Lars Gelting

Mit der Wut des Überlebens


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Händler zu ihnen herüber.

       Sie saßen schon eine ganze Weile auf der schmalen Bank vor der Tür, lehnten in der warmen Sonne an der Hauswand, und beobachteten ohne besonderes Interesse das Treiben oben am Wald. Ulrich war gerade drauf und dran, den Arm unter dem warmen Wams loszubinden und ordnungsgemäß durch den Ärmel zu stecken, als er abrupt innehielt, „Ich denke, der will zu uns!“ Er ließ den Arm wie und wo er war, zupfte sein Wams wieder zurecht, setzte sich aufrecht und beobachtete aufmerksam einen dunklen Wagen, der in ruhigem Schritttempo herankam.

       Der Wagen fuhr an ihnen vorbei und hielt dann neben dem Haus, wo er im Schatten einiger großer Erlen stehen konnte.

      „Ah, das kann lustig werden!“ Ulrich sah sie grinsend, mit hoch gezogenen Augenbrauen von der Seite an, während er sich erhob. „Das ist der Eberlein! Ein Energiebündel! Aber der wird uns nicht einfach abhauen, kommt aus Quedlinburg rüber.“

       Der Händler Eberlein war ein kleiner Mann, gerade in der zweiten Lebenshälfte, klein und von konsequenter Rundheit. Sein Kopf, im Verhältnis zum Körper eher groß, zeigte die vollende Rundung eines Balles, die nur von einem dunklen, krausen Haarkranz am Hinterkopf unterbrochen wurde. Die Inkonsequenz eines Halses leistete sich Herr Eberlein nicht, dafür ruhte sein Kopf auf einem mächtigen Leib. Selbst die Beine ließen in ihrer Kürze eine logische Weiterführung der obigen Formen vermuten.

       Ganz offensichtlich steckte aber in diesem Körper eine unverwüstliche Vitalität: Sie hatten mit wenigen Schritten die Hausecke erreicht, und der Wagen konnte nach stundenlanger, holperiger Fahrt gerade erst angehalten haben, er aber kam ihnen schon mit kurzen, raschen und energischen Schritten entgegen.

      „Ulrich, mein Lieber! Gut, dass es in diesen Zeiten noch Menschen gibt, auf die man sich verlassen kann! Schön dich zu sehen!“ Damit war er bei ihnen, hatte mit seinen kleinen Schweineaugen die Gesamtsituation schon erfasst. „Was ist mit deinem Arm?“ Er schob das Kinn weisend vor, warf dann einen schelmischen Blick zu ihr, „Hast es wohl zu toll getrieben!“

       Ulrich wollte auf den Scherz eingehen, grinste, kam aber gar nicht erst zu Wort.

      „Deinem Vater geht es doch gut, oder? Ich war sicher, ihn hier zu treffen.“ Bei diesen Worten war er weiter gegangen, steuerte zielstrebig auf den Eingang zu. Und ehe Ulrich die Frage beantworten konnte, stand er schon im Haus, sah sich suchend um, „Wo sitzen wir?“

       Ulrich ging wortlos an ihm vorbei, zog den Hocker hervor, der dem quirligen Menschen zugedacht war, ging dann um den Tisch herum zu seinem Platz, während Therese hinter ihren Papieren, hinter Feder und Tinte Platz nahm.

       Eberlein sah sie, immer noch stehend, einen Augenblick an, nicht ablehnend, eher interessiert und mit einer Spur Hochmut, „Du übertreibst, Ulrich!“ Er sah Ulrich direkt an, „Alles zu seiner Zeit! An diesem Tisch hat eine Frau jedenfalls nichts zu suchen!“

       Ulrich beugte sich vor, stützte sich auf den freien Arm ab, so als wolle er dem anderen etwas anvertrauen, „Würde es euch etwas ausmachen, wenn das Geld für den Kredit, den ihr benötigt, von einer Frau käme?“

      Der andere verharrte eine winzigen Augenblick, warf ihr einen schnellen, aber hochkonzentrierten Blick aus den Augenwinkeln zu, „Woher das Geld kommt, ist mir egal! Wichtig sind die Bedingungen,“ und jetzt lehnte er sich, soweit es seine Rundungen zuließen, bedeutungsvoll über den Tisch, „die wir beiden aushandeln! Mit einer Frau werde ich nicht verhandeln!

      „So sei es!“ Verbindlich, aber ohne jede erkennbare Gefühlsregung ging Ulrich auf die humorvolle Art des anderen ein. Therese wusste um Ulrichs Triumph, hatte soeben die erste Lektion gelernt.

       Ulrich sah kurz am Eberlein vorbei, nickte dem Wirt zu, bemerkte dabei, dass jemand den Raum betreten und sich auf der Bank direkt neben der Tür niedergelassen hatte. Sie würden leiser sprechen müssen.

       Der weitere Verlauf entsprach deutlich einem eingefahrenen Ritual: Die beiden Männer saßen sich gegenüber, plauderten über dies und das, berichteten sich über Neuigkeiten aus unterschiedlichen Regionen des Reiches. Geschäftliches spielte offenbar keine Rolle. Und die Frau an ihrem Tisch auch nicht. Sie war einfach nicht da!

       Das galt dann auch für das vom Wirt aufgetragene Mahl, Sauerfleisch und Brot! Mit wässrigem Mund und wachsender Wut musste sie den beiden beim Essen und Palavern zusehen. Ging es hier nicht um ihr Geld? Sie presste die Lippen zusammen, wandte sich ab, begegnete dem beobachtenden Blick des Fremden neben der Tür und stand auf. Sie musste raus aus diesem Raum.

       Und während sie sich rasch vom Tisch entfernte, nahm sie das Innehalten der beiden durchaus wahr, das kurze Aussetzen des genüsslichen Kauens, Schmatzens und miteinander Redens. Sie war wieder aus der ihr zugedachten Rolle ausgebrochen, und die beiden hatten´s gemerkt. Gut so!

       Draußen drängte sich ihr übergangslos das lärmende Treiben auf, mit dem sich das Lager oben auf dem Absatz immer noch ausweitete. Sie wandte sich zum Fluss, schlenderte den schmalen Fußweg hinunter, war gallig bis unter die Haarwurzeln. Mit Geld oder ohne Geld: Für diese Kerle zählte sie einfach nicht! Gebrauch nach Bedarf! Ulrichs Bitte gestern Abend: Sie war nahe dran gewesen. Und jetzt das!

       Der Fluss zog träge an ihr vorbei, lenkte ihren Blick hinüber zur aufgebrochenen Stadtmauer, ließ sie einen Augenblick sinnen. Jetzt verhandelten diese Männer über ihr Geld, vollkommen ungeniert!

       Die Lippen zornig aufeinander gepresst, trat sie gegen einen hochstehenden Grasbüschel, kreuzte die Arme vor der Brust. Geld! Geld für Mann! Ein schlechter Tausch! Sie würde das Geld nie so verwerten können, wie sie es wollte! Die würden sie immer abhängig halten. Sie stierte ins graue, ruhig quirlende Wasser. Wie Ulrich schon sagte, „In diesem Geschäft gibt es keine Frauen!“ Und es war ihr nur zu klar, dass niemand von diesen Männern etwas daran ändern wollte. Nur Männer verhandelten! Sie hob ihre Augen abrupt aus dem Wasser, sah zur Mauer hinüber. Dann brauchte sie eben einen Mann für´s Geld. Ulrich! Ihre Augen verengten sich: Ulrich! Sollte er ruhig verhandeln, aber die Bedingungen würde sie in Zukunft festlegen.

       Was hatte dieser eingebildete Eberlein noch gesagt: Woher das Geld kommt, ist mir egal. Die Bedingungen müssen stimmen! Und das hatte sie in der Hand – wenn sie Ulrich in der Hand hatte!

       Zufrieden und ein wenig hintergründig lächelnd setzte sie sich auf den Bootsrand. Die beiden waren garantiert noch am Essen, geduldig zusehen würde sie ihnen dabei nicht! Aber es interessierte sie jetzt schon, zu welchen Bedingungen Ulrich ihr Geld verlieh, sicher verlieh!

       Sie ließ sich Zeit, folgte sinnend dem gleichmäßigen Strömen des Wassers, vermied es, zur Stadt hinüber zu sehen.

       Was waren diese Männer nur borniert! Sie hatte das Geld, aber verhandeln wollten sie nicht mit ihr. Ein Mann musste es sein, der ihnen gegenübersaß! Dass dieser vielleicht in ihrem Auftrag und mit ihrem Geld verhandelte, spielte keine Rolle, wenn nur die Augen, in die sie beim Verhandeln blickten, einem Mann gehörten. Ein spöttisches, leicht hochmütiges Lächeln huschte über ihr Gesicht, sie drückte sich vom Bootsrand hoch.

       Als sie sich endlich wieder an ihren Platz setzte, nahmen die beiden von ihrer Rückkehr nur insofern Kenntnis, wie man eben auf eine Bewegung reagiert, die sich am Rande des eigenen Sichtfeldes ereignet. Im nächsten Moment aber sah Ulrich noch einmal zu ihr hinüber, ganz kurz nur, interessiert, forschend, nachdenklich. Es hatte sich etwas geändert, und er hatte es bemerkt.

       Gleichzeitig bemerkte sie die Veränderung, die sich am Tisch vollzogen hatte. Der Teil des Rituals, in dem Freundlichkeiten ausgetauscht wurden, war deutlich vorbei. In diesem Teil kreuzten die beiden hochwachsam ihre Klingen. Fochten mit allen Mitteln, um dem anderen ihren eigenen Vorteil abzutrotzen.

       Eberlein saß wohlgesättigt, mit hochrotem Kopf, leicht nach hinten gelehnt in seinem Stuhl