Lars Gelting

Mit der Wut des Überlebens


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mussten. Angelockt von diesem Duft schwirrten hunderte von Fliegen aufgeregt um sie herum, schlossen sich irgendwann dem grün schillernden, summenden Heer an, welches den blutverschmierten Haufen als Brutstätte entdeckt hatte.

      „Wahrscheinlich stinkt das Geld nachher genauso, und ich werde den Gestank nie mehr los.“

      „Na, wenn ihr das Geld vergraben wollt, dann seid ihr Geld und Gestank bald los!“

       Sie ruckte ein Stück zur Seite, „Mein Gott! Ich weiß halt nicht, was ich anderes mit dieser Menge machen soll. Und ich habe Sorge, dass mir das Geld, das Johannes in Jahren zusammengetragen hat, einfach aus den Händen rinnt. Warum versteht ihr das nicht?“

      „Natürlich verstehe ich das! Aber eine solche Menge Geld zu vergraben ist und bleibt falsch!“ Er nahm den Zügel in eine Hand, wandte sich ihr mehr zu,

      „Ihr könnt Geld mit Getreide vergleichen: Wenn man es vergräbt oder zu lange liegen lässt, verliert es an Wert und wird vom Ungeziefer aufgefressen. Sät man es aber auf einen guten Acker, dann bringt es vielfachen Gewinn. So müsst ihr das verstehen!“

      „Ah ja, Getreide.“ Sie verstand nichts!

       Er wandte sich ab, nahm die Zügel wieder in beide Hände.

      „Habt keine Sorge, wir helfen euch schon!“

       Einen Moment lang sah sie ihn noch von der Seite an, unsicher, nachdenklich. ´Wie Getreide!´ Hörte sich ganz einfach an. ´Getreide´ hatte sie ja jetzt genug, fehlte nur noch der Acker. Sie sah hier keinen Weg für sich, atmete resigniert durch und sah wieder nach vorn.

       Zurück in Leipzig half alles gute Zureden nichts: Unbelehrbar und eigensinnig bestand sie darauf, die Geldbeutel in ihrer winzigen Kammer zu verstauen.

       Allein in ihrer Kammer ging sie zielstrebig zu Werke, zerrte den Bettkasten von der Wand und begann, die nach Kadaver stinkenden Beutel zwischen Wand und Kasten zu stapeln. Verbissen schleppte sie einen schweren Beutel nach dem anderen über ihr Bett, hielt dabei die Luft an, wandte zum Atmen das Gesicht ab. Endlich wurde der Ekel übermächtig: Sie drohte in einer dicken Suppe aus Aas- und Fäulnisgestank zu ertrinken, musste an die Luft.

       Draußen, vor der Tür, rutschte sie an der Wand herunter, atmete durch. Nicht einmal die Hälfte der Beutel hatte sie verstauen können, es war unmöglich. Die Beutel mussten weg! Wie? Wohin? Gedankenverloren stierte sie geradeaus ins Nichts.

       Wenige Schritte neben ihr wurde die Tür aufgestoßen. Izaak Goldberg kam aus dem Haus, stapfte mit festen, schweren Schritten hinüber zum Pferdestall und zog ihren Blick hinter sich her.

       Sie bekam Izaak selten zu Gesicht. Tagsüber hielt er sich im Hause auf, plante, rechnete, erhielt Besuch von wohlhabenden Bürgern aus Magdeburg, Leipzig und dem Umland und empfing immer wieder Händler, für die er auf ihren Reisen eine fest eingeplante Handelsstation war. Lediglich, wenn er irgendwann und notgedrungen zum Abtritt musste, dann konnten sie sich schon mal begegnen; der Abtritt befand sich im Pferdestall.

       Ungerufen drängte sich ihr das Bild auf, wie er damals im Wald vor ihr kniete, entblößt an Leib und Seele. Ein Haufen Elend mit einem Rosshaar in der Zunge.

       Der Gedanke riss unversehens ab: Gackernd kam ein Huhn schnurstracks auf sie zu gerannt, versuchte sich und sein ungelegtes Ei vor einem heranstürmenden, unberechenbar hüpfenden Reifen in Sicherheit zu bringen. Neben dem Reifen rannte Daniel, Moshes Sohn. Das Gesicht von dunklen, krausen Haaren eingerahmt, die Unterlippe im Eifer zwischen den Zähnen festgehalten, trieb er den Reifen mit einem kleinen Stöckchen diagonal über den Hof.

       Sie wandte sich ab, ließ ihren Blick gedankenlos über den Hof schweifen, hörte den Reifen, nur wenige Schritte entfernt, mit einem trockenen Klacken gegen die Wand stoßen.

       Auf der anderen Seite des Hofes, am Brunnen, vielleicht fünfzehn Schritte von ihr entfernt, begegnete sie einem anderen Blick. Batya, Moshes Frau lehnte dort im Schatten der großen Kastanie und beobachtete sie offensichtlich. Den Kopf leicht schräg gelegt verharrte sie noch einen Augenblick, löste sich dann vom Brunnen und kam zu ihr herüber geschlendert.

       Batya war einige Jahre jünger als sie, vielleicht achtundzwanzig. Eher klein und mit ausgeprägten Rundungen war sie ein Energiebündel, deren vermeintliche Gelassenheit von einem Augenblick zum anderen in Flammen aufgehen konnte.

       Vom ersten Tag an, den sie im Hause der Goldbergs erlebte, hatte ihr Batya geholfen, zurück ins Leben zu finden. Was immer ihr fehlte, Batya blieb nur wenig verborgen und so empfand sie kaum einen Mangel.

       Manchmal wurde sie nachts wach, wenn sich Batya und Moshe liebten. Dann drangen Laute zu ihr herüber, die den beiden in Momenten größten Wohlbehagens entströmten, die sich allmählich klärten, um dann mit zunehmender Leidenschaft stakkatisch einem gemeinsamen Höhepunkt zuzustreben. Sie lag dann wach, erinnerte sich und drohte zu zerreißen. Es waren die Momente, in denen das Gefühl, vom normalen Leben ausgeschlossen, vergessen zu sein, übermächtig wurde. Oft stand sie dann auf, setzte sich draußen vor die Tür, so wie sie jetzt auch dort saß, und starrte einfach in die Dunkelheit.

       Daniel rannte an ihr vorbei, trieb seinen Reifen wieder zurück auf die andere Hofseite.

       Ihr gegenüber kam Izaak wieder aus dem Stall, und stapfte, ohne mehr als notwendig von seiner Umgebung wahrzunehmen, festen Schrittes zum Haus zurück.

       In der Höhe etwa, in der er die Hand ausstrecken musste, um die Haustüre zu öffnen, wurden seine vertrackten Gedankengänge unterbrochen. Die ruhige, fließende Bewegung, mit der sich Batya auf ihn zu bewegte, ließ ihn einhalten. Mit einer raschen Bewegung hob und wandte er den Kopf, erfasste nicht nur Batya, sondern gleichzeitig auch die an der Wand Kauernde.

      „Aha, drückt euch euer plötzlicher Reichtum schon zu Boden?“Aus seiner geringen Höhe sah er amüsiert zu ihr herab.

      „Nein!“ Eher unwillig drückte sie sich aus der Hocke hoch, sah ihn dabei nicht an, „Ich konnte den Gestank da drin nicht mehr ertragen.“ Mit einer kleinen, launigen Bewegung wies ihr Kopf über die Schulter zurück.

       Izaak schob den Kopf vor, forschte in ihrem Gesicht, „Gestank?“ Er machte zwei schnelle Schritte vor, stützte sich mit der Linken an der Wand ab und schob Kopf und Oberkörper entschlossen durch die geöffnete Tür in die Kammer. Langsam, geradezu nachdenklich zog er sich wieder zurück, machte ein angewidertes Gesicht, sah sie einen Augenblick ruhig an.

      „Was habt ihr da gemacht? Das stinkt nach Katzen- oder Hundebalg!“

      „Hundebalg!“ Sie sah auf, blickte Batya an, die sich die Hand vor den Mund hielt, um nicht loszuprusten, wandte sich Izaak zu.

      „Das sind die Geldbeutel. Die sind vollkommen durchtränkt und stinken unerträglich!“

       Batya nahm ihre Hand vom Mund, lachte ungeniert los: „Genau so hat Moshe auch gestunken! Der konnte sich selbst nicht mehr riechen – und ich ihn auch nicht!“

      „Hm!“ Izaak wandte sich wieder Therese zu, „Das kommt von den Fellen?“

      „Nur von den Fellen!“ Sie hob die Schultern, sah ihn an, ratlos.

      „Hm.“ Er straffte sich entschlossen, blickte Batya direkt an, „Sobald Moshe zurück ist, sollen sie das Geld rüberbringen – ohne Beutel!“ Sich abwendend zu Therese: „Seid ganz beruhigt: Das Geld ist bei uns sicher, es bleibt euch!“

       Er verschwand in der Tür, ehe sie etwas erwidern konnte, stieß dieselbe aber im nächsten Augenblick wieder auf. Den Kopf leicht vorgestreckt blieb er in der geöffneten Tür stehen:

      „Wir könnten euer Geld gut anlegen! Die Gelegenheit ist günstig wie selten!“