Kurt Pachl

Bodos zornige Seele


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der Stadt.

      Das Unternehmen des lebenslustigen Mannes war inzwischen weit über die Grenzen hinaus ein Anziehungspunkt für Angel-, Tauch- und Wandertouren geworden. Der Tourismus entwickelte sich für Biloxi mittlerweile zu einem unverzichtbaren Standbein. Früher hatten die relativ einfachen Schuppen genau zwischen dem Industriegebiet und dem angrenzenden Vergnügungsviertel gele­gen. Zum Wiederaufbau ergatterte Bradly Zuschüsse und ein äußerst zins­günstiges Darlehen. Aus den Schuppen waren eine große, moderne Halle und ein zweigeschossiges Geschäft entstanden. Darüber prangte ein großes Schild mit der Aufschrift »Let`s go«. Das danebenliegende alte Haus aus der Gründerzeit stand unter Denkmalschutz. Bradly konnte es kostenlos über­nehmen; allerdings mit der Maßgabe, daraus ein vornehmes Hotel mit zwanzig Zimmern zu zaubern.

      Bodo wollte auf der Yacht übernachten. Er hatte sich an seine moderne, aber nicht zu große Kajüte gewöhnt.

      »Das wäre ja noch schöner«, schnaubte der Hotelbesitzer. »Im Haus ist es ganz bestimmt ruhiger und bequemer, mein Freund. Glaub es mir. Du bekommst das schönste Zimmer im dritten Stock mit Blick auf das Meer.« Mit diesen Worten zog er seinen Gast über die Straße in das Hotel.

      Das Zimmer war sehr gut eingerichtet. Bodo stand eine Weile am Fenster, und schaute auf das bunte Treiben. Den meisten dieser Küstenstädte war gemein, dass sie pulsierten und laut waren. Ja, er hatte Meerblick. Da hinten schaukelten die Yachten und die Boote im blauen Wasser des Golfs von Mexiko. Doch dazwischen lag der vielbefahrene Highway 90. Viel lieber wäre er auf der Yacht geblieben. Da war es ruhiger; vor allem in der Nacht. Aber das konnte er Bradly nicht antun.

       Er ließ sich nun Zeit und sinnierte. Viele Länder und Erdteile hatte er bereist. Aber es gab so viele Schönheiten dieser Schöpfung, die er noch nicht gesehen hatte. Dazu gehörte der Mississippi. Er hatte vor, drei Wochen hier am Golf von Mexiko zu bleiben. Diesen Fluss, über den so viel geschrieben wurde, wollte er genauer kennen lernen. Darüber würde er einen separaten Artikel schreiben; natürlich mit vielen eindrucksvollen Aufnahmen - von Ewald.

      Als er dann später unten vor dem Hotel stand, suchte er vergeblich seine Begleiter. Nachdem er zwanzig Minuten nach ihnen Ausschau gehalten hatte, zuckte er mit den Schultern, und steuerte ein kleines Fischrestaurant in der Nähe des Yachthafens an.

      Auf der mit Ried überdachten Terrasse, mit Blick auf die Boote, den Strand und auf das herrlich blaue Wasser, fand er einen ruhigen Tisch. Er wollte hier und jetzt, am Golf von Mexiko, ein gutes Fischgericht genießen, und dabei dem Treiben zuschauen; er wollte versuchen ausnahmsweise an nichts zu denken. Heute wollte er zwei Glas Wein trinken. Der Wirt hatte davon geschwärmt.

      Gegen 22:30 Uhr klopfte es laut an der Türe von Bodos Zimmer. Ausnahms­weise schlief er bereits. Der Wein hatte seine Wirkung nicht verfehlt. Die Türe öffnete sich kurz darauf, und Marco stürzte herein.

      »So eine Scheiße«, schrie er. »Da draußen ist vor einer halben Stunde eine Ölplattform explodiert. Jetzt steht sie in Flammen. Komm ans Fenster.«

      Bodo sprang aus dem Bett. Das Fenster stand nachts immer offen. Sie beugten sich hinaus.

      »Im Süden«, sagte Marco aufgeregt. »Nicht weit von der Mündung des Mississippi-Deltas entfernt.«

      In der klaren Aprilnacht konnte man einen roten Feuerball am Horizont erkennen, der weithin leuchtete. Der Feuerball bewegte sich flackernd. Das Feuer war ganz offensichtlich noch nicht gelöscht. Es musste gigantisch sein.

      »Das sieht verdammt schlecht aus«, murmelte Bodo leise.

      »Hast du Bradly gesehen?«

      In diesem Augenblick stürzte Ole ins Zimmer. Er hatte Bodos Frage gerade noch gehört, und prustete, während er ans Fenster trat.

      »Ich habe ihn bereits gesucht. Der Kerl ist nicht zu finden. Säuft sich wieder einmal die Hucke voll oder ist bei seinen Tussis.«

      Marco schaltete Bodos Nachttischlampe ein, und drückte auf den Knopf des Fernsehgerätes.

      »Wir müssen den CBS oder den CNN finden«, brummelte er.

      Rasch hatte er den entsprechenden Kanal ausfindig gemacht. Eine Reporterin berichtete gerade aufgeregt:

      »Die Küstenwache hat das Gebiet weiträumig abgesperrt. Eine Reportage vor Ort ist nicht möglich. Unsere Informationen haben wir vom Versor­gungsschiff Bankston, welches sich in unmittelbarer Nähe befand, als die Plattform mit einer riesigen Stichflamme explodierte. Kurz darauf brach ein verheerendes Feuer aus. Die Flammen sollen über 70 Meter hoch sein. Die Bankston wird in wenigen Minuten bei der Deepwater Horizon sein. Nach neuesten Angaben befanden sich 120 bis 130 Arbeiter auf der Bohrinsel. Offizielle Stellungnahmen seitens der Betreiberfirma Transocean und seitens der Ölgesellschaft gibt es zum gegenwärtigen Zeitpunkt noch nicht. Wie wir soeben erfahren haben, sollte die Bohrung bereits vor zwanzig Tagen abgeschlossen sein. Warum es zu einer Verzögerung kam, ist unbekannt. Heute sollte die Spezialfirma Halliburton das Bohrloch fachgerecht verschließen. Nach unseren Informationen ist es hierbei zu unvorhergesehenen Komplika­tionen gekommen, die zu dieser Katastrophe geführt haben könnten. CBS berichtet in Kürze weiter.«

      Marco stellte den Ton leiser. Bodo setzte sich auf das Bett. Er hatte sich in den letzten Jahren intensiv in die Offshore-Thematik eingelesen.

      Innerhalb weniger Sekunden rauschten mehrere Szenarien durch seinen Kopf. Wenn einer Erhellendes zu diesem Thema beitragen konnte, war es Ole. Er hatte zwei Jahre auf norwegischen Ölplattformen gearbeitet. Wortlos blickte er den Norweger an.

      »Für mich gibt es nur eine Erklärung«, begann der Fachmann.

      »Beim Verschließen des Bohrloches müssen mehrere Fehler gleichzeitig gemacht worden sein. Ein einziger Fehler reicht da nicht. Für diesen Extremfall gibt es den Blowout Preventer. Dieser 450 Tonnen schwere Brocken wird wie ein Ventil über das Bohrloch gestülpt, um den riesigen Druck, der sich tief unten aufgebaut hat, zu stoppen. Eine größere Anzahl unterschiedlicher Spezialisten müssten eigentlich lange zuvor festgestellt haben, dass sich riesige Mengen Methangas aufgestaut hatten. Das kommt nicht von einer Minute auf die andere. Wenn das mit dem Preventer nicht geklappt hat, sind unvorstellbare Mengen Methangas nach oben geschossen, und haben sich auf der Plattform irgendwie entzündet. Und dann … Bumm.« Ole schleuderte seine beiden Hände nach oben. »Diese armen Teufel auf der Plattform. Oh Gott.«

      »Welche Auswirkungen hat das auf das Bohrloch da unten«, fragte Bodo nach einigen Sekunden der Stille. »Kann die Leitung nach oben überhaupt noch funktionieren?«

       Ole schüttelte den Kopf.

      »Mit Sicherheit gibt es da keine Verbindung mehr. Am Bohrloch oder aus der Leitung, die sich bei der Explosion mit Sicherheit von der Plattform gelöst hat, strömt die schwarze Brühe ins Meer. Hast du eine Ahnung, wie tief hier gebohrt wurde?«

      »Wie tief die eigentliche Bohrung war, weiß ich nicht«, antwortete Bodo. »Aber das Bohrloch liegt in 1 500 Meter Tiefe.«

      »Da unten ist es stockdunkel. Da kann man nur Tauchroboter einsetzen. Dieses Desaster wird uns noch sehr lange beschäftigen«, brummelte Ole.

      »Wartet einmal.«

      Marco lief wieder zum Fernsehgerät, um den Ton lauter zu stellen. Zu sehen war wieder die Reporterin. Es war inzwischen 23:05 Uhr.

      »Die Deepwater Horizon steht noch immer in Flammen«, sagte die Reporterin; nun etwas ruhiger. »Wir haben neue Informationen über die Mitarbeiter. Nach offiziellen Angaben befanden sich zum Zeitpunkt der Explosion 126 Arbeiter auf der Plattform. 115 von ihnen haben bislang überlebt. 17 Mitarbeiter sind zum Teil schwer verletzt. Elf Männer werden vermisst. Es wird sicher noch einige Stunden dauern, bis die angeforderten Löschboote vor Ort sind. Da besorgte Bürger von amtlichen Stellen keine Auskünfte erhielten, haben sie unseren Sender angerufen. Vor allem Fischer und namhafte Tourismusunternehmen, aber auch viele Naturschützer wollen wissen, wie es, da unten am Bohrloch – in 1 500 Meter Tiefe – aussieht. Sie wollen vor allem wissen, ob weiterhin Öl aus dem Bohrloch austritt. Es ist uns leider nicht gelungen, wenigstens