Tessa Koch

Wounded World


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mich ebenso kalt wie ich sie. Ihre Unterlippe schiebt sich leicht vor, sie streicht eine ihre schwarzen Strähnen hinter ihr Ohr und verschränkt dann die Arme vor der Brust. Kurz frage ich mich, was sie an sich hat, was mir fehlt. Ihre blauen Augen und ihre helle Haut bilden einen wunderbaren Kontrast zu ihrem dunklen Haar, fast wie bei Schneewittchen. Doch ihre Miene ist stets kalt, ihre Kleidung immer akkurat, geradezu perfekt. Als sei sie eine Puppe.

      „Was machst du denn hier?“ Ihre Stimme ist so tonlos wie ihr Gesicht steinern.

      Ich höre auf sie zu mustern und rücke den Karton in meinen Armen zurecht. „Ich bringe Adams letzte … letzte Sachen rum. Wir hatten abgemacht, dass ich heute kurz vorbeikomme.“

      „Baby?“ Es ist wie ein Messer in meinem Herzen, als ich Adams Stimme aus der Wohnung rufen höre. Früher hat er mich immer so genannt. „Baby, ist alles in Ordnung? Wer ist das?“

      Clarissa lässt eine ihrer Brauen hochwandern. „Es ist Eve, Babe“, ruft sie über ihre Schulter zurück. „Sie wollte noch deine letzten Sachen vorbeibringen.“

      „Oh, stimmt!“ Es dauert nur wenige Sekunden, bis Adam im Türrahmen erscheint. Ich blicke in seine dunklen Augen, sein schönes Gesicht. Mein Herz schlägt noch schneller, noch schmerzhafter. „Hallo Eve, alles klar?“

      Unauffällig räuspere ich mich. „Ja, ja alles bestens bei mir, danke.“ Unbeholfen hebe ich den Karton leicht an, in seine Richtung. „Da ist alles drin, was ich noch gefunden habe in unse-, äh, in meiner Wohnung. Dein letzter Krempel also.“ Ich erwähne nicht, dass ich eines seiner T-Shirts behalten habe. Es hilft mir nachts einzuschlafen, wenn ich ihn, seinen Geruch, wieder viel zu sehr vermisse.

      „Das ist echt superlieb von dir.“ Seine Augen blicken mich traurig an und ich glaube, Schuld in seinem Blick zu lesen. Er weiß, dass er mir das Herz gebrochen hat, als er mir vor einem Monat sagte, dass er mich wegen Clarissa verließ. Noch am selben Abend zog er zu ihr und ließ mich in der Wohnung zurück, die wir erst vor einem halben Jahr bezogen haben, damals, als liebestolles, glückliches Paar. In der ich nun alleine wohne, einsam.

      „Tja … gern geschehen.“ Ich bugsiere den Karton unsanft in seine Arme. Ich bin bereits viel zu lange hier und setze mich bereits viel zu lange Clarissas kaltem Blick aus. Vielleicht ist es nur Einbildung, doch ich glaube, in ihrem sonst so starren Gesicht Triumph zu lesen. Den Triumph darüber, dass sie Adam bekommen, ihn mir weggenommen hat. Ich halte es nicht aus. „Dann gehe ich mal wieder.“ Geradezu fluchtartig drehe ich auf dem Absatz um und eile die Treppe hinunter. Ich muss hier raus, an die frische Luft, ehe ich noch vor den beiden anfange zu weinen. Diese Genugtuung gönne ich weder Clarissa noch Adam.

      Erleichtert stoße ich die Tür zur Straße auf und trete in die frische Luft, in den alltäglichen Trubel von D.C. Es tut gut, gleichmäßig und tief einzuatmen, mich selbst davon zu überzeugen, dass meine Brust nicht zugeschnürt ist. Denn noch vor wenigen Sekunden fühlte es sich so an, als ob ich ersticken müsste. Doch ich habe es geschafft, ich bin Adam und seiner bescheuerten Clarissa gegenüber getreten. Und wider allen Erwartungen habe ich es überlebt.

      Erste Regentropfen treffen auf mein Haar, meine Haut, und waschen all die schlimmen Gefühle und Gedanken der letzten Tage von mir ab. Es ist vorbei, nun kann ich in der Masse untergehen, mein Leben neu beginnen, ohne ihn. Ich schließe meine Augen, sauge die frische, feuchte Luft durch meine Nase ein und versuche mich darüber zu freuen.

      „Eve, warte!“ Erschrocken reiße ich meine Augen wieder auf und drehe mich um. Adam steht in der Tür des Wohnblocks, er wirkt gehetzt. „Eve.“ Ein Lächeln breitet sich auf seinem Gesicht aus, als er sieht, dass ich noch vor dem Block stehe.

      „Was ist denn noch?“ Es kommt hitziger heraus als ich es beabsichtigt habe, und Adams Lächeln tröpfelt sofort dahin.

      „Eve, ich weiß, dass das eine … unangenehme Situation ist. Vor allem für dich. Doch du sollst wissen, dass du nicht ganz aus meinem Leben verschwinden musst, wenn du es nicht willst. Du bist ein toller Mensch, eine klasse Frau, und ich schätze dich sehr. Ich weiß, dass ich dir verdammt wehgetan habe. Aber ich will dich nicht als Freundin verlieren, verstehst du?“

      Ich starre ihn an. Ich bin mir nicht sicher, ob ich weinen, lachen oder ihm eine reinhauen soll. Er verlässt mich für eine andere Frau, einfach so, von heute auf morgen, ohne dass ich auch nur die Chance hatte, um uns zu kämpfen. Und nun eröffnet er mir, dass er gerne mit mir befreundet sein möchte?

      Ich hole Luft, will ihm antworten, auch wenn ich selbst noch nicht weiß, was genau ich eigentlich sagen soll. Im nächsten Moment zerreißt ein ohrenbetäubender Knall die gewohnte Hektik Washingtons. Adam packt mich fest an der Schulter und zieht mich an seine Brust, ich pralle hart gegen seinen Körper und reiße ihn um. Wir landen auf dem Boden des Hausflures, ich auf ihm. Hinter uns, draußen auf der Straße, knallt es wieder, Schreie und Rufe gellen durcheinander und ich höre das laute Rauschen von Wasser.

      Eilig rappele ich mich auf, nur ein kurzer Blick gilt Adams erschrockenem Gesicht. Ich blicke aus der geöffneten Tür, sehe das Auto, das qualmend an dem gegenüberliegenden Wohnblock steht. Es hat den Hydranten zu meiner Rechten umgefahren, das Wasser ergießt sich auf die gesamte Straße. Reifenspuren führen über den Weg, dort, wo ich vor wenigen Sekunden noch gestanden habe.

      „Oh mein Gott“, stoße ich hervor, als ich das Auto sehe. Es muss von unserem Haus abgeprallt und über die Straße geschleudert worden sein, ehe der gegenüberliegende Block ihm jeglichen Schwung nahm. Die Schnauze des PKW ist zusammengeschoben, dichter Qualm dringt unter der verbeulten Motorhaube hervor. Ich sehe einen blutigen Arm aus dem zersplitterten Fenster hängen.

      Andere Passanten sind bereits zu dem Auto geeilt, sehen nach den Insassen des Wagens. Ich sehe einen jungen Mann im Anzug, der vergeblich versucht die Fahrertür des Wagens zu öffnen. Währenddessen legt eine ältere Dame ihre Hände um ihr Gesicht, um zu schauen, ob sich auf der Rückbank ebenfalls Verletzte befinden. Eine junge Frau wiegt ihr schreiendes Baby auf den Armen, während sie mit weit aufgerissenen Augen auf den Jungen blickt, der unter den Vorderrädern des Autos liegt. Ich bin mir sicher, dass er tot ist.

      „Ach du Scheiße.“ Adam wirkt atemlos, als sei er Kilometer weit gelaufen.

      „Wir müssen ihnen helfen!“, stoße ich hervor. Wie die meisten anderen Menschen stehen wir einfach nur herum, erstarrt durch das Bild, das sich uns bietet. „Schnell!“ Meine Beine setzen sich in Bewegung, binnen weniger Sekunden bin ich bei dem Wagen. Ich blicke auf die Frau, die bewusstlos hinter dem Steuer sitzt. Überall ist Blut, so unendlich viel Blut. „Atmet sie noch?“, frage ich den Anzugträger, der vergeblich versucht hat die Autotür zu öffnen.

      „Ich weiß es nicht.“ Er wirkt panisch als er wieder an der Tür zu ziehen beginnt. „Wir müssen sie da rausholen, irgendwie!“

      Kurz will ich fragen, wieso wir es nicht über die Beifahrerseite probieren wollen, doch als ich aufblicke, sehe ich, dass die rechte Seites des Autos zermalmt ist. Sie muss fast die gesamte Wucht des Aufpralls abgefangen haben. Wenn dort jemand gesessen hat, ist er definitiv tot. „Wir ziehen sie durch das Fenster“, sage ich daher stattdessen. Der junge Mann nickt mir kurz zu, dann beugt er sich durch das zersplitterte Fenster in das Innere des Wagens und umfasst den Oberkörper der Frau.

      „Hier sind zwei Kinder!“, ruft die Frau zu meiner Rechten panisch aus. „Zwei kleine Kinder sitzen hinten drin!“ Sie blickt sich um, starrt in die entsetzten, starren Gesichter aller Umstehenden. Kurz blicke ich zu dem Mann, der die Frau vorsichtig aus dem Fenster zu ziehen versucht, dann schiebe ich unsanft die Frau beiseite und zerre an der Tür.

      „Sie lässt sich nicht öffnen. Ich brauche Hilfe!“ Ich sehe mich zu den Passanten um, den Dutzenden leeren Gesichtern. „Ich brauche Hilfe, stehen Sie nicht einfach alle nur so nutzlos rum!“ Tatsächlich lösen sich nun weitere Menschen aus ihrer Starre und kommen zu uns geeilt. Zwei junge Männer nehmen sich der Tür an, versuchen sie mit mir gemeinsam aufzuziehen. Ich lehne mich mit meinem ganzen Gewicht an den Rahmen, meiner ganzen Kraft. Da rutschen meine Hände ab. Ich spüre einen stechenden Schmerz in meiner linken Hand, im nächsten Moment verliere ich das Gleichgewicht und falle