Tessa Koch

Wounded World


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Wie lange dauert das zu Fuß? Zehn Minuten?“

      „Direkt vor eurer Tür sind gerade eine Handvoll Menschen gestorben! Ich glaube, dass auf den zehn Minuten heute einiges passieren kann!“

      „Natürlich, deswegen bleibst du lieber hier bei Adam!

      „Mädels!“, fährt dieser nun dazwischen. „Beruhigt euch mal, alle beide! Clairy, Eve wollte gehen, ich bin ihr hinterher und habe sie zurück in die Wohnung gebracht. Sie sagen die ganze Zeit, dass man nicht auf die Straße gehen soll, auch wenn ihre Wohnung nur drei Blocks weiter ist. Und Eve –“ Nun wendet er sich mit einem tadelnden Blick an mich „– ich erwarte, dass du dich halbwegs benimmst, immerhin bist du hier unser Gast. Ihr beide solltet euch benehmen, verdammt. Wir haben keine Ahnung, was da draußen los ist und wie lange das alles vielleicht noch andauert. Ich habe keine Lust, dass ihr euch dann auch noch gegenseitig die Köpfe einschlagt. Klar?“

      Er sieht mich herausfordernd an und ich erwidere seinen Blick. Eine seine Brauen wandert in die Höhe. Ich seufze geschlagen auf. „Von mir aus.“

      „Clairy?“ Er sieht sie mit demselben durchdringenden Blick an.

      Kurz schaut Clarissa zu mir. Dann seufzt auch sie. „Verstanden. Tut mir leid, Eve.“

      „Ja, mir auch.“

      „Sehr schön!“ Adam klatscht zufrieden in die Hände. „Wie wäre es mit ´nem Drink? Ich zumindest brauche ziemlich dringend Alkohol. Nach allem, was ich bis heute gesehen habe.“ Er schüttelt sich kurz, so als wolle er die Erinnerungen vertreiben, und sieht uns dann an. „Martini, Babe?“

      Wieder lächelt Clarissa. „Das wäre himmlisch.“

      „Und für dich einen Whiskey, Eve?“

      Aus den Augenwinkeln sehe ich Clarissas gereizten Blick. Vermutlich gefällt es ihr nicht, dass Adam weiß, was ich am liebsten trinke. Doch wir sind erst seit wenigen Wochen auseinander, es wäre geradezu beleidigend, wenn er nun so täte als würde er mich nicht mehr kennen, meine Vorlieben und Abneigungen.

      „Tja, wer weiß wie lange das alles vielleicht noch dauert?“, wiederhole ich seine Worte mit einem seichten Lächeln. „Da können wir uns genauso gut betrinken.“

      Er grinst. „Vernünftige Einstellung. Ich bin gleich wieder da.“ Eine unangenehme Stille entsteht, kaum dass er den Raum verlassen hat. Clarissa und ich blicken in verschiedene Richtungen, die Abneigung, die wir füreinander empfinden, ist fast schon mit den Händen greifbar.

      „Nun“, setzt Clarissa nach wenigen Minuten zögerlich an. „Was … was ist eigentlich mit deiner Hand?“ Sie deutet überflüssigerweise auf den Verband.

      „Ich habe versucht die Kinder aus dem Auto zu befreien, doch die Tür war verzogen. Als ich daran zog, bin ich abgerutscht und habe mir wohl an dem kaputten Fenster die Hand zerschnitten. Es hat ziemlich stark geblutet.“

      „Das tut mir leid.“

      „Danke.“ Wieder schweigen wir beide. Ich seufze leise. „Hör mal, Clarissa. Ich weiß, dass du mich nicht sonderlich magst, und ich kann dir sagen, dass das auf Gegenseitigkeit beruht. Nicht weil du ein schlechter Mensch bist, sondern einfach wegen …“

      „… der gegebenen Umstände.“

      Ich muss lächeln. „Ja genau. Ich will nur, dass du weißt, dass ich euch nicht zur Last fallen will oder das toll finde, hier zu sein. Wenn sie sagen, dass die Luft rein ist und man die Häuser wieder verlassen darf, werde ich wohl die erste auf der Straße sein.“ Ich sehe von meiner bandagierten Hand zu ihr auf.

      Auch sie sieht mich an, als sie mir in die Augen blickt, sehe ich, dass ihr kalter Ausdruck einer bekümmerten Miene weicht. Sie sieht den Schmerz in meinen Augen, in mir. Natürlich sind wir in gewisser Weise Rivalinnen, wir lieben denselben Mann. Doch sie versteht, dass ich eingestanden habe Adam verloren zu haben, an sie verloren zu haben. Und dass es mich innerlich zerreißt, ihn mit ihr zu sehen, ihn glücklich zu sehen. Sie braucht mich nicht zu fürchten, da ich bereits begriffen habe, dass es kein Zurück mehr geben wird, wie sehr ich es mir auch wünschen mag.

      „Es ist okay, Eve. Fühl dich einfach wie zu Hause, ja?“ Ich nicke, dankbar über den kleinen Waffenstillstand, den wir soeben geschlossen haben.

      Ein Knacken lässt uns wieder zum Fernseher schauen, die Nachrichtensprecherin ist fort, stattdessen ist ein dunkles Rednerpult zu sehen, hinter dem ein Ölgemälde von George Washington hängt. Das Pult ist von der Nationalflagge gezäumt, das Präsidentensiegel prangt breit auf seiner Vorderseite. „Babe, der Präsident spricht gleich!“, ruft Clarissa über ihre Schulter in den Flur. „Du musst dich beeilen!“

      „Komme!“, schallt es aus der Wohnung zurück. Wenig später tritt er in den Raum, zwei Gläser in den Händen tragend, sein Bier unter den Arm geklemmt. „Bitteschön“, sagt er lächelnd, als er mein Glas vor mir abstellt.

      „Danke.“ Ich sehe ihn an und erwidere sein Lächeln. Seine dunklen Augen strahlen, strahlen mich an. Noch immer kann ich mich in ihnen verlieren, auch wenn ich weiß, dass ich es nicht mehr darf. Sein Lächeln wird sanft, beinahe liebevoll, fast so wie damals.

      „Es geht los!“, zischt Clarissa und reißt mich, uns, unsanft in das Hier und Jetzt zurück.

      Ich spüre, wie ich rot anlaufe, als ich wieder zum Fernseher sehe. Der Präsident ist bereits hinter das Rednerpult getreten, seine Miene ist angespannt, während er seine Papiere sanft auf das Pult klopft. Er hebt den Blick und schaut direkt in die Kamera. „Guten Abend, Amerika. Heute werden Sie keine gewohnte Präsidenten-Ansprache hören, kein Gerede um den heißen Brei, keine Ausflüchte. In ganz Amerika ereigneten sich heute schwere Unfälle, Unglücke, Verwüstungen. Hunderte, wenn nicht sogar Tausende Menschen starben am heutigen Tag, der schwärzeste in unserer gesamten Geschichte. Sie alle wurden gebeten, in Ihren Häusern zu bleiben, Schutz zu suchen. Doch nicht, weil es einen Terroranschlag gab, wie von den Medien propagiert. Unser Feind ist weit schlimmer als der Mensch.“

      Kurz blickt der Präsident wieder auf seine Rede, er scheint sich zu sammeln, zu wappnen für seine nächsten Worte. „Noch kann auch ich Ihnen keine genauen Angaben geben, Ihnen nicht genau sagen, womit wir es zu tun haben. Doch kann ich Ihnen sagen, dass all die schrecklichen Ereignisse des Tages, die Ihnen in den Nachrichten präsentiert wurden, all die Unfälle wegen unserer amerikanischen Mitbürger geschehen sind, wegen unserer Brüder, unserer Schwestern. Es ist nicht auf ihr Versagen zurückzuführen, nicht auf ihre Schwäche. Nein, meine Freunde, denn all jene, die heute den Tod fanden, haben gekämpft, für unser Land gekämpft. All diese Tragödien, all der Schmerz, den das amerikanische Volk heute ertragen musste, ist auf einen gemeinsamen Nenner, eine gemeinsame Ursache zurückzuführen.“

      Wieder schweigt der Präsident kurz und wirft einen Blick auf seine Notizen. „Bislang wurde bei allen Opfern ein Erreger nachgewiesen, eine zuvor nie da gewesene Mutation uns noch unbekannter Viren. In allen uns bisher bekannten Fällen führte dieses Virus – das RwCSV1 – zum Tode. Nach dem Stand unserer jetzigen Ermittlungen war dieses Virus und die mit ihm verbundenen Symptome Ursache all jener Unfälle, die sich am heutigen Tage in ganz Amerika ereigneten. Noch ist uns nicht bekannt, wie sich dieses Virus verbreitet hat. Auch wurde bislang kein Heilmittel gefunden, doch forschen alle medizinischen Einrichtungen in den USA fieberhaft nach diesem, sodass es nur eine Frage der Zeit sein wird, bis wir es gefunden und für alle US-Bürger frei zugänglich gemacht haben.

      Auch wenn ich weiß, dass Ihnen dieses Virus Angst bereiten muss, so wie es auch mir Angst bereitet, bitte ich Sie alle inständig, Ruhe zu bewahren. Das Sicherste für Sie und Ihre Familien ist nach wie vor in Ihren Häusern zu bleiben und auf unsere kompetenten Forscher zu setzen, die vielleicht schon jetzt, in diesem Augenblick, den entscheidenden Durchbruch haben für –“ Der Präsident lässt seinen begonnenen Satz unvollendet, starrt stattdessen mit geweiteten Auge auf Etwas, das sich neben der Kamera abspielen muss.

      „Mr. President!“ Ein Soldat läuft ins Bild, er hält ein Sturmgewehr in den Händen. Im nächsten Moment feuert er auf das, was auch immer