Kurt Pachl

Bodos zornige Seele


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      Kapitel 8

      21. April 2010. Die Wettergötter hatten am Abend zuvor offensichtlich kein CBS geschaut. Die Sonne strahlte, und es wehte ein sanftes Lüftchen aus Südost.

      Bodo, Marco und Ole saßen bereits seit sieben Uhr im Frühstücksraum. Viele Gäste waren zu Angeltouren aufgebrochen. Sie wussten, dass dies momentan eine saublöde Idee war. »Weiß der Teufel, ob wir das die nächsten Jahre hier noch können«, sagten sie im Hinausgehen.

      Jetzt waren die drei Männer allein. Marco berichtete, dass die »Deepwater Horizon« noch brannte. Die Löschschiffe hatten mit dem Einsatz begonnen. Riesige Wasserfontänen machten sich gut für einige Flugzeuge mit Foto-Reportern, welche es geschafft hatten, den enggeschnürten Gürtel der Küstenwache zu durchbrechen. Das heiße Flammenmeer zerstäubte das Wasser, noch bevor es seine Wirkung entfalten konnte.

      Bodo und Ole waren sich sicher, dass die ersten Ölteppiche in zwei bis drei Tagen an Land schwappen würden. Dann war jede fachkundige Hand gefragt. Es musste dann situativ entschieden werden, wo ihre Hilfe für die Erhaltung und Rettung der Schöpfung am notwendigsten war. Höchstwahrscheinlich würden die ersten Ölschwaden oder Ölteppiche in das hochsensible Mississippi-Delta eindringen.

      Marco hatte im Internet recherchiert. Allein die Küstenwache von Louisiana mit dem Headquarter in Grand Isle war für 250 Quadratkilometer Wasserfläche zuständig. Bodo kannte die Amerikaner. In einigen Tagen würde es an der Südküste des Golfs von Mexiko aussehen wie in einem Kriegsgebiet. Amerikaner liebten Materialschlachten. Ob und welche dieser Maßnahmen sinnvoll, hilfreich oder gar kontraproduktiv sein würden, war zunächst einmal zweitrangig. Es war auf alle Fälle gut für die Presse.

      Bodo wollte möglichst viele Helfer vor Ort haben, auf die er sich verlassen konnte. Im Laufe der letzten fünfzehn Jahre hatten er, Ole und Marco an vielen Einsätzen auf der ganzen Erde teilgenommen, und hierbei enge Freundschaften geknüpft. In den letzten Jahren wuchs Bodo zu einer akzeptierten, charis­matischen Persönlichkeit heran. Jeder, der von ihm gebeten wurde zu kommen, würde sich dieser Bitte nur dann entziehen, wenn wirklich triftige Gründe dage­gen standen. Für Bodo war es selbstverständlich, dass er für alle Kosten aufkommen würde. Als Achtzehnjähriger hatte er ein riesiges Vermögen geerbt und beschlossen, dieses für den Schutz der Schöpfung einzusetzen. Marco war sein Koordinator und alle kannten Bodos IT-Genie.

      Mit seinen beiden engsten Freunden beratschlagte Bodo nun, welche Personen kontaktiert werden sollten. Benötigt wurden Biologen, Ärzte, Sicher­heitskräfte und IT-Spezialisten.

      Bodos Instinkt riet ihm, für diesen besonderen Fall vor allem auch furchtlose Männer vor Ort zu haben, denen man sofort ansah, dass diskutieren für sie keine Option war. Für körperliche und seelische Wunden mussten weitere Experten anwesend sein. Alle eingeladenen Aktivisten konnten und sollten neue Helfer mitbringen. Das hatte sich in den letzten Jah­ren bewährt. Nur so erweiterte sich der Kreis zuverlässiger, belastbarer und hochmotivierter Mitstreiter zum Schutze der Schöpfung. Bodo rechnete mit min­destens einhundert Personen, die er zu seiner Gruppe zählen konnte. Viele Umweltorganisationen würden ebenfalls ihre Trommeln rühren. Marco zog sich auf sein Zimmer zurück, um die festgelegten Personen zu kontaktieren. Bodo und Ole besprachen unterdessen strategische und taktische Themen.

      Gegen elf Uhr kam Marco in den großen Speiseraum zurück.

      »Die meisten Aktivisten und Helfer können erst zum Wochenende hier sein. Fast alle werden kommen.«

      Wenige Minuten später tauchte Bradly auf. Dieser 195cm große Mann war nur noch ein Bild des Jammers. Ganz offensichtlich war er in der Nacht auf­gewacht, und hatte eine noch größere Menge Whiskey nachgeschüttet. Seine Augen waren noch glasig, und jeder Schritt schien ihm schwerzufallen. Vor dem Tisch blieb er stehen, und blickte wie ein kleines Kind hilfesuchend die drei Männer an.

      Bodo ging auf den armen Burschen zu. Die Augen von Ole verrieten, dass er zum ersten Mal nicht wusste, was jetzt passieren würde. Nachsicht hatte Bradly nicht zu erwarten.

      Es ging blitzschnell. Bodo war ein Athlet. Und er hatte eine gefürchtete Rechte. Es war nur ein Schlag. Dieser hob Bradly fast aus den Schuhen. Er tor­kelte rückwärts, wurde von der Wand gebremst, sackte dort in die Knie, und tastete mit der rechten Hand sein Kinn ab.

      Mit weit aufgerissenen Augen blickte er Bodo fragend und entsetzt an.

      Ole und Marco warteten gespannt, was noch folgen würde.

      Bodo beugte sich breitbeinig nach vorn.

      »Werde endlich erwachsen«, schrie er.

      »Was ist aus dir geworden? Früher warst du ein Mann, ein richtiger Mann. Du warst in der Army. Mensch, du hast viele Auszeichnungen erhalten. Wie oft hast du dem Tod in die Augen geschaut? Und jetzt … sieh dich an! Jetzt bist du ein Waschlappen, ein Weichei. Jetzt bist du dekadent - wie die meisten Typen in diesem schönen, aber versauten Land. Du denkst nur mit deinem Schwanz. Wahrscheinlich hast du bereits die Hälfte deines Gehirns weggesoffen. Vor einigen Tagen habe ich dir gesagt, dass du mit der Sauferei aufhören sollst. Ich kann deine Ent­schuldigungen nicht mehr hören. Und dein weibisches Gewimmere auch nicht mehr. Ab jetzt wird gearbeitet und gekämpft. Gebrauche auch langsam wieder dein Hirn. Wenn es dir schon nicht um die Zukunft unserer Schöpfung geht, so solltest du zumindest um deine eigene Zukunft kämpfen. Wenn du mir Grund gibst, das noch einmal sagen zu müssen, sind wir geschiedene Leute. Dann musst du zurück in die Gosse, wo du vielleicht sogar hingehörst. Dort wirst du dann jämmerlich verrecken. Keiner wird dir helfen.«

      Für Sekunden entstand eine beklemmende Stille. Bradly nahm schließlich die Hand von seinem Kinn. Er nickte und machte eine schuldbewusste Miene.

      »Du hast ja recht Bodo. Ihr habt euch sicher euren Kopf zerbrochen, während ich noch meinen Rausch ausgeschlafen habe. Ab heute wirst du mit mir zufrieden sein. Ab heute werde ich nichts mehr trinken. Ich schwöre.«

      Bodo ging auf Bradly zu. Dieser zuckte zusammen. Er erwartete erneut Prügel. Doch Bodo half ihm lediglich aufzustehen. Für ihn war dies eine wichtige Geste.

      »Okay. Ich nehme dich beim Wort«, polterte er barsch.

      Bradly wusste, dass Bodo keine weitere Antwort erwartete. Er ging mit gesenktem Kopf zum Frühstückstisch. Während des reichhaltigen Frühstücks kam Bodo gleich zum Thema.

      »Wir brauchen zehn Boote, Schöpfer, Plastikfässer, ausreichende Mengen großer Plastiksäcke. Na ja, du weißt ja, worauf es ankommt. Schaffst du das?«, fragte er barsch.

      Er wartete nicht auf eine Antwort, sondern fügte leiser hinzu:

      »Wir brauchen noch eine M82, zwei Maschinenpistolen und einige großkalibrige Pistolen. Alle mit Schall­dämpfer. Nur zur absoluten Sicherheit. Sollten wir zu einigen Aktionen ge­zwun­gen sein, dürfen wir keinen Lärm machen.«

      Bradly verzog keine Miene. Er hatte Bodo vor einigen Tagen in Aktion ge­sehen. Seitdem wusste er, dass man Bodo um nichts auf der Welt unter­schätzen durfte, was bewaffnete Aktionen anbelangt. Deshalb nickte er nur kurz.

      Danach entstand eine fast bedrückende Stille.

      Bodo durchbrach diese Stille zuerst.

      »Bradly. Welche Gebiete sind aus deiner Sicht besonders schützenswert? Du kennst dich ja hier aus wie in deiner Westentasche.«

      Mit einer erleichterten Miene schob Bradly seinen Teller zur Seite.

      »Fest steht, dass das Mississippi-Delta das wertvollste Ökosystem im Süden der Vereinigten Staaten ist. Diese Gewässer sind extrem wichtig als Aufzuchtgebiete für Fische und Meerestiere aller Art. Rund 95 Prozent der US-Fischerei im Golf von Mexiko hängen von den Flussarmen und den Sümp­fen des Deltas ab. Es gibt dort unzählige flache Gewässer und ebenso viele kleine Inseln. Das sind ideale Kinderstuben von fast tausend Fisch- und Krus­ten­tierarten und von sehr vielen, zum Teil seltenen Vogelarten. Die Laich- und die Brutzeit hat gerade begonnen. Hohe Verluste würden sich über Jahrzehnte auswirken. Es wird fast unmöglich werden, die Uferbereiche