Sanne Prag

Ein Kleid aus Seide


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muss das ganze Haus verwanzen und mit Kameras bestücken und keiner darf mich dabei erwischen“, sagte Wolfgang zu seiner Tasche und begann, darin zu kramen. Er war noch immer unsicher, ob er das Risiko für seinen Freund eingehen konnte. Andrerseits, wenn er jetzt seine Arbeit flott vorantrieb, konnte er weitgehend fertig sein, bis klar wurde, was mit dem Filmprojekt geschah. „Ich muss aufpassen, dass keiner auf die Idee kommt, was ich da tue.“

      Ezra sagte: „Ach, das ist doch kein Problem. Wir sind beim Filmteam, treffen Vorbereitungen für den Film. Saphyr ist beschäftigt, den Tod von Ponhomy zu vermarkten. Der interessiert sich für die Vorbereitungen nicht, nur für die Erben.“

      „Was für Erben?“

      „Er wollte, dass ich herausfinde, wer nach Ponhomy erbt. Wegen der Verträge, denke ich. Ich überlege noch, wie ich das angehen könnte.“

      Bepackt mit allem Notwendigen, verschwanden sie in den dunklen Gängen der Burg. Udo drapierte gerade dunkelgraue Stoffbahnen auf Theresas Körper.

      ABEND

      Wolfgang setzte die ersten beiden Kameras in die Augen von zwei Rüstungen. Die Glaskästen mit Objekten und den Käfern machten den Raum ziemlich unübersichtlich. Er hatte tote Winkel bei der Überwachung. Ein Mikro wurde an einem Glaskasten unsichtbar befestigt, und Ezra stand Schmiere. Mehr konnte nicht getan werden, man musste Geräte sparen. Sie gingen weiter.

      „Sag“, meinte Ezra. „Ich will dich ja nicht in Stress bringen, aber ich hätte schon gerne gewusst, um was es eigentlich geht. Ich meine, die schicken dich ja nicht her, wenn nicht etwas tatsächlich passiert ist.“ Ezra hielt eine Rolle dünnen Kabels und eine Rolle dicken Kabels und Wolfgang hatte eine Schmelzklebepistole in der Hand und mehrere Plastikstifte zwischen den Lippen. Er stand auf einer Leiter. Eine weitere Kamera wurde gerade am Ende eines langen Ganges mit Blick zum Eingang befestigt. An dem letzten Stift vorbei meinte er: „Das Problem ist, ich weiß nichts Konkretes. Eigentlich bin ich hier, um konkrete Fakten zu sammeln.“

      Ezra wartete still. Irgendetwas musste die Aktion in Bewegung gebracht haben.

      Wolfgang stieg von der Leiter. „Es ist in etwa so, wie wenn Astronomen ein schwarzes Loch entdecken. Sie sehen nichts, aber sie merken, dass sich etwas Ungewöhnliches tut. Es verschwinden Objekte, die vorher noch da waren. So auch hier. Es verschwinden Menschen und Nachrichten und ganze Systeme. Dafür berichten die Anrainer von Ufo-Sichtungen und Geistererscheinungen.

      Hier ist ein Epizentrum von irgendetwas. Eine Burg gibt einem ja immer zu denken. Ist architektonisch ziemlich unübersichtlich und hat viele ungenutzte Räume.“ Er kramte in seiner Tasche. „Angeblich wurden hier mehrfach Geister gesehen, in einem grünen Licht, und ein verschwundenes Auto ist beunruhigend, weil mit Sicherheit nicht gestohlen. Und eben zwei ungeklärte Todesfälle und jetzt noch Ponhomy …

      Mein Problem ist, dass ich durch den Tod von Ponhomy in Zugzwang bin. Eigentlich hätte ich gerne nur mit wenigen Kameras an den Knotenpunkten begonnen und hätte beobachtet, wo sich etwas tut, um dort dann mehr zu installieren.“

      „So sparsam muss deine Einheit auch wieder nicht sein.“

      „Es geht nicht um sparsam. Je mehr Kameras, desto eher kann durch Zufall eine entdeckt werden.“ Das war einleuchtend.

      Es gab ein Stiegenhaus, von dem schlang sich eine Treppe in einen Turm, dort wurde eine Kamera gesetzt. Der Turm brauchte keine, wenn das Stiegenhaus eine hatte.

      Nach einiger Suche fanden sie im Erdgeschoß einen Gang, der zu einer Stiege abwärts führte, wahrscheinlich so etwas wie ein Keller. Dort war ein weiterer langer Gang, und von dem öffneten sich Kammern mit Gittern davor. Sowas wie ein Verließ und Gefängniszellen? Es erinnerte Ezra auch ein wenig an eine Grottenbahn, denn in einem der Verließe saß ein Gipsmann, und wenn man auf einem Knopf neben dem Gitter drückte, rasselte eine Kette und hob seinen Gipsarm zweimal. Er sah ziemlich elend aus. Wahrscheinlich eine Touristenattraktion, und wenn alle von der Gruppenführung versammelt waren, drückte der Kustos auf den Knopf. Ein beglückendes Ereignis für Touristen, die ja schließlich auf die Freuden einer öffentlichen Hinrichtung sonst verzichten mussten.

      „Und was eigentlich genau erwartest du, mit den Kameras einzufangen?“, fragte Ezra.

      „Eigentlich nur ungewöhnliche Ereignisse. Irgendetwas Heimliches. Das kann natürlich dann am Ende auch nur eine Geheimbruderschaft sein. Da gibt es meist keinen Grund, warum sie ihre Sachen geheim halten. Hat mehr mit Tradition zu tun. Macht sie interessant. Das wäre dann doch nicht so gefährlich wie angenommen. Vielleicht erklären sich die verschwundenen Leute und Autos irgendwie ganz vernünftig, und ich könnte einfach wieder einpacken und nach Hause gehen. Dagegen spricht aber die Leiche des Hausherrn.“

      „Es hat auch schon Geheimbruderschaften mit kriminellen Ambitionen gegeben. Aber ich sehe, was du meinst. Du willst wissen, was da geheim gehalten wird.“ Ezra verstand, dass die Kameras Leute bei heimlichen Aktionen beobachten sollten. Dafür mussten sie zuerst einmal in Durchgangsräume gehängt werden, dorthin, wo jeder vorbei kam, wenn er in der Burg oder im Haus etwas wollte.

      Für alle sichtbar, legten sie zusätzliche Lichtleitungen für das Filmteam. Deshalb trug Ezra die Kabelrolle ständig vor sich her, während Wolfgang winzige Geräte unsichtbar befestigte.

      FRÜH

      Theresas Flecken schillerten in allen Farben, aber die Schmerzen waren weniger geworden. Es gab Frühstück zu den Zimmern. Das musste sie zwar selber zahlen, aber sie machte sich gerne auf die Suche.

      Durch breite, hohe Gänge, die Treppen hinunter führte sie der Weg bis in ein entlegenes Zimmerchen, das nach Kaffee roch. Die Bautechnik von Burgen und Nebengebäuden schien ihr immer aufs Neue fragwürdig, ließ zu wünschen übrig. Ein winziges Frühstückszimmer, so hoch, dass man zwei Zimmer hätte übereinanderstellen können, war nicht praktisch. Auch ein bisschen düster fand sie es. Frühstückszimmer hatten hell und freundlich zu sein und nach frisch gebackenen Semmeln zu riechen, damit sie ihre Anerkennung fanden.

      Plötzlich schrille Schreie.

      Schrille Schreie waren in der Früh verboten, keine gute Sache. Vorhut von Unannehmlichkeit. Theresa musste also nachschauen gehen, ob sie wollte oder nicht. Eigentlich wollte sie nicht. Sie wollte in Ruhe ihre Semmel essen. Aber die Schreie gingen in heftiges Schluchzen über, gequälte, hilflose Laute. Da war etwas passiert.

      Theresa wanderte in Richtung der Laute, wieder entlang an dem mächtigen Gang, und als sie um eine Ecke bog, sah sie auf ein gespenstisches Bild. Im Gang lag ein Körper, in eine hellgrüne und dunkelblaue Robe gehüllt, wie eine Blume, gerade eben aus einem Strauß gefallen, auf diesem dunklen, kalten Steinboden. Daneben stand eine junge Frau mit einer Thermoskanne vor der Brust und schrie laut. Es lag auch ein großer Sandstein in Form eines kleinen dicken Hundes daneben. Stückchen des hellen Steines hatten sich auf dem dunklen Boden verteilt. Ein bisschen Blut klebte an ihm und am Boden. Sie blickte nach oben auf ein Loch nahe der Decke.

      Was Theresa fiebrige Schauer über den Körper jagte, war, dass sie das Kleid kannte. Sie hatte es erst gestern an Rita gesehen, als die sich heimlich zu Futzi davonmachte und von ihr wissen wollte, ob sie schön genug war für einen Heiratsantrag. Sie hatte sie seit dem Zeitpunkt nicht gesehen und hatte vermutet, dass sie, aus Liebe schwach geworden, bei ihm blieb, und er hätte vergessen, dass er sehr katholisch war.

      Die junge Frau mit der Thermoskanne schluchzte und schrie, und es wurden immer mehr Menschen, die einen Kreis bildeten. Theresa kniete sich neben den Körper und sagte leise: „Rita.“ Dann noch ein wenig lauter: „Rita.“ Sie nahm ihren Arm und spürte ihn kalt und hart. Das war der Tod. Rita war weg aus dem Leben. Das Schicksal hatte Rita einen Stein an den Kopf geschmissen. Und sie hatte gehen müssen, in die andere Welt. Sie konnte Rita nicht mehr helfen.

      Ein Mann drängte sich durch die Menge, auch er nahm Ritas Hand, aber die war steif.

      Theresas