mit entsprechenden Handbewegungen, ihn weitersprechen zu lassen.
»Zuhause habe ich alle Unterlagen mit den Verlagen genau geordnet. Du schaffst das.« Er machte eine Pause, als wollte er sicherstellen, dass Bodo alles verstanden hatte.
»Die Idee ist zwar verrückt«, sagte Bodo. »Aber …«
»Kein aber. Du musst es mir versprechen! Ich werde immer bei dir sein. Immer - bei meinem Freund.«
Ein neuer und stärkerer Hustenanfall kostete Ewald viel Kraft. Bodo hielt die Schulter seines Freundes. Plötzlich wurde ihm voll bewusst, dass er nicht mehr helfen konnte. Ewald streckte seine rechte Hand aus und deutete mit dem Zeigefinger zum Rand des Plateaus. Dann sank sein Kopf nach unten. Bodo fühlte, wie alle Kraft aus dem großen Körper entwich. Sanft zog er Ewald an seine Schulter.
Er wusste später nicht mehr, wie lange er den leblosen Körper in den Armen gehalten hatte. Es begann zu dämmern. Die blutrote Sonne hatte gerade den Horizont erreicht. Bald würde es dunkel werden. Bodo ließ seinen Blick über das Meer an Bäumen gleiten. Noch immer konnte er keinen klaren Gedanken fassen. Doch plötzlich, plötzlich wusste er, was Ewald ihm mit seiner letzten Handbewegung sagen wollte. Dort vorn, am Rande des Plateaus mit einem herrlichen Blick in die Weite, war eine tiefere Mulde. Daneben stand eine uralte kanadische Eiche mit weit ausladenden Ästen. Die Spitze der Eiche war bereits kahl gewesen. Dort, unter dieser Eiche, mit einem weiten Blick in das Tal, wollte Ewald seine letzte Ruhestätte haben. Und diesen letzten Wunsch musste er ihm jetzt erfüllen.
Kapitel 7
Eine Woche später war Bodo wieder in Deutschland.
Sein erster Weg führte ihn zu Mama Falland; Ewalds Mutter.
»Ich war stolz gewesen, zwei Söhne zu haben. Jetzt habe ich nur noch einen«, seufzte sie leise und klammerte sich dabei mit ihren knochigen und rauen Händen an Bodos Arme. Mamma Falland verlor dabei keine Tränen.
Doch Tränen rollten zwei Wochen später über ihre zerfurchten Wangen, als Bodo sie in ihr neues Zuhause brachte.
In diesem Heim, wo nur wohlhabende Betagte residierten, hatte sie stundenweise als Putzfrau gearbeitet. Neid hatte Mamma Falland nie gekannt. Das wäre mit ihrer Wesensart nicht vereinbar gewesen.
Und jetzt sollte sie hier wohnen, auf dem Balkon sitzen, und in die herrliche Parklandschaft blicken. Sie würde das Essen serviert bekommen. Die kleine, vom Leben und der vielen Arbeit gezeichnete Frau blickte zu Bodo hoch.
»Kannst du dir das überhaupt leisten?«, flüsterte sie kopfschüttelnd.
Bodo bückte sich zu ihr hinunter und gab ihr einen Kuss auf die Stirn.
»Ganz bestimmt«, erwiderte er. »Und ich werde dich so oft wie möglich besuchen.«
Die alte Dame tätschelte Bodos Hand.
»Das wäre schön«, hauchte sie. Und dabei kullerten wieder dicke Tränen über ihre runzeligen Wangen.
Am Tag darauf hatte Bodo einen Termin in Taunusstein.
Frau Dr. Römhorst war eine äußerst attraktive Schönheits-Chirurgin.
Sorgfältig musterte sie das Foto von Ewald, welches ihr Bodo übergeben hatte. Danach blickte sie Bodo prüfend an.
»Das einzige Problem sind die Augen. Sie haben herrliche, wasserblaue Augen - wenn ich das sagen darf. Ihr Freund hatte zwar auch blaue Augen, aber die Strukturen der Iris sind doch recht unterschiedlich. Mit entsprechenden Kontaktlinsen können wir das weitestgehend kaschieren. Bei der Nase, den Backenknochen und den Ohren sind lediglich kleine Korrekturen notwendig.«
»Und das wird reichen?«, fragte Bodo ungläubig.
Die Chirurgin drehte daraufhin den Bildschirm auf ihrem Schreibtisch in Richtung Bodo. Er sah eine Aufnahme von sich, welche die Ärztin kurz zuvor gemacht hatte. »Sehen sie … Das ist ihr Gesicht nach drei Eingriffen«, sagte sie, nachdem sie auf eine Taste des PCs gedrückt hatte.
Bodo war plötzlich wie erstarrt.
»So, und jetzt machen wir alles komplett«, erklärte die Chirurgin und drückte jeweils zum nächsten Bild.
»Das sind sie mit einem Dreitagebart. Das sind sie, wenn sie sich das Haar dunkelblond färben und etwas länger tragen. Und das sind sie mit einer Brille, wie sie ihr Freund getragen hat.«
Bodo entfuhr ein »Wow«, worauf Frau Dr. Anette Römhorst noch einmal auf eine Taste drückte. Darauf waren zwei Gesichter nebeneinander zu sehen.
»So, jetzt dürfen sie sich aussuchen, wer von den beiden netten Herren sie sind«, lachte die Chirurgin. »Selbst bei den modernen Gesichtserkennungs-Scannern dürfte es schwer werden, einen Unterschied auszumachen.« Sie lehnte sich nach vorn und lächelte dabei Bodo an. Ganz offensichtlich kokettierte sie mit den Reizen ihrer wohlproportionierten Oberweite. Sie trug den weißen Arztkittel offen. Ihr sicher teures Kleid hatte einen großen Ausschnitt, aus dem ihre beiden Brüste nun auf Bodo zugequollen.
»Ich habe ihnen den Gesamtbetrag bereits überwiesen, den sie mir genannt hatten«, versuchte Bodo die Situation zu überspielen. »Ich bin total begeistert. Gerne dürfen sie den Betrag noch einmal nach oben korrigieren.«
Der Gesichtsausdruck der Schönheits-Chirurgin verriet für den Bruchteil einer Sekunde den Anflug von Enttäuschung. Bodos Reaktion war für diese aparte Frau sicher eine völlig neue Erfahrung. Rasch fing sie sich jedoch wieder. Sie lehnte sich zurück und faltete die Hände vor ihrem Dekolleté.
»Haben sie eine Tonbandaufnahme, aus der ich die Stimme von Ewald analysieren könnte?«, fragte sie. »Wenn sie immer Ewald sein wollen, könnte ich zu neunzig Prozent gewährleisten, dass man keinen Unterschied feststellt. Aber das ist ja nicht ihr Ziel, wenn ich sie richtig verstanden habe.«
Einen Monat später blickte Bodo anerkennend in den Spiegel und beglückwünschte Frau Dr. Römhorst zu ihrem Meisterwerk. Sein HNO-Arzt händigte ihm drei Wochen später ein kleines Fläschchen mit einer Sprühdosierung aus. Falls es notwendig werden sollte, könnte Bodo innerhalb weniger Minuten eine schwere Erkältung simulieren.
Diese Ereignisse lagen nun zehn Jahre zurück.
Seit einigen Stunden blühte Bradly förmlich auf. Er schnupperte Heimatluft. Sie fuhren an der Ostküste Floridas entlang. Gerne hätte er in Palm Beach geankert. Doch Bodo verabscheute diesen Rummel. Deshalb legten sie bereits am Kai von Fort Pierce an. Das war am Spätnachmittag des 19.4.2010.
In den letzten Tagen hatten sie sich Zeit genommen, und gemütlich die gesamte Ostküste der Vereinigten Staaten passiert. Allen war nicht nach einem Landgang zumute gewesen.
Am 16. April war ein kleines Gewitter aufgekommen, weshalb es Bradly für sinnvoll gehalten hatte, im Gateway Nat. Rec. Area zwischen New York und Perth Amboy im Schutze des Sandy Hook zu ankern.
Einen Tag später genossen sie den Pamlico Sound hinter den Outer Banks östlich von Washington und ankerten am Strand von Lola.
Am 18. April schipperten sie besonders langsam zwischen Georgetown und Charleston. In einer Bucht bei Bird Key Stono Heritage gingen sie vor Anker, wenige Kilometer südlich von Charleston.
An den Spätnachmittagen und den Abenden angelten Bradly und Ole um die Wette. Bradly war nicht nachtragend. Die Wunde am Hals war weitestgehend verheilt. Sein Anglerglück war ihm hold gewesen. Und am späten Abend genehmigte er sich einen Schlummertrunk; einen klitzekleinen, wie er betonte.
Marco hatte inzwischen im Internet gesurft und die regionalen Zeitungen von Kanadas Osten und Nordosten gespeichert. Die sechs Robbenfänger waren inzwischen beigesetzt worden. Den Angehörigen wurden allerdings nur sechs Urnen übergeben. Die Behörden entschuldigten sich in aller Form für das Missverständnis. Nach der Beerdigungsfeier gab es ein großes Besäufnis, welches in Handgreiflichkeiten übergegangen war und durch die Polizei geschlichtet werden musste. Die Ursachen für den Tod sollten weiterhin untersucht werden, war die lapidare