Kurt Pachl

Bodos zornige Seele


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wollte.

      Doch mitten in dieser Bewegung sackte der Kopf des Pelikans nach unten … und hing nun schlaff herab.

      Bodo erschrak und erstarrte. Er konzentrierte sich auf den Herzschlag des Vogels. Das kleine Herzchen schlug noch. Gottseidank nicht mehr so schnell, dachte Bodo. Das ist ein gutes Zeichen. Doch plötzlich … urplötzlich … hörte es, gänzlich auf zu schlagen. Bodo fühlte, wie der Vogel in sich zusammensackte, und schwerer wurde.

      »Neiiin«, schrie Bodo. »Neiiin! Bitte … lass ihn leben. Bitte!«

      Doch sein Schreien verhallte im Wind. Bodo wollte es nicht wahrhaben - es verdrängen. Er hoffte … auf ein Wunder … wie so oft in seinem bisherigen Leben.

      Aber dieses Mal war alles anders. Er wusste, dass dies gegen jegliche Intelligenz und gegen jegliche Vernunft war. Dessen ungeachtet war ihm plötzlich, als sei Ewald für ihn … heute … das zweite Mal gestorben; als würde sich Ewald immer weiter von ihm entfernen.

      Tausend Szenen und Bilder rasten in unendlich schneller Reihenfolge durch Bodos Gehirn.

      Und diese Bilder schwollen an - zu einem Gewitter. Jede Zelle seines Körpers schien zu schmerzen und zu brennen.

      Er wollte weinen. Er wollte heulen – wie ein verwundeter Wolf. Er wollte schreien … laut und befreiend. Er musste es hinausschreien … in die Nacht … in den Wind … und in die Welt; den Schmerz, den unsäglichen Schmerz.

      Und endlich, endlich fand er die Kraft. Bodo stand auf, und trat einen Schritt nach vorn. Er holte den Vogel behutsam unter seiner Jacke hervor. Mit der Rechten hob er den Pelikan nach oben; weit nach oben.

      Seine Linke hielt den Kopf des Vogels, damit dieser nicht nach unten baumelte.

      Bodo streckte das Tier in das dunkler werdende, spektakuläre Abendrot. Und er schrie – laut … befreiend … anklagend:

      »Gott … Siehst du ihn … Er ist … Nein, er war ein Teil deiner Schöpfung. Deiner herrlichen Schöpfung. Wo warst du? Wo bist du? Warum lässt du deine Schöpfung allein? Warum lässt du mich allein? Wie oft habe ich in den vielen Jahren versucht, mit dir zu sprechen. Ich habe dich angefleht. Ich habe gebettelt. Ich habe mit dir gehadert. Warum hast du all diese Schönheit erschaffen, wenn du sie dann allein lässt?! Warum, um alles in dieser Welt, warst du all die letzten Jahre nicht bereit, ihr beizustehen? Uns beizustehen, die wir um deine Schöpfung gekämpft haben. Warum? Wie soll ich weiterkämpfen? Und woher soll ich die Kraft dazu nehmen? Sag es mir!«

      Bodo hielt inne. Er sank auf die Knie und drückte nun den Vogel wieder an seine Brust. Er horchte angestrengt in den Wind. Er starrte in die Dämmerung hinein. Das Rot wich langsam einem dunklen Blau. Darin weiße Streifen. Doch kein Zeichen. Kein Ton. Nur der kühle Nachtwind.

      Und dann … plötzlich … wurde es dunkel um Bodo; stockdunkel.

      Iris begann sich Sorgen zu machen. Ein Blick auf ihre Armbanduhr verriet ihr:

      Es war 22:10 Uhr.

      Bradly hatte Laternen auf die Tische gestellt. Die Kerzen darin flackerten leicht. Die Gesichter der Aktivisten waren nur schemenhaft zu erkennen. Gedämpfte Unterhaltung. Der Tag war anstrengend gewesen. Einige hatten sich bereits in ihre Zelte zurückgezogen.

      Ole blickte in die Nacht; in Richtung Westen, wohin Bodo vor einigen Stun­den verschwunden war. Er machte sich Vorwürfe. Er hätte Bodo folgen sollen; im gebührlichen Abstand. Ja, dazu war er verpflichtet. Es war ein Fehler gewesen, ihm nicht zu folgen. Ein großer Fehler. Das fühlte er jetzt.

      Iris und Sylvia saßen an einem kleinen Tisch. Die Psychologin hatte es für sinnvoll empfunden, sich ihrer Freundin anzuvertrauen; dass sie sich große Sorgen um Bodo machte. Sie konnte es nicht erklären, warum plötzlich eine Unruhe in ihr hochkroch.

      Ann Chandler beobachtete die beiden eine Weile. Sie fühlte, dass hier etwas nicht in Ordnung war. Sie musste ein Gespür für solche Strömungen haben. Das war unabdingbar für ihren Job.

      Sie leitete mittlerweile die größte Psychiatrie in New York; zehn Mal größer als die Klinik von Iris. Vor zwei Jahren lernten sich Ann und Iris auf einem Seminar kennen.

      Zufällig hatte Iris zuvor mit Bodo über das Seminar gesprochen. Er hatte ihr damals gesagt, dass sie einen Gruß von Bodo ausrichten solle.

      Einige Tage später wurde sie sauer auf Bodo. Von Ann erfuhr sie, dass sich diese attraktive Amerikanerin und Bodo bei den Eco Warriors kennengelernt hatten, und mit welchen Personen Bodo und Marco in Little Guantanamo eingesperrt worden war. Sie hörte Details, über welche Bodo – und auch Marco – nie mit ihr zu sprechen bereit waren. Sie lernte damals auch die überaus interessante Psychologin Sue kennen, die eine längere Zeit mit Ann eng zusammenarbeitete. Doch wenn sie gewusst hätte, dass diese Frau Bodo näher kennenlernen wollte, hätte sie mit Sicherheit mehr über sie erfahren wollen.

      Für die drei Frauen war es nun ungemein schwierig, sich über Bodo auszutauschen. Bodo hätte dies später als einen Vertrauensbruch eingestuft. Dass er sich eng mit Ole und Marco austauschte, war Iris und Sylvia bekannt.

      Aber heute ging es um das Wohl von Bodo. Sie mussten sich entscheiden.

      Als Bradly am Tisch vorbeischlenderte, zupfte ihn Iris an seiner Jacke.

      »He Bradly, hast du einige Taschenlampen? Wir wollen Bodo entgegengehen. Vielleicht tappt er im Dunkeln am Strand entlang.«

      Ole, der dies gehört hatte, sprang hoch. »Ich komme mit.« Plötzlich war er völlig aufgelöst.

      »So eine Scheiße. Ich hätte ihn nicht alleine lassen dürfen. So ein Mist«, jammerte er.

      »Hör auf rumzuplärren«, fuhr ihn Iris an.

      »Selbstverständlich solltest du uns begleiten. Aber nur, wenn du für uns und für Bodo eine Hilfe bist.«

      Das war zu viel für Ole. Drohend ging er auf Iris zu.

      »Pass auf mein Freund«, fauchte sie ihn an.

      »Wenn du dich nicht zusam­menreißt, lasse ich dich von zehn Leuten hier festhalten. Dann bekommst du eine Beruhigungsspritze, und Ruhe ist im Karton. Haben wir uns verstanden?«

      Ole erstarrte. Ein Teil der Aktivisten hatte sich von den Sitzen erhoben, und kam neugierig näher.

      »Ob du mich verstanden hast?«, zischte Iris leise. Ole nickte stumm.

      »Ist etwas mit Bodo?«, wollten einige Personen, neugierig geworden, wissen. »Quatsch«, sagte Iris ärgerlich.

      »Wir wollen ihm nur entgegengehen. Mehr nicht.«

      »Dann komme ich auch mit«, flötete Carlotta.

      »Ole, Bradly, Ann, Sylvia und ich werden gehen«, sagte Iris mit einem fast kommandoartigen Unterton, der keine Widerrede duldete.

      Danach blickte sie Marco an.

      »Du schaltest bitte dein Handy ein, damit wir dich hier erreichen können.«

      Marco hatte blitzschnell die Lage erfasst. Wenn Iris darauf bestand, dass Ann und Sylvia sie begleiten sollten, so hatte dies Gründe.

      Iris war für ihn die Pragmatikerin in Person.

      Er nickte dankbar.

      »Nimm bitte deine Tasche mit«, flüsterte Iris zu Sylvia.

      Sylvia nickte, und ging wortlos zum Krankenzelt.

      Bradly baute sich vor Iris auf.

      »Sollen wir nicht lieber die Quads nehmen? Mein Quad hat einen beweg­lichen Strahler. Da können wir alles ausleuchten. Wir können ja ganz langsam fahren. Sollte Bodo verletzt sein, wäre das auch sehr hilfreich.«

      »Das machen wir«, antwortete Iris. »Wie viele Personen haben Platz auf dem Quad?«

      «Vier.«

      Iris überschlug schnell die Anzahl der wichtigen Personen. Auf alle Fälle brauchte sie Sylvia. Bradly würde fahren.