Sanne Prag

Ein Kleid aus Seide


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Was suchte sie an diesem entlegenen Ort?

      VORMITTAG

      Ezra und Wolfgang hatten die Nacht durchgearbeitet. Die Burg war nun mit kleinen Kameras und Mikrofonen ausgestattet, das Haupthaus erst nur mit wenigen.

      Ezra war irgendwann schlafen gegangen. Wolfgang war in Fahrt und hatte daher auf kurze Schlafeinheiten geschaltet. Er stürmte zur Türe herein, als Ezra mit kleinen Augen seinen Kamm durch die Haare zog. „Wir haben schon wieder eine Leiche. Angeblich schon wieder ein Unfall.“

      Ein bisschen viele Unfälle, dachte Ezra, dessen Hirn noch von den Resten des Schlafes verklebt war. Schließlich kam die Maschine langsam in Gang. „Hatten wir eine Kamera dort?“

      „Nein, ist weitab vom Zentrum im Haupthaus, dort war ich noch nicht. Aber sobald die Untersuchung weg ist, montiere ich natürlich eine.“

      „Wer ist es denn?“

      „Eine von den jungen Modefrauen.“

      Wer fand hier in dieser Burg, in diesem Haus, dass ein Schlossherr und ein Model zu viel auf der Welt waren? Ezra glaubte nicht an Unfälle.

      Er zog sich die Hosen an, als das Handy läutete. Saphyr war laut und sprach wie ein Maschinengewehr. Er hatte festgestellt, dass Ponhomy keine Kinder hatte. Deshalb war mit hoher Sicherheit die Gattin die neue Besitzerin von allem: Geld und Rechte. Er sei heute noch da, um alles zu klären. Als Ezra hörte, dass der Produzent Luft holen musste, sagte er nur still: „Wir haben schon wieder eine Leiche.“

      Saphyr bremste hart seinen Redestrom. Neue Leiche? Neues System! Die Burg wurde zu einem Ort der Gefahr. Herrlich! Mystische Bilder von unklaren Bedrohungen schwebten durch seine Werbeabteilung. Sollte man vielleicht UFOs verantwortlich machen? Zwei Unfälle in so kurzer Zeit, das war wie das Grab des Tutanchamun. Flüche nahmen Gestalt an. Längst bekannte Erscheinungen wurden neu geboren. Er würde dem Ort eine neue Dimension geben. Eigentlich wollte er immer schon Regie machen.

      Ezra steckte das Handy in die Hosentasche und meinte: „Ich muss Saphyr Nachmittag am Parkplatz treffen. Irgendwie habe ich das Gefühl, der hat hier nicht nur Filminteressen.“

      „Wie kommst du drauf?“ Wolfgang war mit einer heiklen Montage von einem hoch empfindlichen Mikro auf Unterlage beschäftigt.

      „Er ist ein bisschen zu engagiert, zu heftig interessiert. Sonst kenne ich ihn eher mit drei Projekten auf einmal und nicht zu sehr auf eines konzentriert. Er neigt sonst immer dazu, die Finger in jedem Kuchen haben zu wollen, nicht so heftig in nur einem. Aber vielleicht höre ich nur Gras wachsen wegen deiner Andeutungen. Musst du irgendwas in den Kameras wechseln?“

      Wolfgang sah ihn an und grinste. „Wir sind ja nicht in der Steinzeit. Die Kameras übertragen direkt auf den Laptop.“

      „Hast du schon geschaut, was drauf ist? Wegen dem seltsamen neuen Todesfall, meine ich.“

      „Ja, gleich in der Früh, ohne es zu wissen“ Wolfgang war wohl wieder mit einer Stunde Schlaf ausgekommen.

      „Und?“

      „Gar nichts Konkretes. Einige sind in der Nacht von der Burg Richtung Haupthaus unterwegs gewesen. In dem Saal mit den Rüstungen und den Käfern ist was komisch.“

      „Was ist komisch?“

      „Es gibt dort seltsame elektrische Signale, die ich nicht zuordnen kann. Die sind sehr schwach, aber sie machen sich bei der Übertragung bemerkbar.“

      MITTAG

      Theresa hatte ein Problem.

      Die Polizei überschwemmte neuerlich das Haus, die Burg, den Hof, den Garten, und die wollten etwas von ihr. Ritas Tod hatte eine große Bresche in ihre Brust gerissen, wie ein tiefer Spalt, der alles freilegte. Wie aufgerissene Erde nach einem Erdbeben. Man sah in den zerfetzten Grund, der sonst immer bedeckt war. Feine braune Wurzeln, aus ihrer dunklen Heimat gerissen, wurden den Blicken freigegeben. Sie hatte das Gefühl, als ob man in ihre Brust schauen konnte, und ihr bloßes, nacktes Herz machte dort bup, bup, bup in dem geöffneten Raum. Man konnte einfach hineingreifen, hinein in das, was da lebte, es zusammendrücken, herausziehen…

      Sie hatte versucht, alles wieder auf die Reihe zu kriegen, sich zu beruhigen und wieder vernünftig zu werden. Da stand ein Polizist hinter ihr. Er fragte, ob sie Theresa Rugola hieße, und sie solle mitkommen. Was um Himmels willen wollten die von ihr? Sie hängte das leerste Gesicht ein, das sie konnte, ausdruckslos, unberührt, einfach, so sicher wie eben möglich. Sie ging mit ihm, weil ja nichts Anderes möglich war. Durch Gänge, über Treppen, schließlich landeten sie bei einer Türe. Dahinter waren schrille, aufgeregte Worte zu hören. Die Türe wurde aufgerissen. „Sie beschuldigen mich! Wie komme ich dazu!“, schrie Frau Ponhomy aufgebracht. Ein Herr in mittlerem Grau sprach mit beruhigend tiefer, sonorer Stimme, wie mit einem störrischen, nervösen Pferd. Aber die Burgherrin war nicht zu beruhigen. „Es ist ja klar, dass immer nur die Ehefrau in Frage kommt, wenn einer stirbt. Immer nur die Ehefrau kann ihm hinübergeholfen haben. Mein Mann hatte zwar schwierige Kontakte in ganz Europa, auch über Europa hinaus, ständig war er in Angst und Sorge, aber die Ehefrau ist es gewesen!“ Sie lief heraus und knallte Theresa und dem Polizisten die Türe vor der Nase zu. Gestern, mit der hübschen Samenkapsel auf dem Kopf und den tiefen Ponyfransen, war sie ein viel netteres Pferd gewesen.

      Der Polizist klopfte vorsichtig und schob Theresa ins Zimmer. Ein Riesenraum, kalt, an der Ecke einer langen Tafel saß der mittelgraue Mann mit einem jungen Mann, der auf einem Laptop schrieb. Theresa ging wie auf dem Laufsteg auf die beiden zu. Sie taufte den älteren der beiden Graumann. Der erhob sich höflich und sagte eine Reihe von Sachen, die sie alle nicht verstand, weil ihr Hirn auf Abwehr geschaltet war.

      Dann kam die Frage: Ob sie irgendetwas zu den beiden Todesfällen wisse, sagen könne. Was konnte sie wissen?

      „Fangen wir an, uns gemeinsam zu überlegen, was sie gestern wohl gemacht haben“, meinte er mit der beruhigenden, sonoren Pferdestimme. Theresa hielt ihren Blick leer, ihre Stimme leer, schließlich konnte sie noch nicht erkennen, um was es ging. „Ich habe gearbeitet“, wisperte sie so blöde wie möglich.

      „Ja, das verstehe ich. Nur, wie genau war das?“

      Theresa blickte ihn verständnislos an. Er sollte bitte genau sagen, was er wollte, damit sie entscheiden konnte, was sie ihm mitteilte und was nicht.

      „Sie waren den ganzen Tag hier und die Modeschau war erst für Abend geplant.“ half er ihr.

      „Ja“, sagte Theresa nachdenklich.

      „Wie verlief denn ihr Tag hier?“

      „Ja, ich bin aufgestanden“, wisperte Theresa träumerisch und machte Pause, eine lange Pause.

      Der Herr beobachtete sie genau: War sie blöde oder nur vorsichtig? Er versuchte zuerst, sie für vorsichtig zu halten, und gab ihr daher eine Erklärung – ein 18-jähriges Model war wahrscheinlich kaum an kriminellen Aktivitäten beteiligt. Es war mehr die Frage, ob sie etwas gesehen hatte, etwas wusste. „Wir versuchen, Informationen aller Art zu sammeln“, sagte er ihr, „weil beide Todesfälle zwar scheinbar Unfälle waren, es spricht aber einiges dagegen.“

      „Oh“, sagte Theresa und ihre Hirnmaschine lief an. Dass Ponhomy von irgendjemandem umgebracht worden war, konnte sie gut glauben. Aber Rita? Wer sollte Rita etwas antun wollen? Warum sollte irgendjemand Rita umbringen wollen? Während sie an Rita dachte, stahlen sich Tränen in ihre Augen, ungeplant, ungewollt, leise.

      Der graue Herr bemerkte das sehr wohl. Er reichte ihr ein Taschentuch und meinte: „Die junge Dame war wohl eine Freundin. Es tut mir leid. Die Sache ist die, dass sie wahrscheinlich erschlagen wurde. Das vorgetäuschte Bild stimmt nicht, ist einfach falsch. Der Stein in Hundeform war zwar ursprünglich oben knapp unter der Decke, und wahrscheinlich war er auch schon ein wenig locker, aber er wurde herausgebrochen, ist nicht von allein gefallen. Er hat auch nicht