Sanne Prag

Ein Kleid aus Seide


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sie inzwischen schon von weitem. Aber sie konnte sich beim besten Willen nicht erklären, warum über diese Mode berichtet werden musste. Irgendwelche unförmigen Sachen mit vielen sehr komplizierten Nähten. Die Reporter bekamen wahrscheinlich ein bisschen etwas für den Bericht. Es gab wohl auch so etwas wie Sponsoren für Zeitungen, überlegte sie.

      Dann fiel ihr auf, dass Udo gerade sein „unberührtes“ Gesicht machte. Eine Reporterin kam auf ihn zugerauscht. Bei Interviews sprach er immer so durch die Nase. Theresa machte auf Statue, sie wusste, das war jetzt während dieses Interviews wichtig.

      Was er denn zu der neuen Kollektion von Gaultier sage, wurde er gefragt. Theresa fand das eine sehr freche Frage. Udo bewältige es aber gut. „Hübsch, sehr hübsch“, sagte er durch die Nase. „Schöne Kleider. Nur Frau Wagenbrecht hat ein wenig zu alt darin ausgesehen.“ Frau Wagenbrecht war immer wieder einmal Kundin. War sie abtrünnig gewesen? In einem Modell von Gaultier?

      Rita kam und stellte sich zu Udo. Sie wusste auch, was Udo verlangte, prachtvoll in Rot, deutlich sichtbar die Leute überragend. Blonde Haarsträhnen lugten schick aus der roten Samenkapsel–Krone. Sie machte so auch ein schönes Bild, genau wie Theresa an Udos Seite. Umrahmt von seinen Modellen war er zufrieden.

      Theresas Gedanken nahmen wieder ihre Wanderung auf. Am Vortag hatte Rita wieder von ihrem Leben erzählt. Rita war einfach, sie dachte gar nicht kompliziert, meist gar nicht. Sie kam von einem Bauernhof, aus einer Welt von Regeln. Dort hatte, scheint es, keiner von ihr gewollt, dass sie dachte. Es gab Arbeit und Vorschrift und sie hatte zu tun, was ihr gesagt wurde. Was sie wollte, war kein Thema gewesen, deshalb machte sie den Job gut. Sie erfüllte Forderungen widerspruchslos. Aber heimlich hatte Rita große Sehnsucht nach einer gesellschaftlichen Ordnung, denn sie wollte gerne einen Mann. Lange Monate hatte sie von dem Mangel berichtet, es war ein Problem und immer wieder ein Problem gewesen. Aber jetzt war sie sehr glücklich. Irgendein Südländer mit wichtiger Familie hatte sie begehrt und begehrte sie weiterhin. Er warb seit einem Monat um sie, mit Einladungen und schönen Geschenken, höflich, elegant und sehr bemüht…

      Die Reporterin fragte Theresa, ob das Kopftuch von Ghana stamme. Sie habe solche Tücher dort gesehen.

      War Ghana eine andere Modelinie? Da musste Theresa sehr aufpassen, sonst hatte das Udo–Krokodil sie am Kragen. Was um Gottes Willen war Ghana? Sie schaute so leer wie möglich. War das etwas, das man kennen musste? Das Sicherste war „nein“, simpel nein zu sagen, war am ungefährlichsten.

      Gott, sind diese Mannequins dämlich, dachte die Dame von der Zeitung.

      Da kam Frau von Ponhomy wieder in den Saal gestürmt, an Theresa vorbei lief sie zu Udo. Sie schien immer ein bisschen außer Atem. Ihre weißlich helle Mähne war zerzaust. „Sie haben mir gestern ein Angebot gemacht.“

      Jetzt schaute Udo leer, er konnte sich wohl nicht mehr erinnern.

      „Ich darf mir eines aussuchen“, half sie ihm. Da hatte er sogleich den Verkaufsblick – völlig auf die Kundin konzentriert. Ihre Figur mit seinen geschulten Augen umfassend, ihre Wünsche erfühlend, alle Fäden in der Hand. Sie zeigte auf Rita: „Dieses Modell.“

      Udo versprach beflissen Änderung, Anpassung an ihren Körper. – Nein, sie musste morgen zu einer Modeschau. Da wollte sie sein Modell tragen, extra seines, das passte wohl, so wie es war – was wäre der Nachlass?

      Neben Theresa waren Verhandlungen in Gang. Es wogte hin und her. Langsam krochen die Schmerzen an ihr hoch. Jeder Zentimeter ihres Körpers begann an ihrer Seele zu nagen, sie zu schwächen, niederzudrücken, ihr die Schäbigkeit ihrer Existenz bewusst zu machen. Half das dem Verkauf, wenn sie hier und jetzt zusammenbrach?

      NACHMITTAG DES NÄCHSTEN TAGES

      Nach dem Cocktailempfang war Ruhe bis am Abend gewesen. Sie hatte in dem Bett gelegen und die saubere Bettwäsche genossen. Einfach, weich, breit, ein Bett nur für sie, und keine Erinnerungen an den Beginn der Schmerzen. Einfach löschen, jedes Bild, das auftauchen wollte, wurde sofort gelöscht, sofort weggeschickt.

      Am Abend hatten sie eine der üblichen Shows. Sie hatte hin- und herüberlegt und sich schließlich entschlossen, Inge den Fleck am Oberarm zu zeigen – angeblich von dem Randstein, über den sie gestolpert war. Inge war gar nicht wütend auf sie, und sie hatten die Modelle entsprechend ausgesucht. Es war noch immer schwierig mit dem Gehen, aber doch inzwischen Routine. Die dunklen Flecken an den Fußgelenken mussten nicht besprochen werden, denn sie hatten keine Erklärung.

      Dann wieder Bett, herrliches weißes Bett. Und ein sehr später Morgen. Warum Jagdgesellschaften so seltsame Geräusche mit irgendwelchen Blechinstrumenten machten, war Theresa nicht erklärlich. Es schien sie alle anzuturnen, wenn irgendjemand in eine Trompete blies. Aber dann waren die alle weg und es war still gewesen. Herrlich, absolut still, man hörte sogar die Vögel zwitschern.

      Rita war zu ihr gekommen, in bequemen, weichen Sachen. Sie war auf rosa Wölkchen und hatte ein Problem: Futzi, der Mann ihrer Zukunft, hatte ihr gesagt, sie solle zu ihm kommen. Sie hätten am Nachmittag etwas Besonderes vor und er wünschte sich sehr, sie bei sich zu haben. Vielleicht etwas Kirchliches? Futzi war doch so katholisch. Nur zarte Küsse auf die Wange hielt er für angebracht. Die vornehme Familie war auch sehr katholisch, das war so in Italien.

      Sie hätte gesagt, sie müsste zum Auftritt am frühen Abend. Und er: „Das brauchst du dann vielleicht nicht wieder, wenn du nicht willst.“ Und jetzt dachte sie zwar, dass das ein Heiratsantrag war, aber sicher konnte sie nicht sein. War das ein Heiratsantrag?

      Theresa sagte ihr, dass das wie Heiratsantrag klang, aber man sollte besser nicht seinen Job riskieren wegen fröhlicher Nachmittagsstunden. Rita schaute unglücklich. Hin- und hergerissen, zwischen ewiger Liebe und Job war sie überfordert.

      Theresa merkte das und schlug ihr vor: „Ich decke dich. Wenn du zu spät kommst, sage ich, dir ist schlecht, und dass du dich ständig übergibst, und dass du kommst, wenn es dir besser geht. Schaut eh keiner nach.“ Rita war erleichtert.

      Theresa war dann im Haus ein wenig herumgeschlendert, hatte ihre Maske besucht und durchs Fenster die Dame Ponhomy mit schicker, roter Samenkapsel in ein vornehmes Auto steigen gesehen, einen dunkelgrünen Jaguar. Frieden, keine Forderung an sie, wieder kurz ruhen.

      Die Rückkunft der Jäger war gedrückt, fremd, eigenartig. Kein Lärm, keine Blasinstrumente. Man hörte nur ein Scharren im Hof. Sie hätte so gerne nachgeschaut, aber sie konnte nicht ans Fenster. Der Widerstand war so stark, dass sie einen Meter Abstand halten musste.

      Schnell zog sie sich an, einfach, keine Arbeitsausstattung.

      Im Hof lag eine Form mit einer Plane zugedeckt. Metall und Räder sah sie, und eine weiße Plastikdecke darüber. Was da lag, erinnerte sie an einen Menschen. Die Gesellschaft schlich bedrückt herum. Dann kam ein Polizeiwagen mit Leuten mit Uniform und ohne. Es dämmerte ihr, dass irgendjemand einem Unfall zum Opfer gefallen war. Kein Wunder, wenn so viele Personen im Wald herumliefen, und jeder hatte eine Waffe.

      Einer in einem Schutzanzug ging hin und schaute unter das Tuch. Dann bedeutete er zweien, dass sie das Ganze ins Haus bringen sollten.

      Sie konnte Ponhomy nicht sehen, aber es war vielleicht besser, nicht ihn zu fragen, er war am Vortag so ungehalten gewesen. Sie schaute über die Menschen und ihr Blick fand einen alten Herrn, der geeignet schien. Er steckte unglücklich in einem Jagdgewand und stand im Hof hilflos herum. Zu dem ging sie. „Entschuldigen…“, murmelte sie und zupfte an seinem Ärmel. Er drehte sich zu ihr um. Ohne Schminke und Verkleidung sah Theresa wie 17 aus, was sie ja fast auch war. Sein Blick wurde heller, freundlicher und interessiert.

      „Ich wollte nur wissen, was da passiert ist“, sagte Theresa mit leisem Stimmchen.

      „Ponhomy ist erschossen worden“, sagte der Herr.

      Oh verdammt, dachte Theresa, das schöne Projekt weg. Das war schlimm. Aber er hatte sich wohl auch nicht erschießen lassen wollen.

      „Wer bist denn du?“, fragte der Herr, offensichtlich