Markus Meisl

Der Kronprinz des Selbstvertrauens


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ich habe etwas zu sagen. Die Wahl der Farben erfolgt nach Geschmack, dünn oder kräftig, für sich oder ineinander spielend. Und es erscheinen Formen, verkörpernd die Wendung, den inneren Gang. Es ist erfreulich, wenn der Nektar erscheint, es malt gut, wer auch das Gift nicht verneint.

      Nach und nach habe ich die gesamte Leinwand ausgefüllt; es ist ein Kolorit aus allerlei Stücken, Beziehungen und Wendungen; aber immer wieder kommen Ergänzungen; es ist ein Prozeß. Dann kommt die Arbeit zum Stoppen. Ich betrachte mein Werk. Es kann sein, daß etwas noch kommt, doch vorerst bin ich leer.

      Jetzt ist der Moment gekommen, um aufzustehen und sich ein wenig die Beine zu vertreten. Es ist gut, Abstand vom eigenen Werk zu nehmen, zu pausieren und sich mit einer Tasse Kaffee den anderen zu widmen. Der Blick über die Schulter ist frei und überall gibt es etwas zu entdecken.

      Als ich zu meinem Bild zurückkehre, atme ich durch. Ich betrachte es erneut. Es ist gut, es drückt die Lage aus. Da und dort vielleicht noch eine kleine Verbesserung, doch weiter ist nichts zu ändern.

      So folgt der zweite Teil des Kurses. Er besteht in der Sichtung und Besprechung der Arbeiten. Dieser ist nicht weniger traditioniell und alle haben Anteil. Irgendwann haben sich alle um das erste Bild versammelt.

      Es stellt eine Heidelandschaft dar, vornehmlich in Blau-und Grau, übergossen vom kühlen Schein des Mondes. In der Mitte steht eine Hütte und von dieser entfernt sich ein Wanderer.

      Mama Martha nähert sich dem Bild mit bedeutungsreicher Sprache. Hmmm, ahhh, interessant, sehr schön, wirkungsvoll in der Sparsamkeit der Mittel, und der Wanderer, ein starkes Symbol, der Suche, des Weges ...

      „WAS HAT ER IN DER HÜTTE GEMACHT,“ fragt jemand aus der Runde, „ HAT ER SICH AUSGERUHT?“

      Der Maler schweigt bedeutungsvoll.

      „ICH WEIß ES, „ ruft jemand anders,“ ER HAT SICH EINE WURST GEBRATEN!“

      Wieder falsch.

      „ER HAT DIE HÜTTENWIRTIN ANGEBRATEN!“

      Interessant, aber auch falsch.

      Endlich gibt der Künstler die Auflösung.

      Die Hütte existiert in Wirklichkeit in einer anderen Dimension, und der Wanderer geht an ihr vorbei. Jetzt sind alle enttäuscht und stöhnen auf; Mama Martha gibt das Lob – ein origineller Einfall, darauf wäre niemand gekommen.

      Das nächste Bild - es stellt einen roten Kreis und ein Dreieck dar; auf blauem, kongruentem Hintergrund.

      „UH, MATHEMATIK, kommt wie erschrocken ein Ausruf aus der Mitte!“

      Alle erstarren und nehmen Distanz.

      Ja, Mathematik, fügt Mama Martha nach einer Pause hinzu und tritt bedeutungsschwer aus der Mitte ... Mathematik, Pythagoras und Kopernikus, Kepler und Gauß, die Großen. Aber es ist noch mehr; es ist das Relative im Absoluten, Gesetz und Form, Kristall und Struktur. Es enthält Geheimnisse, es ist Flirt mit Epsilon: aber eben auch mit Pi ...

      „JA, JETZT SEH ICH ES AUCH!“

      Und so geht es weiter. Mama weiß zu jedem Werk etwas zu sagen. Und sind es nur bloße Kohlenstücke, die jemand malt, so ist es die besondere Art, dieselben zu setzten, und malt jemand sehr unsicher, voller Zweifel, so ist es das Verletzliche, das durchkommt. Mama würdigt automatisch.

      Und Willi, der stille Greis mit dem weißen Vollbart, hat eine Alm mit lauter Hütten und fleißigen Sennern und Sennerinnen gemalt, mit hohen Bergen im Hintergrund. Und ein Gipfel in der Form eines Hornes ragt besonders hervor, mit augenscheinlichen Kräften. Natürlich wird er bemerkt, und, wie kann es anders sein, Willi als Besitzer ungeahnter, kolossaler Talente entlarvt. Und alles lacht und alle sind zufrieden.

      Als mein Bild an die Reihe kommt, entspinnt sich ein Diskurs. Es geschehen richtungsweisende Umbrüche in diesem Werk, meint Mama Martha, große Bewegungen. Es ist ein mutiges Werk, großes Potential, das noch schlummert, und sie sagt es mit Betonung.

      Für mich ist es ein Hund im Schnee, dem die Eier frieren, erklingt eine Gegenstimme.

      Nein, es ist eindeutig ein Huhn, ein träumendes Huhn in Nepal, behauptet wieder eine andere. Sie ereifern sich, werden emotional, fahren sich fest. Am Ende ist man sich uneins; ist es nun ein Huhn, ein Hund im Schnee, oder großes Potential? Aber in einem gewinnt man Übereinstimmung: die Farben kommen aus Nepal ...

      Nach dem Ende des Kurses verlassen wir alle das Haus, gehen durch den Vorgarten und fühlen uns gut; wir wechseln noch ein paar Worte, lachen, zerstreuen uns aber dann in alle Richtungen.

      Wieder montiere ich meinen Malkoffer auf die Maschine, und spanne sorgfältig den Gummi; nun ist es die große Sonne, die mich erfüllt. Und die Bäume haben Saft in den Blättern, wirken erneuert. Ich schwinge mich auf meine Maschine und ich habe es nicht eilig irgendwohin zu kommen. Ich fahre die Straße entlang, die Blätter über mir, die Stämme fest darunter. Da betritt ein Mann mit Krücken die Straße, er kommt plötzlich von der Seite. Ich drücke elegant Kupplung und Bremse und warte. Seine Bewegungen sind so langsam, daß er nur Zentimeter für Zentimeter voran kommt. Eine Schnecke könnte konkurrieren.

      Wird es den Agenten gelingen, mich zu ärgern? Meine Maschine tuckert und tuckert, ich warte und warte. Irgendwann, bin ich nun eine Minute gestanden oder zehn, hat er es geschafft und ich fahre weiter. Würde der Alte umfallen, so würde ich zurückfahren und ihm auf die Beine helfen. Keine Frage.

      An der nächsten Kreuzung blinkt die Ampel Grün, ... spuckt Orange und ... schaltet auf Rot. Ich halte, zufrieden und voller Selbstvertrauen. Da kommt das grüne Signal. Eine elegante Lady in Stöckelschuhen betritt den Zebrastreifen. An der Leine führt sie ein Hündchen in modischer Bekleidung, ein Mäntelchen gegen die Kälte; während sie einen Schritt macht, macht das Hündchen fünf. Sie geht sehr erotisch und lächelt mir zu. Und ich lächle zurück, sehr erfreut hinter meinem Sturzhelm. Und ich stelle mir vor: die Kleine wartet heute abend auf meiner Couch: Kein Problem.

      Auch der Hund darf kommen und erhält seine Wurst. Ein Ritter weiß, was sich gehört.

      Sich all dies vorzustellen, hat Kraft, hat Potential.

      Es geht weiter. Sanft fließt der Verkehr, andere überholen mich, sind schneller; es ist mir egal. Auf meinem Tank spiegeln sich die vorbeiziehenden Häuser, das grüne Gewölbe, mit Braun und Rot, den Farben des Herbstes; ich befinde mich auf einem der breiten Wege, die aus der Stadt führen. Und ich weiß: der alte Noah hätte das Boot nicht besser geschaukelt.

      Später; mein Tank spiegelt noch immer die Umgebung wie ein magisches Glas. Nun gucken Kühe daraus, mit großen Augen und riesigen Schnauzen, ich bin auf dem Lande. Ich liebe es, ins Weite zu fahren und neue Flecken zu entdecken. Seit einer ganzen Weile schon ist mir kein Fahrzeug mehr begegnet, Wiesen und Bäche lachen, Gebirge säumen meinen Weg. Und dann gelange ich in ein Dorf mit Häusern und Ställen, die verschlafen in der Sonne liegen. Als ich eintreffe, ist kein Mensch zu sehen. Auch nicht in den Gärten. Alles ist aufgeräumt, der Rasen gemäht, die Wäsche gewaschen, die Leinen gespannt. Und doch ist es so, als könnte jeden Moment jemand um die Ecke kommen und vorsprechen. Oder sollte ich mich irren?

      Schließlich, es ist schon am Ende der Ortschaft, drossle ich meine Geschwindigkeit. Denn da steht auf einem umzäunten Grundstück ein Esel; doch noch ein lebendiges Wesen in diesem seltsamen Dörfchen! Ich nehme mir vor, den Burschen mit einem Büschel Gras zu locken und stelle mich an den Zaun. Es dauert eine Weile, bis er mich bemerkt, doch schließlich kommt er näher und nimmt das Futter. Als ich ihn streicheln will, will er mich beißen. Ich versuche es noch einmal, doch der Esel bleibt stur. Plötzlich habe ich das Gefühl, aus diesen Augen blickt mich jemand an. Ein Vorwurf, eine Klage? Ich überlege. Was will er mir sagen? Doch dringe ich nicht durch ...

      ---

      Wenig später eine weitere Begegnung.

      Ich habe gerade das Dorf mit dem Esel verlassen, bin wieder auf meiner Maschine; da erscheint, schon von weitem, eingerahmt von Mauern, ein Friedhof. Aufmerksam betrachte ich im Näherkommen diese Anlage, die offen auf einem Hang liegt und wie das Dorf