wünsche euch und uns allen einen schönen Abend. Lasst es euch schmecken. Lebt, trinkt, liebt und singt. Die nächsten Tage werden wieder einmal hart. Danke liebe Freunde.«
Iris rätselte, warum Bodo nach dieser Rede keine Anstalten machte, sich wieder auf seinen Stuhl zu setzen. Er blieb stehen und schaute in die Runde.
Weitere lange Sekunden ruhte Stille im Raum. Man hätte eine Stecknadel fallen hören. Ein Großteil der Anwesenden hing noch immer an Bodos Lippen. So hatten sie ihn noch nie gesehen. Solche Worte hatte er bislang noch nie gefunden. Bislang war er lediglich einer von ihnen. Manchmal auch ein Fels in der Brandung. Doch heute Abend? Soeben?
Plötzlich begann der Erste rhythmisch in die Hände zu klatschen. Weitere fielen ein. Wie auf ein geheimes Kommando standen alle auf und klatschten. Die ersten begannen,
»Bodo! Bodo!« zu rufen.
Hachiko stürmte plötzlich nach vorn, fiel vor Bodo auf die Knie, umarmte dessen Beine, und begann laut zu schluchzen.
Ole, der wie immer in unmittelbarer Nähe seines Freundes zu sitzen pflegte, stand auf. Fast theatralisch nahm er Bodos rechte Hand, um sie zu küssen.
Weitere Anwesende stürmten auf Bodo zu. Viele wollten ihn umarmen, ihm die Hand reichen oder ihm zumindest nahe sein. Der Lärm war ohrenbetäubend. Niemand schien sich plötzlich diesem Zauber entziehen zu können.
Nur Iris blieb sitzen. Sie ließ dieses Schauspiel auf sich einwirken.
Als sie Bodo beruflich kennengelernt hatte, war er ein introvertierter, achtzehnjähriger Naturliebhaber. Sie war vier Jahre älter. Und trotzdem: Nach nur wenigen Minuten war sie unsterblich in den älter wirkenden, gutaussehenden und muskulösen Hünen mit den stechend wasserblauen Augen verliebt.
Heute, nach achtzehn Jahren, war sie immer noch in ihn verliebt - wie am ersten Tag. War es diese Liebe, welche es ihr in den letzten Jahren erschwerte, oder gar unmöglich machte, Bodo mit der Brille einer Psychologin zu betrachten? Seit vielen Jahren leitete sie eine private Psychiatrie, die weit über die Grenzen von Frankfurt bekannt war; vornehmlich in der Mittel- und Oberschicht. Ja, er war reifer geworden. Sein Weg, den er sich selbst ausgesucht hatte, war steinig gewesen. Und viele Eindrücke, die sie leider nicht kannte, hatten sich offensichtlich tief in seine Seele eingefräst. Sie hatte die Befürchtung, dass Bodo sich zum Fanatiker entwickelt hatte und weiterhin entwickeln würde. Bodo hatte es ihr verwehrt, Einblick in seine Seele zu nehmen. Aber was war plötzlich mit diesem Mann passiert? So wie vorhin hatte sie Bodo noch nie wahrgenommen. Seine ganze Wortwahl war neu.
Als weithin geachtete Psychologin durfte sie seinen heutigen Auftritt nicht mehr mit dem Begriff »Charismatiker« allein abtun. Die Grenzen zwischen einem Charismatiker, einem Psychopathen oder gar einem Schizophrenen verliefen mitunter fließend.
»Oh Gott«, dachte sie plötzlich. Ihre Hände begannen zu zittern.
»Bin ich krank? Wie kann ich so etwas überhaupt in Erwägung ziehen? So darf ich noch nicht einmal ansatzweise denken! Damit würde ich Gefahr laufen, Bodo zu verlieren. Für immer!«
Vor drei Jahren … nach so langer, langer Zeit … hatte es ausgesehen, als ob ihr größter Wunsch in Erfüllung gehen würde. Doch vergebens. Zu mehr als Gesprächen und einigen Streicheleinheiten war es nicht gekommen. Bislang gab es allerdings auch keine Hinweise darauf, dass Bodo sich anderweitig orientiert hatte. Simone himmelte ihn an und schmuste mit diesem stattlichen Mann. Doch Simone war lesbisch. Das hatte man ihr zugetragen. Daran gab es mittlerweile keine Zweifel mehr. Diese Begrüßungen am Flughafen von Biloxi … und diese Blicke, mit denen die meisten der zum Teil überaus attraktiven Frauen Bodo verschlangen … War es vorstellbar, dass sie in der Vergangenheit „erfolgreich“ bei Bodo waren?
Und plötzlich … Plötzlich blickte Bodo sie an. Sein erster Blick schien mit der Frage verbunden zu sein:
»Warum sitzt du so allein da hinten?!«.
Konnte er zum Schluss ihre Gedanken lesen?!
Jetzt löste er sich von den Menschen, die ihn umringten. Er kam auf sie zu. Sie fühlte, wie nun auch ihre Beine zu zittern begannen.
Und da stand Bodo vor ihr. Seine starken Arme zogen sie sanft nach oben. Er drückte Iris an seine Brust.
»Dir muss ich besonders danken. Du hast immer an mich geglaubt. Du warst immer da, wenn meine Seele besonders traurig war. Wie kann ich das je wieder gut machen?«
«Indem du mir einen Kuss gibst«, hauchte sie.
Bodo gab Iris einen langen und zarten Kuss auf die Lippen.
Die Männer klatschten. Doch Carlotta de la Mora und Ann Chandler hassten in diesem Moment diese Frau. Sylvia, Ärztin und Iris‘ engste Vertraute, hatte Bodo bislang lediglich als einen »verdammt gut ausgestatteten« Mann eingestuft. Sie empfand plötzlich Neid und Eifersucht. Es war ihr, als spürte sie in diesem Moment seine Kraft in ihren Lenden. Sie sehnte sich nach seiner Nähe – und seiner mit Sicherheit teuflischen Kraft.
Verdammt. Er hat aber noch andere Kräfte, schoss es durch ihren Kopf. Und diese Kräfte sind unendlich gefährlicher. Auch ihre Hände und Beine begannen nun zu zittern. War es angebracht, Angst vor diesem Mann zu haben?
»Um Gottes willen nein«, schrie sie in sich hinein. »Niemals darf ich mich gegen ihn stellen. Niemals!«
Bradly hatte zwei Freunde überreden können, mit ihren Booten an der Aktion teilzunehmen. Der Ölkonzern hätte ihnen zusammen über 2.000 Dollar pro Tag gezahlt. Freundschaft zählte in den Südstaaten immer noch mehr als schnöder Mammon. Gute Freunde würden bleiben. Doch die Ölkarawane würde wieder weiterziehen; irgendwann. Der Wind hatte etwas nachgelassen, und es regnete leicht. Bodo hatte damit gerechnet, dass auf der Wasseroberfläche ein dicker Ölfilm weiter in Richtung Norden ziehen würde. Doch dem war nicht der Fall. Stattdessen fuhren sie durch eine raue See, auf der ab und zu große, braunschwarze Ölklumpen schaukelten. Der »Corexit-Einsatz« war demnach erfolgreich gewesen. Das an sich primitive Konzept der Manager des Ölkonzerns ging vorerst auf. Strafzahlungen wurden nur für sichtbare Einleitungen erhoben.
Der Konvoi passierte die Gulf Islands National Seashores. Auf der kleineren East Ship Island ankerte ein Boot. Eine Mannschaft von knapp zwanzig Personen war damit beschäftigt, die Ölklumpen in große, weiße Plastiksäcke zu verstauen. Es war seltsam still. Lediglich Raubmöwen hielten Ausschau nach Beute.
Bradly tuckerte mit gedrosseltem Tempo, damit seine Freunde mühelos den Anschluss halten konnten. Ihre beiden blauen Boote waren älteren Datums. Maurice war Austernzüchter und Jaques hatte sich bislang auf die Shrimps- und Krabbenfischerei spezialisiert. Er zählte bislang zu den wichtigsten Lieferanten der fleischigen Blaukrabben in dieser Region.
Fast eine Stunde fuhren sie an der langgestreckten, schmalen Hauptinsel der Chandeleur Islands entlang. Das Wetter hellte sich langsam auf, und schließlich zwängte sich die Sonne vorsichtig durch die Wolkenbänke. Alle drei bis vier Kilometer sahen sie kleine Trupps an den großen Sandstränden. Da die Sonne langsam zum Vorschein kam, sah Bodo, dass der Strand seltsam hell war. Der Sand war zwar nicht so berauschend weiß, wie er ihn in Erinnerung hatte. Nur vereinzelt waren größere, schwarze Ölklumpen auszumachen. Es war irgendwie gespenstisch.
Die Sonne zog nun nahezu alle Aktivisten an Deck der Yacht. Es schien, dass vor allem die Frauen schlagartig mitteilsamer wurden.
Der gestrige Abend war lang geworden. Einige hatten Bodos Vorschlag sehr ernst genommen, und zwei Glas Wein zu viel getrunken. Viele hatten Bodos Vorschlag, sich zu lieben, ebenfalls in die Tat umgesetzt. Bei den Zwei- bzw. Dreibett-Zimmern war Improvisationstalent gefragt. Iris und Sylvia teilten sich ein Zimmer.
Jetzt, nachdem die Sonne auf den hellen Strand von Chandeleur Island schien, wurden ihre Lebensgeister wieder geweckt und es kam fast so etwas wie Urlaubsstimmung auf.
Das beginnende Blau des Himmels spiegelte sich nicht, wie sonst im Wasser wider. Ein fast geschlossener, dünner Schlierenteppich hatte die Wasseroberfläche in Beschlag genommen. Es war keine dicke, braune oder schwärzliche Ölschicht. Es waren dünne, ekelhafte Schlieren. Als sich diese