Kurt Pachl

Bodos zornige Seele


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Absatz der Robbenfelle ging um fast siebzig Prozent zurück. Die Robben-Quoten wurden auf über 450 000 heraufgesetzt. Es gab ja angeblich genug. Diese dummen Sprüche kannten viele von den ach so unerschöpflichen Kabeljaubeständen. Aller­dings wurden die Robben-Quoten zunehmend nur um ein Drittel genutzt. Der Aufwand für Diesel und Zeit rechnete sich nicht mehr. Und hier zeigt sich wieder, wie bodenlos dumm Politiker sein können. Lumpige fünfundzwanzig oder dreißig Millionen Kanadische Dollar erzielten die Jäger noch mit dem Verkauf der Robbenfelle. Anstatt den Fischern anderweitige Perspektiven auf­zu­zeigen, riskierten diese Dummbolzen eine schlechte Presse, welche viele Jahre zu Lasten eines aufkommenden Tourismus ging.«

      Bodo ließ sich in seinen Stuhl sinken. Er wirkte urplötzlich müde.

      »Damit sind wir beim heutigen Thema. Diese Deppen können keine schlechte Presse gebrauchen. Ein bekannter Politiker, der aus Neufundland gekommen ist, hat sich hier auf sein Altenteil zurückgezogen und hat sich zum Gouverneur wählen lassen. Ihm ist es gelungen, viel für den Aufbau des Tourismus zu errei­chen. Als Pragmatiker musste er sich allerdings auf die Seite der Robbenjäger schlagen. Er hatte rechtzeitig den Riesentrawlern den Kampf angesagt. Ver­geblich. Damals hätte man noch viel retten können. Er versucht nun, die nächste Katastrophe zu verhindern. Vor der Küste von Neufundland soll eine riesige Ölplattform entstehen. Wenn hier, in diesem kalten Wasser des Old Harry Öl in großen Mengen auslaufen würde, wäre dies das Ende für Neufundland. In letzter Zeit blühte der Fang von hochwertigem Hummer, und auch der Touris­mus nimmt von Jahr zu Jahr zu. In diesem Umfeld braucht man keine toten Robbenjäger und keine weltweiten Schlagzeilen. Und genau das ist der Grund, warum sie alles unter den Teppich kehren wollen.«

      »Das bedeutet aber nicht, dass sie nicht Jagd auf uns machen werden«, unterbrach Marco.

      »Geld wird für diese Typen keine Rolle spielen«, erwiderte Bodo stirnrun­zelnd. »Sie werden jeden Stein umdrehen. Hierbei stoßen sie voraussichtlich auf den Vorfall von vor zehn Jahren. Die Recherche wird ergeben, dass Ewald damals niedergeschlagen wurde, und lange im Krankenhaus lag. Sie werden hierbei auf den Namen Bodo Cron stoßen. Sie werden feststellen, dass ich und Marco bei den Eco Warriors und lange in Little Guantanamo geschmort haben. Über die Fife-Eyes werden sie im Zusammenhang mit den Aktionen gegen den Walfang auf weitere Namen stoßen. Vielleicht. Auf alle Fälle dürfen wir dies nicht aus­schließen.« Bodo seufzte. »Eigentlich wollte ich einige Wochen mit euch bei Bradly verbringen.«

      »Aber als Bodo Cron, wird das etwas kompliziert werden«, sagte Ole mit sorgen­voller Miene.

      »Jetzt wird mir klar, warum du dich seit zwei Wochen nicht mehr rasiert hast«, sagte Marco grinsend. »Hast du überhaupt die entsprechenden Utensilien dabei?«

      Bodo nickte.

      Bradly sah die drei Männer fragend an.

      »Ihr sprecht chinesisch für mich.«

      »Wir haben ja Zeit«, sagte Bodo und legte seine Hand auf Bradlys Schulter. Er lächelte.

      »Du musst es ohnehin erfahren, damit du dich nicht verplapperst. Schade, dass du Ewald nicht persönlich kennengelernt hast.«

      Marco und Ole nickten zustimmend. Schließlich kannten sie diese Geschichte.

      Ewald bestand darauf, das Krankenhaus in Montreal zu verlassen. Aller­dings hatten die Ärzte mit Nachdruck darauf hingewiesen, dass die inneren Verletzungen noch nicht voll verheilt waren. Bei falschen Bewegungen oder Anstrengungen könnten die Nähte reißen, hatten sie Ewald sorgenvoll ans Herz gelegt. Die Folge wären innere Blutungen. Nach spätestens einer halben Stunde könnte sein Leben an einem seidenen Faden hängen.

      Doch Ewald fühle sich wieder fit genug. Er wollte schließlich nicht an einem Marathonlauf teilnehmen. In den ersten Tagen seines Krankenhausaufenthaltes hatte er mit seinem Leben abgeschlossen. Dieses Leben war zwar nur kurz gewesen. Doch es war schön. Die herrlichen Bilder, die er gesehen und aufgenommen hatte, halfen ihm über die dunklen Tage des Krankenhausaufenthaltes hinweg. Jetzt wollte er unbedingt zur Hudson Bay. Nur das schien ihm wichtig. Die Jagd nach neuen Impressionen war wichtiger als alles andere auf dieser Welt. Es war wie eine Sucht.

      Bodo bat Ewald, ihn begleiten zu dürfen. Er hatte die Worte der Ärzte weitaus ernster genommen als sein Freund. Deshalb wollte er auch den großen Jeep fahren. Damit war Ewald gerne einverstanden. Er und Bodo zu zweit durch Kanada – Das war ein Traum.

      Bodo hatte sich die Route auf der Landkarte angeschaut, und Bedenken angemeldet. Sollte es zu einer inneren Blutung kommen, würde es äußerst gefährlich werden. Selbst der beste Hubschrauber würde die Strecke zum Abholpunkt und von dort bis zu einem Krankenhaus innerhalb einer halben Stunde niemals schaffen. Doch Ewald war euphorisch. Das Wetter war ideal. Er hatte viel nachzuholen.

      Fast hinter jeder Wegbiegung tauchte ein neues Foto-Motiv auf. Ewald verhielt sich in dieser Hinsicht wie ein kleines Kind.

      Am sechsten Tag passierte es dann. Knapp einhundert Kilometer südlich der Hudson Bay befand sich Ewald wie in einem Foto-Rausch.

      »Halte da vorne Bodo. Schau dir diesen Wasserfall an.«

      Bodo parkte den Jeep am Straßenrand und Ewald stürmte mit seiner Kamera auf den Wasserfall zu. Dieser rauschte über viele Kaskaden herab, über riesige Felsen, über und unter vielen Baumstämmen und Wurzeln. An den Rändern wucherte mannshoher Farn.

      Ewald hatte immer schon Gegenlichtaufnahmen geliebt - oder zumindest, wenn die Sonne von der Seite auf das Motiv schien.

      »Bodo, Bodo. Komm. Schau dir das an.« Er winkte hastig und lachte.

      In diesem Augenblick rutschte er aus. Er hielt die Kamera nach oben. Die Kamera war für ihn immer das Wichtigste gewesen. Ihr durfte nichts passieren.

      Aber genau dies sollte in diesem Moment der größte Fehler seines Lebens werden. Die linke Hand reichte nicht aus, um den Sturz abzufedern. Er war nicht mehr zu sehen.

      Bodo hastete heran. Ewald hatte bereits versucht aufzustehen. Sein Gesicht war schmerzverzerrt. Er setzte sich am Rand des Wasserfalles auf einen Felsen.

      »So eine Scheiße«, sagte er und blickte sich suchend um.

      »Wo ist meine Kamera. Bodo, wo ist meine Kamera«, sagte er, dabei immer wieder hustend.

      »Vergiss diese blöde Kamera. Du hast doch noch zwei in Reserve!«, erwiderte Bodo grob und kniete dabei vor Ewald.

      »Wo genau hast du Schmerzen?«

      Ewald bewegte suchend den Kopf.

      »Ich brauche meine Kamera. Es ist meine Lieblingskamera«, sagte er fast weinend. Bodo nahm Ewalds Kopf in seine beiden Hände und zwang seinen Freund, ihm ins Gesicht zu sehen.

      »Hast du dir was getan?! Du darfst nicht stürzen!! Kannst du gehen? Versuche es. Komm!«

      Er versuchte, seinem Freund beim Aufstehen zu helfen. Hustend kam dieser endlich auf die Beine.

      »Aber ich brauche trotzdem meine Kamera«, bettelte er.

      »Okay, ich suche sie«, sagte Bodo und wühlte sich durch den mannshohen Farn. Nach zwei Minuten hatte er die Kamera schließlich gefunden. Er hob sie hoch und rief Ewald zu:

      »Ich habe sie gefunden. Können wir jetzt weiterfahren?«

       Ewald hatte sich wieder auf den Felsen gesetzt und zufrieden gelächelt. Bodo hängte sich die Kamera um, und half seinem Freund beim Aufstehen.

      »Mist. Bodo, ich glaube, das ist doch keine Kleinigkeit«, sagte Ewald leise ächzend.

      Bodo nahm ihn in die Arme und schüttelte seinen Freund leicht.

      »Du musst noch viele schöne Aufnahmen machen. Lass uns in die nächste Stadt fahren. Du schaffst das.«

      Gemeinsam brauchten sie fast fünfzehn Minuten, bis sie wieder beim Jeep angelangt waren; ewige und wertvolle Minuten, dachte Bodo und half dem Verletzten auf den Beifahrersitz. Ewald hustete und wischte sich den Mund ab.

      Entsetzt musste er sehen,