Sanne Prag

Ein Kleid aus Seide


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das mit völlig leerem Blick. „Ich brauch die Ponhomy“, sagte Saphyr, deutlich lauter werdend. Ezra sah die Wand an und wartete. „Sie müssen doch wissen, wo sie ist, schließlich sind Sie lang genug hier im Haus“, stellte Saphyr zu Ezra gewendet fest.

      „Nein“, meinte Ezra freundlich und langsam. „Nein, kann ich nicht sagen.“ Keinesfalls durfte man sich in Erklärungen verstricken. Freundliche Absage war das einzig Richtige.

      „Vielleicht ist sie gar nicht in der Burg, vielleicht ist sie im Haus.“ Der Produzent raste zum Haus, über eine Brücke, durch den Hof und wieder bei Türen hinein und wieder hinaus. Saphyr hatte es scheinbar gerne, wenn ihm jemand nachlief. Raus auf die Wiese und bei einer anderen Türe wieder hinein. Irgendwie waren sie beim Frühstücksraum gelandet, ganz in der Nähe von dem Ort, wo Rita gestorben war. Es war also gar nicht so schwierig, dort irrtümlich anzukommen.

      Ein Buffet mit Brötchen war angerichtet für die Jagdgesellschaft, die auf Anordnung der Polizei noch anwesend war. Ezra hatte Interesse an den Brötchen, Saphyr nicht.

      Da kam Frau von Ponhomy bei der Türe herein. Sie war im Mantel, mit einer von Udos Samenkapseln auf dem Kopf, in Grün. Jagd ist grün. Sie wirkte ausgeglichen, fast zu ruhig, dachte Ezra. Sie wirkte künstlich ruhig. Die sonst bei ihr spürbare Hektik war der Haltung der Hausfrau gewichen, die sich um Gäste kümmern musste. Sie hatte es vermieden, in Schwarz aufzutreten. Das Leben musste weitergehen, wichtig waren die Gäste. Sie sprach höflich interessiert mit einem Ehepaar und brachte eine Salz- und Pfeffergarnitur zu einem Tisch, an dem ein kleiner älterer Herr saß. Dann erst zog sie den Mantel aus und reichte ihn zum Wegbringen einem herum eilenden Kellner. Saphyr hatte sie in dem Augenblick erreicht. „Ich muss mit Ihnen wegen dem Filmprojekt sprechen.“

      „Ach ja“, sagte Frau von Ponhomy höflich interessiert. Udos Samenkapsel hatte sie aufbehalten. War wahrscheinlich in der Hektik nicht beim Friseur gewesen. Es schauten schicke, dunkelblonde Ponyfransen aus der Hülle. Sie wirkte ruhig, mit viel Überblick, fiel dem aufmerksamen Ezra auf.

      Mit der Samenkapsel überragte sie Saphyr um fast zwei Köpfe, eine Erscheinung! Und sie ließ sich nicht einkochen. Saphyr wollte zwischen Gästen und Brötchen günstigere Vertragsbedingungen, aber sie setzte dem freundlich harte Grenzen. Ja, die Verträge würde sie gerne übernehmen. Sie müsse sich erst klug machen, was da ausgemacht war, aber sicher, ja, das würde genauso weiterlaufen. „Kann ich Ihnen helfen, Herr Baumeister?“ Sie ging auf einen Mann zu, der mit panisch suchendem Blick bei der Türe stand.

      „Ich suche meine Frau“, sagte der, und seine Kiefermuskeln arbeiteten unter dem Dreitagebart.

      „Ich bilde mir ein, die habe ich gerade vor einer viertel Stunde noch hier gesehen, sie kann nicht weit sein“, sagte Frau von Ponhomy mit suchendem Blick. In Ezras Ohren rastete ein Marker ein – hier wurde gelogen. Warum? Vor einer viertel Stunde war Dame Ponhomy noch gar nicht im Raum, war doch gerade erst gekommen.

      Es schien eine gute Art, mit dem Herrn Baumeister umzugehen. Seine verkrampfte Haltung löste sich ein wenig. „Möchten Sie nicht einen Aperitif nehmen? Vielleicht kommt sie gleich wieder.“ Sie führte ihn sanft und unmerklich zur Bar und lieferte ihn dort ab. Da kam die kräftige Dame mit der weißen Mesche im schwarzen Haar auf sie zu, Ezra hatte am Vortag kurz mit ihr gesprochen. „Oh, Frau von Salten“, sagte die Gräfin von Ponhomy, und Ezra fragte sich, ob der Adel nun abgeschafft war oder nicht. „Wo ist Edi?“, fragte die dröhnende Stimme der Frau von Salten. Suchte die auch ihren Mann?

      Ezra hatte inzwischen ganz stark das Gefühl, einen Vorstoß starten zu müssen, einen Versuch, mehr über die Dame Ponhomy zu erfahren. Informationen sammeln war angesagt, alles, was Wolfgang helfen konnte. Er schaute zu Saphyr. Der trat von einem Fuß auf den anderen, er war mit Frau von Ponhomy noch nicht fertig. Ezra entschuldigte sich kurz und lief auf den Gang.

      Ein Kellner kam mit einem Teller. „Wo ist jetzt doch gleich die Garderobe?“, fragte Ezra. „Ich glaube, ich habe mich schon wieder verlaufen.“ Der Kellner bestätigte höflich, dass das in dem Haus sehr üblich war, und wies auf einen Raum ein Stück den Gang hinunter.

      Ezra fand eine kleine Kammer vollgestopft mit Kleiderständern. Er suchte einen grünen Mantel, ein bestimmtes Grün, kein Loden, wo war der? Sein Auge überflog den See von Mänteln aller Farben – ein mittleres, ein wenig blaustichiges Grün. Er wanderte um die Ständer herum, es sollte ihm nur keinesfalls jemand helfen kommen. Schließlich fand er ihn ganz hinten. Schneller Blick, lauschen, nein, keine Schritte. Oder doch Schritte? Ja, deutlich, Schritte.

      Ezra stand im Raum und ordnete Dinge in seinen Hosentaschen. Alles, was man so eben tut, wenn man seinen Mantel gerade ausgezogen hat. Ein Mann kam eine Jacke holen und ging wieder.

      Schnell durchsuchte er wie geplant die Taschen des grünen Mantels. Autoschlüssel, Fahrschein markiert, ein Päckchen Bilder – stellten alle das gleiche dar. Er ging unter die Lampe, alle stellten Frau Ponhomy in einer roten Robe dar. Und dann war da ein Brief. In einer wackeligen und unsicheren Schrift: … und du gibst es am Friedhof zum Grabstein und fragst nicht lang, und ich will auch nicht, dass du‘s irgendjemandem sagst. - Fast wie von einem Kind geschrieben wirkte das.

      Ezra stopfte alles wieder zurück. War das ein Erpressungsschreiben? Wer erpresste hier wen? Warum hatte sie gelogen? Sie wollte wohl den Herrn Baumeister beruhigen. Warum musste er beruhigt werden?

      Als Ezra zurückkam, war Saphyr euphorisch. Er hatte zwar nichts zusätzlich verdienen können, aber das Projekt war gesichert, wie ursprünglich geplant. Sie gingen in den Garten.

      Sie standen am Teich und sahen aufs Wasser, vis a vis die Burgmauer, aus großen Steinblöcken gebaut, dunkelgrau, grob.

      Ruhe zog im Produzenten ein und seine Vermarktungsabteilung begann, langsam zu blühen. „Ein Film ist nicht nur ein Drehbuch, eine Kamera, Schauspieler und eine Abrechnung. Ein Film ist etwas ganz anderes“, sagte er leise. „Ein Film ist eine Parallelwelt. Er ist eine eigene Lebensform, ein besonderes Biotop. Es schläft. Man muss es erwecken. Filme haben eine eigene Kultur, wie Inseln. Jeder eine andere. Man muss ihm schnell helfen, seine Kultur sichtbar zu machen, weil er meist eine kurze Jugend hat. Allein schon an den Kostümen und den Gesichtern der Schauspieler, die man aussucht, entstehen die Regeln dieser Welt. Sie entstehen an der Farbe. Und wie beladen die Bilder sind. Vollgeräumte oder leere Bilder, grau oder strahlend, die Parallelwelten schwimmen in einem Meer von Farbe oder Nicht-Farbe mit Spiegelungen der Realität.“

      Er schaute um sich. „Wir haben hier eine Burg als Bild. Grauer Stein ist die Kulisse, das Drehbuch eine Vampirsache, das geht im Moment sehr gut. Die Erotik des Ausgesaugt-Werdens ist in. Ich glaube, irgendwo hier gibt es auch einen Friedhof. Damit sind alle bekannten Artefakte versammelt, alle Normen für Vampire. Und jetzt beginnt das Biotop zu blühen. Jetzt könnte sich der Vampir aus einem Fenster oder von der Burgmauer runterlassen, in einem schwarzen, aufgeblähten Mantel und jeder rutscht sich in seinem Sessel bequem zurecht und weiß, was da kommen wird. Aber da setzt die Kunst der Werbung ein: Man muss mehr draus machen, das Ganze ist so noch B-Movie, reines B-Movie. Wahre Kunst und der große finanzielle Erfolg sind nur dann gegeben, wenn man mit dem Geld für B-Movies eine neue Welt herstellt, die aber vielleicht noch ein bisschen etwas von der alten hat – damit sie jeder versteht.

      Dieser Film, an dem wir da arbeiten, hat das Zeug zum großen Erfolg, denn er beginnt mit zwei echten Morden hinter der Kamera – nicht vor ihr. Das Drehbuch ist wohl noch B-Movie, aber wir machen etwas draus. Wir werden ein neues Paradies für Kinogeher herstellen.

      Ich habe schon die nötigen Informationen aufgeschrieben. Morgen geht es an die Presse: Hier wurde alles für einen mystischen Film vorbereitet, habe ich geschrieben. Der Beginn der Dreharbeiten wurde durch die Morde überschattet, beunruhigend, als ob ein Fluch über dem Ort läge.

      Und dann tatsächlich: Während der Vorbereitungen wollten wir ein altes Steinbecken als Kulisse verwenden, so wie dieses dort am Haus.“ Er geriet ins Träumen. „Wir haben es aus der Mauer genommen. Dahinter kam ein Skelett zum Vorschein. – mit einem Loch im Kopf. Genau wie bei dem Mordopfer.“ Seine Hände formten Skelett hinter der Mauer, bildhaft, fast zärtlich. Schließlich setzte er große Hoffnungen in den angeblichen Fund.