Markus Meisl

Der Kronprinz des Selbstvertrauens


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dazu Mineralwasser: nicht zu viel und nicht zu wenig.

      So hab ich´s gern.

      Da kommt Fräulein Krüger in den Saal, die Sekretärin vom Chef. Mitte dreißig, gebildet, ein Hinterteil wie ein Frachtschiff. Sie trägt eine Mappe mit Dokumenten unter dem Arm und legt diese dem Chef zur Unterzeichnung vor, Haltungsnoten: vorbildlich.

      Sie verwaltet Termine, organisiert Besprechungen, hält die Übersicht - sie ist die rechte Hand. Ohne den dicken Hintern geht gar nichts. Chef behandelt sie wie ein besonderes Inventar, einen vertrauten Monolithen. Jetzt ist die Unterfertigung beendet und sie geht wieder hinaus. Immer korrekt, immer loyal; aber das Hinterteil, Verzeihung: schon die Hälfte würde reichen!

      Und dann, mir schräg gegenüber, der Clown, die Fliege - der Kollege aus der Wasserbettenabteilung. Oder sollte ich sagen: Collage aus der Kostümfraktion? Groß, schlaksig, immer kariertes Sakko, Fliege statt Krawatte - geschmackstechnisch bedenklich. Glattes, fallendes Haar und ein Kinn im Ausverkauf, so groß und vorstehend ist es. Er selbst arbeitet im Einkauf und glaubt, mit dieser Aufmachung und einem Drang zu extra-saloppen Bemerkungen einer besonderen Avantgarde anzugehören. Ich beachte ihn nicht weiter, als die Gase, die mir rückwärts ausbrechen.

      Und dann, mir gegenüber Platz nehmend, als sollte es uns bestimmt sein: Isabella - die Neue. Ich proste ihr zu, sie erwidert lächelnd, strahlt mich an. Es ist, als würde uns etwas verbinden, ein herrliches Einvernehmen, von Natur aus gegeben.

      Noch ordnet Chef seine Unterlagen; da bleibt Zeit, sich eine Stärkung zuzuführen. Ich nehme eine der in Plastik geschweißten Tabletten, löse sie aus der Verpackung und gebe sie in meinen Orangensaft; das gibt gehörig Wallungen und Brause, konzentrierte Vitamine und Mineralstoffe sind das, sagt mein Apotheker. Ich rühre zweimal um, proste Isabella zu, mit meinem galantesten Lächeln und mache den ersten Schluck. Von Armor bis Zielscheibe ist alles enthalten, den Rest verrät der Beipackzettel.

      Allmählich haben sich die Nebenwirkungen gelegt und Chef erhebt das Wort. Schon im ersten Satz wird deutlich: die Versammlung steht unter dem Motto von Synergie und Zukunftsplanung - ein Film soll alles erläutern.

      Liebe Kollegen!

      Jeder einzelne von uns besitzt Erfahrungen, Fähigkeiten, die kein Kurs vermittelt! Talente auf vielerlei Ebenen! Nur führen diese Gaben oft ein versprengtes Dasein und es fehlt ihnen an Gesellschaft. Ich will, daß sich unsere Stärken verbinden! Ich möchte, daß jeder vom anderen lernt, ganz offen! Jeder ist einzigartig und braucht sich nicht zu verstecken. Daraus folgt: keine Angst!

      Augenblicklich beginnt der Film, projiziert auf die weiße Wand, und in dieser Sekunde, in diesem Bruchteil, sehe ich diese Beine, diese Pythonschlangen einer Kollegin, die ihre Lage auf laszive Weise wechseln, um sogleich im Dunkel zu verschwinden.

      Ich könnte nicht sagen, daß mich der Anblick überwältigt hätte, aber zusammen mit der Vitaminpille ergibt es eine Reaktion, und die wächst sich aus - zum Problem.

      So beginnt Chef zu referieren, synchron zum Film.

      „Ja, meine lieben Kollegen, China, der schlafende Riese, er schläft schon längst nicht mehr! Treten Sie näher und sehen Sie selbst!“

      Der Streifen zeigt einen chinesischen Betrieb, in dem elektronische Teile gefertigt werden. Alle Angestellten haben hygienische Hauben und Laborhandschuhe und arbeiten fleißig. Mit Genauigkeit, Disziplin und klarer Vorgabe. Und in der nächsten Einstellung erfährt man schon, daß sie vor dem Beginn des Tages zusammen Sport betreiben, um Gesundheit und Gemeinsinn zu stärken.

      „Ja, meine werten Kollegen, hier sehn Sie, warum im Reich der Mitte nichts anbrennt! Zuwächse in zweistelliger Höhe und ein Minimum an Krankenständen, daß es für jeden Unternehmer die Freude ist. Die Mongolen, ihre Nachbarn, haben dies erkannt und versuchen, die Chinesen zu imitieren!“

      Inzwischen hat sich der Stoff meiner Hose angehoben und zugespitzt, zur Freude aller Indianer. Ein natürliches Zelt, mit feurigem Inhalt. Aber dieses Feuer, es tut weh. Es brennt wild und ohne Kontrolle. Wenn nichts geschieht, brennt es ein Loch in die Hose. Ich versuche an etwas Asexuelles zu denken, an Eisberge, an den Nordpol, an einen Tümpel am Abend, doch hilft es nur wenig.

      „Ja, die Chinesen ...“

      Inzwischen ist es mir doch gelungen, mein Zelt etwas zu legen, nun passen nur mehr kleine Indianer hinein, mit kurzen Federn. Ich bin dankbar für jeden Zentimeter, so ich überhaupt dankbar bin, wenn das Feuer brennt, konventionell und ohne Rauchentwicklung. Aber es ist eine große und dauernde Übung.

      Da erscheint eine bildhübsche Chinesin auf der Leinwand, eine unermüdliche Arbeiterin am Fließband, doch diesmal ohne hygienische Haube und mein mühsam erlangter Fortschritt ist wieder dahin. Schlagartig. Es bleibt einem nichts erspart.

      Endlich ist der Film zu Ende. Chef steht da mit geschwollener Brust und sieht in die Runde, um die Reaktionen entgegen zu nehmen.

      Gibt es noch Fragen, meine Damen und Herren?

      Schweigen im Raum. Durch die Belegschaft wabbert eine Unsicherheit und Zurückhaltung, weder Fisch noch Fleisch. Sekunden ohne Antwort.

      Endlich eine Meldung. Isabella hebt ihre Hand und rettet uns. Ja wie denn eine solche Vernetzung nun zu erreichen sei, wollte sie wissen.

      Chef: Synergie by Faithful and Alternative Extraction - und er läßt dabei nichts anbrennen.

      S.F.A.E. - um es kürzer zu machen.

      Isabella: Verstehe.

      Nach einer weiteren Weile: Doppelschweigen.

      K.W.F. - keine weiteren Fragen. Der Vortrag ist zu Ende. Das Licht geht an. Alle stehen auf und nehmen ihre Unterlagen. Ich sitze vor meinen und betrachte sie; denn ich kann noch nicht aufstehen, das geht nicht.

      Chef, der am anderen Ende des Tisches sitzt, verlegt sich auf die Nachbereitung, wie immer nach seinen Vorträgen. Als er merkt, daß ich noch immer da bin: eine kleine Erkundigung.

      Meisl, gibt es noch Fragen?

      Nein, ... es ist nur, ... sich gleich vor Ort das Wesentliche zu notieren, in Stichworten - das hilft.

      Chef wird hellhörig.

      L.B.C.R. – sie betreiben originales L.B.C.R..

      Was betreibe ich?

      L.B.C.R. – Learning by Comprehensiv Recognition. Man definiert und festigt alles, solange es noch im Obergedächtnis ist, um die beste Verankerung zu erreichen. Die Hirnforschung hat dies erkannt und mit Statistik belegt. Alles eine Sache der Durchblutung.

      Chef steht auf und tritt näher, nimmt nochmals seine Vortragshaltung ein ...

      Ganz anders bei K.-K.O.: Hierbei geht man davon aus, daß dem Gehirn nur an bestimmten Tagen zusätzliche Ressourcen zur Verfügung stehen, aber auch nur dann, wenn die Lebensführung stimmt. Allerdings ist unter Berücksichtigung dieser Regel Enormes erreichbar, wiederum aber hat die Wissenschaft erkannt, daß eine partielle Durchblutung des Rückenmarks ...

      - - -

      In den nächsten Tagen läuft alles gut.

      Zeitig am Morgen bin ich im zweiten Stock und kontaktiere Isabella. Wir sitzen zusammen und lernen voneinander. Isabella hat einen wunderschönen Ausschnitt, verbrämt mit einem Muster und einen Minirock, der moderner nicht sein könnte. Muster sind zur Zeit überhaupt In und zieren so manchen Fleck im Gelände. Doch niemand kombiniert das Elegante so gut mit revolutionärem Inhalt wie Isabella und steht zur seiner Laufmasche. Nach und nach sollte sich erweisen, daß dies zu ihrem persönlichen Outfit gehört, wie das Gänseblümchen zur Frühlingswiese. Heute am Knie oder zwischen den Schenkeln, morgen auf der Wade oder schon anderswo: Schrick im Strumpf. So hab ich´s gern.

      Würde es mir einfallen, jeden Tag ein Loch in meiner Hose zu verbuchen, mit allerlei Durchmessern und an fraglichen Stellen – fragen sie nicht! Dazu fehlt mir das Selbstbewußtsein.

      Chef´s Programm des vernetzten Wissens ist voll angelaufen und umfaßt alle Abteilungen. Der Clown, die Fliege kommt herbei