was kommt? Wer weiß, wovon? Will ich es sehen? Kann ich es tragen? Doch alsbald ist das Lampenfieber verschwunden. Einem Auftakt von Grün folgt Rot, dann Rosa, wie ein wirbelnder Schweif. Es folgen Grau und Blau, ich kann es gar nicht steuern. Der Geist ist erwacht, der Pinsel hat Spaß.

      Aber im gesamten Raum herrscht nun Stille und hohe Präsenz. Alle malen fleißig. Mutter Martha geht langsam zwischen den Staffeleien, die Hände am Rücken, mit den voluminösen Hüften, dem erhobenem Kopf, verfolgend die Entstehung der Werke. Ab und wann gibt sie ein wohlwollendes Lächeln, einen ermunternden Blick.

      Ein Mann mit stechenden Augen steht gerade vor seiner Staffelei und führt den Pinsel konzentriert; es ist ein Feuer und eine kontrollierte Wildheit in seinen Augen, die er stückweise auf die Leinwand bringt. Das kann was werden.

      Ein Greis mit weißem Vollbart wiederum ist die Ruhe selbst; er sitzt vor seiner Leinwand und malt zufrieden, malt selig; alles an ihm ist selbstredend.

      Auch das Mädchen im Rollstuhl, mit den Zöpfen und der Zahnspange ist in ihrem Tun zu Hause,