Kurt Pachl

Bodos zornige Seele


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      »Das kann viele Einzel- und viele kumulative Ursachen haben«, begann Simone weiter zu referieren.

      »Wir wissen, dass man viele Fischer nach dem Abschöpfen des Öls in Krankenhäuser eingeliefert hat. Bei diesen armen Burschen stellte man in erster Linie Verätzungen der Atemwege sowie Probleme im Magen- und Darmbereich fest. Bei der kontrollierten Abfackelung des Öls hat die FOSC angeblich allergrößten Wert darauf gelegt, dass die Bevölkerung nicht gefährdet wurde.« Sie blickte kurz auf.

      »Aus dieser Wortwahl allein muss entnommen werden, dass es dabei zu Freisetzungen von chemischen Prozessen kommt, die man offensichtlich für bedenklich gehalten hat. Völlig unklar ist, was die Rückstände der Abfackelung in Verbindung mit dem Wasser, mit der speziellen Ölsorte hier und vor allem mit dem Corexit in der Kumulation bewirken. Der sogenannte Potenzierungsgrad ist völlig unbekannt. Wir wissen allerdings auch nicht, ob es sich bei dem versprühten Corexit

      um eine Weiterentwicklung der uns bekannten Substanz handelt. Es ist nicht auszuschließen, dass der Wirkungsgrad, und damit die Giftigkeit, angehoben wurde. Wenn wir davon ausgehen, wie lasch das MMS und weitere Organisationen bislang ihre Überwachungspflichten wahrgenommen haben, muss sich diese Frage förmlich aufdrängen.«

      Simones Ausführungen wurden im September 2011 durch eine Exper­tengruppe zum Teil bestätigt. Selbst der US Fish & Wildlife Service musste zugeben, dass eine vollständige Erfassung der Folgen nicht stattfand, und auf Vorgabe von oben auch nicht angestrebt wurde. Eine Zahl ließ jedoch aufhorchen: Nur 25 Prozent der registrierten Vögel wiesen Verölungen auf. 62 Prozent der tot gefundenen Vögel zeigten keine äußerlichen Verunreinigungen auf. Die Studie der innerlichen Verölungen und Verätzungen ist öffentlich nicht zugänglich, hieß es lapidar.

      »Die Auswirkungen durch das Fracking in den Staaten und in Kanada wer­den diese Werte langfristig bei Weitem übertreffen«, fügte Priscilla hinzu.

      »Vor allem wird es mehr Menschenleben kosten, wenn die Rückstände sich im Grundwasser festsetzen, oder ins Meer gespült werden, um sich in Fischen und anderen Lebensmitteln anzureichern. Das ist ausschließlich nur eine Zeitfrage.«

      Bodo stand auf.

      »Zunächst einmal danke, meine Damen. Für mich war das äußerst interes­sant. Haltet mich bitte auf dem Laufenden, wenn weitere Auswertungen vorliegen. Wir werden diese irgendwann sinnvoll einsetzen; mit Sicherheit auch in meinen Artikeln. Da freue ich mich schon auf die Resonanz der netten Herren.«

      Kapitel 13

      Und dann … Dann kam dieser verdammte Abend.

      Die Sonne näherte sich bereits dem Horizont.

      Alle Aktivisten waren müde zur kleinen Zeltstadt zurückgekehrt. Viele hatten auf Bänken und Stühlen Platz genommen.

      Einige waren damit beschäftigt, das Essen zuzubereiten.

      »Ich mache jetzt noch einen kleinen Spaziergang«, sagte Bodo zu Iris.

      »Darf ich dich begleiten?« Sie war im Begriff, sich bei Bodo unter­zuhaken. Doch Bodo hob müde eine Hand.

      »Sei mir nicht böse«, murmelte er, ohne sie dabei anzuschauen. »Ich muss das alles für mich alleine ein wenig verdauen. Außerdem will ich sehen, wie es weiter westwärts aussieht.«

      Er stampfte mit leicht gesenktem Kopf los, und vergrub dabei seine Hände tief in die Hosentaschen.

      Iris blickte ihm traurig und auch ein wenig verärgert hinterher.

      Ole erhob sich rasch von einer Bank, um Bodo zu folgen. Dieser gab ihm jedoch mit einer Handbewegung ein unmissverständliches Zeichen, dass er alleine gehen wolle.

      Ole setzte sich wieder.

      »Neuerdings ist er fast schlagartig ganz schlecht drauf«, grummelte er.

      Die Sonne versank gerade wie ein orangenfarbener Feuerball hinter dem Horizont.

      Es bildeten sich viele kleine Wolkenbänke, die von der unterge­henden Sonne in Rot-, Gelb- und Orange-Tönen angepinselt wurden. Dazwi­schen lag ein helles Blau mit weißen, horizontal verlaufenden Streifen. Der Wind frischte auf.

      Bodo verspürte heute keine Lust, dieses Naturspektakel zu verfolgen.

      In den letzten Tagen hatte er oft an Ewald gedacht. Ja, er konnte mit Ole und Marco sprechen. Doch mit Ewald brauchte er nicht zu sprechen.

      Während sie manchmal gemeinsam den Sonnenuntergang betrachteten, hatte Bodo immer das Gefühl, dass ihre Seelen miteinander sprächen.

      Du bist ungerecht, sagte eine Stimme in ihm. Sie geben sich doch alle große Mühe, es dir recht zu machen – Iris, Sylvia, Simone, Marco und vor allem Ole. Und alle die vielen anderen langjährigen Wegbegleiter. Jaja, aber Ewald fehlt mir trotzdem, erwiderte er dieser inneren Stimme. Dann wäre alles leichter zu ertragen. Aber was würde Ewald jetzt, in dieser Situation, zu ihm sagen?

      Was würde er ihm raten?

      Eine Weile war er in Gedanken versunken am Strand entlang geschlurft. Müde setzte er sich auf eine große Baumwurzel, die der Sturm an Land gespült hatte. Lange starrte er auf den Golf hinaus. Durch den letzten Sturm war es vor allem am Abend frisch geworden. Bodo zog den Reißverschluss seiner Windjacke zu, und verschränkte die Arme vor seiner Brust.

      Er blickte müde und gedankenverloren in den untergehenden Tag. Nun versuchte er, krampfhaft abzuschalten; an nichts zu denken; an nichts.

      Plötzlich … da vorn. Bodo war davon überzeugt, dass sich vom Meer her etwas näherte – langsam, ganz langsam. Gebannt richtete er seinen Blick auf dieses Etwas. Die Umrisse waren nun deutlicher zu erkennen. War es eine Fata Morgana, oder spielten ihm seine Sinne einen Streich. Nein, nein … Es war ganz bestimmt ein Pelikan. Er war nicht groß. Und er war schlank. Also musste es ein Brauner Pelikan sein. Er watschelte, und Bodo erkannte, dass der Vogel sich mühsam auf ihn zubewegte. Hatte dieser Vogel ihn vielleicht nicht gesehen? Er hatte ja schließlich bewegungslos gesessen. Bodo räusperte sich leise. Schließlich wollte er diesen armen Vogel nicht erschrecken. Der Pelikan hielt kurz inne. Doch dann setzte er seinen Weg weiter fort; geradewegs auf Bodo zu.

      Mühsam hatte sich der Vogel bis zu Bodo und der angeschwemmten Baumwurzel geschleppt. Etwa zwei Meter vor Bodo blieb er stehen. Er wartete. Aber auf was? Dann legte er seinen Kopf leicht zur Seite … so, als ob er sagen wollte: Na erkennst du mich nicht? Bradlys dummes Gerede tauchte blitzartig in Bodos Kopf auf. Vor einer Woche, als sie wenige Kilometer von hier vor Anker gegangen waren, und der Pelikan sich vor ihnen auf das Geländer der Reling niedergelassen hatte - und ihn ähnlich ansah. Bradly, dieser blöde Kerl, sagte da etwas von einer Wiedergeburt.

      »Blödsinn«, murmelte Bodo leise.

      Der Vogel drehte daraufhin den Kopf auf die andere Seite. Er gab keinen Laut von sich.

      Jetzt konnte Bodo genau sehen. Es war ein Brauner Pelikan. Und er bewegte sich nun mit … eins … zwei … drei kleinen Watschelschrittchen noch auf ihn zu.

      Und plötzlich … plötzlich … sackte er leicht nach vorn. Er taumelte.

      Bodo ließ sich von der Holzwurzel fallen. Es gelang ihm, den Vogel aufzufangen. Er hielt ihn nun im Arm.

      Instinktiv setzte er sich in den Sand und lehnte sich an die Wurzel. Ihm wurde nicht bewusst, dass er den Pelikan an seine Brust drückte; nicht zu fest, sondern leicht und liebevoll.

      Er spürte, wie der Vogel schwer atmete. Er spürte sogar, wie sein kleines Herzchen schlug. Es raste. Das arme Tier war nicht warm. Nein. Es fühlte sich kalt an … Jetzt begann es leicht zu zittern … Nicht aus Angst vor Bodo. Nein, den Vogel fröstelte es. Daran bestand kein Zweifel.

      Bodo öffnete den Reißverschluss seiner Windjacke. Langsam und vorsichtig schob er den Vogel unter seine Jacke. Nur den Kopf mit dem langen Schnabel ließ er herausschauen. Der Vogel drückte sich an Bodos Brust. Und nun ver­suchte er, sich noch tiefer