Kurt Pachl

Bodos zornige Seele


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Satz dieses gefeierten Topmanagers mit den freundlichen Augen: »Die Menge an Öl und Chemikalien im Meer ist doch sehr gering im Vergleich zum Wasser, das es dort gibt.« Besser konnte sich der Vorstandsvorsitzende eines der größten Konzerne weltweit nicht charakteri­sieren.

      Doch sie waren in der Überzahl. Wer sollte diese Heerscharen an gierigen, egoistischen und vor allem mächtigen Parasiten aufhalten? Ein Gebirge, so hoch wie das Himalaya-Massiv, lastete auf Bodos Seele.

      Bodo hatte Iris nicht kommen hören. Wortlos kam sie näher, und setzte sich auf die Bettkante. Wie so oft lag Bodo angezogen auf dem Bett und blickte zur Decke. Ohne seinen Kopf zu wenden, tastete seine rechte Hand nach Iris. Sanft nahm sie seine Hand. Beide schwiegen.

      Es mochten vielleicht fünf Minuten vergangen sein, als Bodo plötzlich im großen Bett etwas zur Seite rückte. Instinktiv kuschelte sich Iris vorsichtig an seine Seite. Sie spürte die Wärme seines Körpers. Um nichts auf der Welt wollte sie diesen Moment zerstören. Sie wagte kaum, zu atmen. Diese wohltuende Geste ihres Geliebten wollte sie so lange wie möglich auskosten. Sie hätte allerdings Jahre ihres Lebens geopfert, wenn eine Stimme ihr verraten würde, was in diesem Moment in Bodo vor sich ging. Die in Fachkreisen anerkannte Psychologin wäre über die Wahrheit erschrocken und höchst erstaunt gewesen. Iris kam gerade in einem wichtigen und richtigen Moment. Ihre Anwesenheit tat ihm gut – wie noch nie in all den vielen Jahren. Sie verströmte Wärme und Geborgenheit; eine Wärme, die er nur von seiner Mutter in seiner frühen Kindheit kannte.

      In den zurückliegenden Jahren hatte Bodo Höllenqualen durchlitten. Selten fand er Ruhe.

      In seinem Kopf spulten sich Bilder ab, rauschten unzählige Eindrücke von seinen vielen Aktionen an ihm vorbei, hörte er die Schreie von gequälten Kreaturen. Es rumorte und es kochte – unablässig. Diese Bilder verfolgten ihn vor allem in der Nacht. Seit Jahren konnte er nur vier Stunden pro Nacht schlafen. Und heute - empfand er Stille. Es war eine wohltuende Stille, herrliche Stille - eine Stille, die seine Seele streichelte.

      Ein Geräusch ließ Iris aufhorchen. Sie öffnete die Augen. Es war inzwischen dunkel geworden. Als sie zur Tür blickte, erkannte sie Oles Gesicht. Mit einer beruhigenden Geste schloss er von draußen leise die Tür. Für Iris gab es nur eine Erklärung. Sie musste eingeschlafen sein. Sie horchte angestrengt in das Dunkel hinein. Bodo atmete tief und gleichmäßig. Nach einigen Minuten der Stille stellte sie fest, dass es sie fröstelte. Vorsichtig versuchte sie, die Bettdecke nach oben zu ziehen.

      »Sag bloß, ich habe geschlafen«, hörte sie Bodos Stimme. »Jetzt liege ich mit einer attraktiven Frau im Bett - und schlafe ein.« Er lachte leise.

      »Wir werden es nachholen. Ganze Nächte lang«, flüsterte Iris.

      Bodo tastete nach seiner Nachttischlampe.

      »Lass das Licht noch eine Weile aus«, bat Iris.

      »Darf ich dich in Bad Vilbel besuchen?«, fragte sie schließlich leise, und tastete erneut nach Bodos Hand.

      »Willst du damit sagen, dass ich nach Hause gehen darf?« Bodos Stimme klang sichtlich erregt.

      »Auch das hier war die ganze Zeit dein Zuhause.«

      Iris beugte sich rasch zu Bodo hinüber. Sie gab ihm einen Kuss auf die Lippen, um anschließend flink aufzustehen. »

      »Bis morgen«, sagte sie leise und huschte hinaus. In ihrem Zimmer warf sie sich auf ihr Bett und weinte. Es waren leise Tränen; Tränen der Leere und der Hilflosigkeit.

      Am darauffolgenden Morgen, Ole hatte Bodos Koffer bereits nach unten gebracht, schaute Iris, es war kurz vor neun Uhr, nach Bodo. Er hatte schon gefrühstückt. Ole und Marco blickten Iris fragend und suchend an.

      »So Jungs, ab nach Hause«, versuchte sie, die Situation zu überspielen.

      Marco atmete sichtlich erleichtert auf.

      »Tja, ihr habt es gehört Boys. Machen wir uns ab«, sagte Bodo strahlend.

      Iris lachte ich sich hinein. Immer wenn Bodo besonders nervös war, verfiel er in diesen hessischen Dialekt. Wortlos nahm der Hüne sie in die Arme und gab ihr einen langen Kuss.

      »He, ich bekomme keine Luft mehr.« Die Psychiaterin löste sich aus der Umarmung, um sich mit ihrem Handrücken rasch einige Tränen von den Wangen zu wischen.

      Marco umarmte Iris ebenfalls kurz.

      »Danke,« sagte er leise und fügte fragend hinzu: »Wir bleiben Freunde?«

      »Auf ewig«, sagte Iris lächelnd.

      Bodo und Marco verließen das Appartement.

      Ole stand wie angewurzelt. Iris blickte ihn fragend an. Sie wusste nie, was im Kopf dieses überaus verschlossenen Mannes vor sich ging. Oftmals beschlichen sie in seiner Nähe Angstgefühle.

      Langsam ging Ole nun auf sie zu. Iris erschrak, als Bodos Wachhund, wie sie ihn heimlich für sich getauft hatte, vor ihr auf die Knie ging. Er nahm mit einer Sanftheit, die sie diesem Muskelprotz niemals zugetraut hätte, ihre Hand, und hauchte einen Kuss darauf. Seine graugrünen Katzenaugen blickten sie dabei von unten demutsvoll an. Doch bevor sie sich aus der Erstarrung erholt hatte, war Ole verschwunden; blitzschnell und katzenhaft. Sie hatte noch nicht einmal gehört, wie er die Türe hinter sich zuzog.

      Ole war überglücklich, als Bodo beschlossen hatte, ihn bei seinen täglichen Fitnessprogrammen zu begleiten. Der Hüne musste sich dabei eingestehen, dass seine Muskulatur im letzten halben Jahr deutlich gelitten hatte. Sie absolvierten täglich ein stundenlanges Lauftraining durch die herbstlichen Wälder nordöstlich von Bad Vilbel. Danach trainierten sie im Fitness-Studio, welches Bodo für seinen Freund gekauft hatte. Es war amüsant zu beobachten, wie die Blicke einiger Damen gierig über Oles muskulösen Oberkörper wanderten. Ganz bestimmt wird dieser Bursche diesen Damen noch andere Muskelpakete zeigen, dachte Bodo obszön. Er gönnte es seinem Freund.

      Nordwestlich von Bad Vilbel hatte der Norweger vor einigen Wochen ein alleinstehendes und unbewohntes Bauernhaus entdeckt. Im Rahmen des Lauftrainings zeigte er nun seinem Chef dieses Objekt. Es lag unweit der A3. Über einen verwilderten Weg unter der Autobahn hindurch erreichte man von dort aus einen kleinen Rastplatz an der A3 in südlicher Richtung. In wenigen Minuten konnte man von hier aus den Flughafen Frankfurt oder in fünfzehn Minuten den Sportflughafen Egelsbach erreichen.

      Bodo war von diesem Kleinod sofort fasziniert. Er wies Dr. Henninger an, nicht nur dieses Bauernhaus zu kaufen, sondern das weiträumige Areal und die Felder östlich des Hauses bis zu einer wenig befahrenen Landstraße. Knapp fünf Kilometer Wald zwischen den gekauften Grundstücken und der Autobahn A3 stellten sich als unverkäuflich heraus. Allerdings gelang es, diese Wälder, es waren vornehmlich Nadelwälder, für fünfzig Jahre zu pachten. Ole musste rasch einen Jagdschein vorweisen, damit auch die Jagd für diese Wälder auf viele Jahre hinaus gepachtet werden konnte. Kein Fremder sollte einen rechtlich nachvollziehbaren Grund vorweisen können, nur einen Quadratmeter dieses Bodens zu betreten.

      Einige Räume des alten Bauernhauses wurden durch ein polnisches Unter­nehmen sehr wohnlich eingerichtet. Dies sollte Marcos künftiges IT-Reich werden. In einem nicht einsehbaren Bereich auf einem kleinen Hügel installierte das IT-Genie einige Antennen, welche selbst auf guten Luftaufnahmen nicht auszu­machen waren.

      Das Haus sowie das dazu gehörige Gelände musste weiterhin einen verlassenen und heruntergekommenen Eindruck machen; mit einer alten und verrosteten Umzäunung, riesigen Brombeerhecken und alten Holunderbäumen.

      Das 29 Meter lange Kellergewölbe, worin früher große Mengen Zuckerrüben, Kartoffeln und Apfelwein gehortet worden waren, dämmte Ole innerhalb von drei Wochen äußerst aufwändig selbst.

      Lediglich Marco und Bodo wurden eingeweiht, dass dies seine künftige Schießanlage werden sollte.

      Dorthin beglei­tete ihn neuerdings auch Bodo. In der Hare Bay hatte er zwar bewiesen, dass er mit dem Gewehr gut schießen konnte. In dieser Privatkatakombe wollte er in erster Linie lernen, auch mit einer Pistole und mit einem Revolver umzugehen. Man konnte ja nie wissen.

      Ende Oktober hatte