Markus Meisl

Der Kronprinz des Selbstvertrauens


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fällt er meinen Aussagen ins Wort, als wäre ich Luft. Aber das Gleiche gilt für ihn, nur mit dem Unterschied – die Luft vom Clown ist schlecht und kann abgelassen werden.

      Ruhig richte ich mein Wort an Isabella: in dieser Frage sind wir schon sehr weit gekommen, die Vernetzung ist erfolgreich, nicht wahr, aber findest du nicht auch: die Fliegen sind lästig.

      Ja, da hast du recht. Ob es wohl ein Gewitter gibt? Man sollte die Fenster schließen.

      Aber der Clown steht noch immer da, mit festem Blick und vorstehendem Kinn: Machomania.

      Ja, meine liebe Dame, kontert die Fliege, Gewitter sind stark, voller Kraft und Charisma und: sie sind reinigend. Nichts für schwache Naturen, denn dort ist´s bald so abgebrannt wie auf dem Mond (eine Anspielung auf meine Glatze).

      Dann würden sie bitte die Freundlichkeit haben, zuerst dort drüben anzufangen, (sie zeigt auf den Schreibtisch vom Clown), bevor der Blitz woanders einschlägt? Und Vorsicht: lassen sie es nicht zu wild bumsen.

      Das hat gesessen. Ich habe die vollste Achtung vor Isabella´s Kunst; auch die Fliege hat´s begriffen. Aber an seiner selbstgefälligen Haltung hat sich nichts geändert; unerschütterlich und blasiert sein Lächeln, dazu der grün karierte Halsschmuck.

      Große Vernetzung, große Bewegung, überall! Zwei, drei Stunden täglich sitze ich nun bei Isabella, diskutiere und lerne, beobachte und evaluiere. Und was ich stets besser begreife, mit jeder Sitzung – Isabella ist ein wunderbarer Mensch; taktvoll und achtsam, immer für einen Spaß zu haben und völlig unkompliziert. Das ist mehr, als man gewöhnlich verdient. Ich fühle mich wohl in ihrer Nähe, wenn wir die Akten studieren und unser kaufmännisches Wissen schleifen, wie einen rohen Diamanten.

      Und der Clown, die Fliege? Der umkreist uns wie der Geier im Off. Aber wenn er schon glaubt, originell sein zu müssen, dann sollte er gleich an eine Generalrevision denken!

      Da kommt es zu einem Zwischenfall. Ich hatte bereits vergessen, wie mein Leben noch vor Wochen dahingeplätschert war, so schön waren die Stunden mit Isabella verlaufen. Also, ich nehme die Treppen in den zweiten Stock, mit großem Schwung und Vorfreude! Als ich jedoch das Büro betrete, ist sie nicht anwesend. Überhaupt ist die Hälfte des Personals weg und die Plätze sind aufgeräumt. Noch stehe ich da, als mich eine der Verbliebenen bemerkt, eine Kollegin mit dicker Brille, Hakennase und sehr klein, kaum höher als ein Zaunpflock; sie scheint überrascht über mein Kommen, aber dann frage ich Fräulein Kautz:

      "Äh, ... die Kollegen?"

      "Die Kollegen? Sind auswärts, auf Schulung. Ein zweiwöchiges Seminar, im Oberhammergau, Vollpension, mit Frühstücksbuffet. Ja, wußten sie das denn nicht?!"

      Noch stehe ich da, als könnte aus dem Esel noch ein Mustang werden, doch endlich habe ich begriffen und ziehe ab. Enttäuscht und langsam; Kollegin Käutzchen verwundert.

      Da passiert es; ich stehe am Gang und starre aus dem Fenster, als mich wieder die Schwermut erfaßt, die melancholische Grundhaltung. Augenblicklich wird die Luft frostig, die Farben verkümmern. Ich sehe draußen die Bäume und die Leitungen der Stromgesellschaft. Bald werden alle Blätter gefallen sein und die Drähte sich ziehen wie schwarze Einbahnstraßen, mit Krähen drauf. Im Nebel ... im November, ... dem trübsten Monat ...

      Und meine Lider werden schwer, getunkt in Traurigkeit - es ist eine seltsame Ahnung, gespeist von Witzlosigkeit: vielleicht nicht bestimmt zu sein für diese Welt und dennoch leben zu müssen ... auf Abstellplätzen, im Off - verheiratet mit der Kälte ...

      - - -

      Tage später; ich helfe meinem Vater beim Bau einer Schaukel. Um den Vorgang gemäß Lehrbuch durchzuführen, hat er die Einzelteile auf dem Vorplatz aufgelegt, alles streng nach Winkel. Er hält den Gesichtsschutz und schweißt die Elemente zusammen; ich bin aufmerksam, reiche die Elektroden. Und: lerne.

      Dann die Aufstellung. Das Fundament mißt ein mal eins, solider Beton. Darin eingegossen sitzen die Lager, die der Konstruktion Halt und Stützte verleihen. Um das hundert Kilo schwere Ding in die Höhe zu bringen, bocken wir es mit Holzsparren auf, das geht gut - bis zu einer gewissen Höhe. Schließlich packen wir es von beiden Seiten; Vater zieht vorne, ich drücke hinten. Es geht langsam, es macht uns Mühe, wir keuchen: doch wo ein Wille, da auch nicht Stille!

      Wir lassen nicht locker; da fehlen nur noch Zentimeter - die Schaukel ruckt vor und landet im Fundament. Hier läßt Vater los, springt zur Seite und zieht die Schrauben an. Ich halte, sichere. Nach der letzten Mutter ist es geschafft - eine Schaukel so groß wie noch nie, ein Monument, ragend in den Himmel. Wenn auch das Sitzbrett und die Seile noch fehlen, so steht sie da. Und drüber ziehen die Wolken ...

      *

      4.Kapitel

      Daß es nicht gut ist, zu oft in ein Loch zu fallen, habe ich schon immer gewußt. Daß es unlogisch ist, zu beklagen, was man nie bekommt, kann man gleich vergessen.

      So bleibt nur eins: erhöhen sie den Blutzucker.

      Immer wieder sitze ich im Kaffeehaus und studiere die Tageszeitungen, ohne Termin-und Kontrolldruck. Ich habe einen Stammplatz am Fenster und die Bestellung bereits aufgegeben. Jeder braucht auf seine Weise, für ein paar Stunden, ein paar Augenblicke, eine Pause vom Ich und seinen Verstrickungen; ein Abtauchen in Momente der Zufriedenheit, der Ruhe, der müßigen Schau ...

      „ARBEITSLOSENZAHLEN SO HOCH WIE NIE! OPPOSITION SCHELTET REGIERUNG!“

      „SCHWERER UNFALL NACH DEM FEST!

      WAGEN VERWECHSELT BAUM MIT EINFAHRT!

      LENKER: TOT!“

      Jede Seite eine glatte Information. Entweder, oder. Keine halben Sachen.

      Da kommt der Kellner mit Frack und weißen Manschetten und bringt meine Bestellung. Auch bei mir ist´s klar: Schwarzwälder Kirsch Torte und einen Großen Braunen mit Schlagsahne. Ich nehme den Zucker: ein, zwei, ..., vier Löffel, ... er bleibt eine Weile über Wasser, gebettet wie auf Wolken, bis er, wie kann es anders sein - untergeht. So hab ich´s gern.

      „HERR UND FRAU MUSTERMANN BALD NICHT MEHR IMSTAND, SICH DEN LACK AUF DEM AUTO ZU LEISTEN: ARMUT IM KOMMEN!“

      „ERNEUT SELBSTMORDSERIE! MANCHE NOCH SCHWEBEND, ZWISCHEN TOD UND LEBEN!“

      Ich steche definierte Stücke von der Torte, nicht zu groß und nicht zu klein, betupft mit Blütenschaum von Schlagsahne.

      „LADY OPIUM, DIE GROSSE SCHAUSPIELERIN - VIERTE BRUST-OP IN EINEM JAHR! NOCHMALS UM ZWEI ZENTIMETER ERWEITERT!“

      Einmal etwas Positives. Ich schwenke meinen Kaffe, ein, zwei Schluck unter feinperligem Schaum, und kippe ihn runter.

      Da kommt gerade der Kellner vorbei und so bleibt mir nur eins: eine zweite Torte!

      Garcon! Einen Großen Braunen und Schwarzwälder Kirsch! Dasselbe nochmal. Das schließt den Magen.

      Der Kellner erwidert mit einem korrekten Lächeln, das Tablett hoch über dem Kopf balancierend; man weiß ja, wie das ist.

      Aber auch sonst kann man etwas erleben. Links von mir sitzen zwei Teenager in der Ecke und erforschen ihre Lippen auf´s engste. Schön ist es, jung zu sein und seine ersten Versuche zu machen; ohne Faltenwurf und Hörgerät.

      Aber da kommt der Kellner herbei, wie selbstverständlich, mit zwei garnierten Getränken.

      „Wir wär´s zur Abwechslung mit einem Bananenshake und einem Frappe aus frischen Himbeeren? Kostet einmal.

      Die beiden setzen ab und kosten, aus Strohhalmen in Spiralform, am Hawaischirm vorbei... und strahlen. So ein Bananenmix – fast so gut wie Küssen!

      Hab ich´s ja gewußt, sagt der Kellner und strahlt, rückt aber dann noch einen Schritt näher. Nun ändert er Stimme und Haltung – aber, es gibt auch Kuba Libre, ein kleiner Schuß in den Shake. Wollt ihr?

      Und er sagt es unter