Tessa Koch

Wounded World


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Kann man sie töten?“

      „Es muss einen Weg geben.“ Adam wirft einen Blick aus dem Fenster. „Seht.“ Er deutet auf einen Jungen, der tot auf der Straße liegt. Dort, wo eigentlich sein Kopf hätte sein sollen, ist ein schwerer Stein. „Sie haben ihm den Kopf eingeschlagen.“

      „Und schaut, die Frau dort hinten, beim Wrack.“ Clarissa zeigt auf eine Frau in einem rosa Jogginganzug, ein Messer ragt aus ihrer Augenhöhle. „Sie scheint auch tot zu sein. Unwiderruflich tot, meine ich.“

      „Das Gehirn“, sage ich. „Man muss es zerstören.“

      „Diw Zentrale des Körpers.“ Adam verschränkt die Arme vor der Brust. „Ergibt Sinn.“

      „Aber es sind zu viele.“ Ich überblicke die Straße, nur noch wenige Menschen sind dort unten, die meisten fort oder tot. „Und es verwandeln sich immer mehr.“ Mein Blick fällt auf einen Jungen, er trägt die Uniform eines Paketlieferservices. Er versucht auf die Beine zu kommen, sein rechter Arm wird nur noch von wenigen Sehnen gehalten. „Wir müssen einen anderen Weg finden.“

      „Wir brauchen ein Auto. Waffen und Proviant.“ Adam sieht mich an. „Wenn wir ein Auto haben, am besten einen Geländewagen oder so, können wir sie einfach überfahren. Es ist egal, ob sie dann wieder aufstehen, Hauptsache wir kommen aus der Stadt.“

      „Ich weiß nicht.“ Mein Blick hängt noch immer an dem Jungen. „Es haben so viele versucht zu fliehen, die ganzen Unfälle … Was ist, wenn die Straßen blockiert sind? Wir nicht durchkommen? Dann sind wir ihnen ausgeliefert.“

      „Wir müssen auf Seitenstraßen zurückgreifen, Schleichwege. Zu Fuß kommen wir hier niemals lebend raus.“ Auch sein Blick ruht auf dem Jungen.

      „Glaubst du wirklich, dass das funktioniert? Vielleicht sollten wir lieber versuchen anders hier herauszukommen.“

      „Und was schlägst du vor?“

      „Ich weiß nicht“, sage ich nur wieder. „Vielleicht durch die Kanalisation?“

      „Was?“ Clarissa verzieht angewidert das Gesicht. „Du willst durch die Kanalisation? Da werde ich lieber gefressen!“

      „Außerdem kennen wir uns da nicht aus, wenn wir uns dort unten verlaufen, sind wir geliefert. Auf den Straßen wissen wir wenigstens, wo wir hin müssen und wie wir die befahreneren Routen meiden können.“

      „Also gut.“ Ich reiße mich von dem Fenster los und trete in das Wohnzimmer. „Zuerst brauchen wir ohnehin Waffen, irgendwas, womit wir sie uns vom Leib halten können. Ansonsten kommen wir hier niemals lebend raus. Du hast nicht zufällig ´ne Knarre, oder?“, wende ich mich an Clarissa.

      „Natürlich nicht!“

      „Schade.“ Ich gehe in den Flur, schaue in die anderen Räume, bis ich die Küche finde. Dort beginne ich die Schubladen und Schränke zu öffnen, suche nach irgendetwas Brauchbarem. Ich finde mehrere scharfe Messer, ein Beil und einen Fleischklopfer. „Mist“, flüstere ich vor mich hin, als ich alles ein zweites Mal durchsuche.

      „Was machst du denn da?“ Clarissas Stimme ist schrill vor Empörung. „Das ist meine Wohnung!“

      „Sag bloß“, erwidere ich leise. „Wir brauchen Waffen“, füge ich dann lauter hinzu. „Irgendwas, womit wir uns im Notfall verteidigen können. Und leider finde ich nicht allzu viel. Hast du nicht doch irgendwo eine Waffe? Einen Hammer? Irgendwas?“

      Sie verschränkt die Arme vor der Brust. „Es tut mir leid, dass ich hier kein Waffenarsenal horte, du wirst mit dem auskommen müssen, was du durch dein Herumgeschnüffel findest.“

      „Wir alle müssen damit irgendwie auskommen.“ Ich seufze, lasse geschlagen von den Schränken unter der Spüle ab und erhebe mich. „Es reicht nicht. Da draußen sind Hunderte, wenn nicht sogar Tausende von diesen Viechern. Wir brauchen richtige Waffen, bessere.“ Ich blicke auf meine mickrige Ausbeute.

      „Wir müssen in die anderen Wohnungen.“ Ich drehe mich zu Adam um, ich habe nicht mitbekommen, dass er ebenfalls hinter uns hergekommen ist.

      „Was?“ Clarissa fährt zu ihm herum. „Du willst bei den anderen einbrechen?“

      „Clairy, Babe, wir brauchen Waffen. Eve hat recht, wir müssen uns irgendwie verteidigen können, wir alle.“

      „Jetzt bist du also auf ihrer Seite?“ Sie funkelt mich an, die alte Feindseligkeit in ihrem Blick.

      „Es geht hier nicht um irgendwelche Seiten, es geht darum, dass wir überleben!“ Adam wird hitzig und macht einen Schritt auf sie zu. „Da draußen geht gerade die beschissene Welt unter! Wir haben keine Zeit, um uns Gedanken darüber zu machen, ob es vielleicht moralisch verwerflich sein kann oder was weiß ich. Es geht hier nämlich um unser Überleben!“

      „Außerdem denke ich nicht, dass noch allzu viele hier sein werden“, sage ich leise. Ich habe das Bild eines in die Enge getriebenen Mannes vor Augen, den ich vorhin auf der Straße sah. Er versuchte mit seinem Koffer die Dinger von sich fernzuhalten, doch ich bin mir sicher, dass er es nicht geschafft hat. Es war der Mann, dem Adam vor wenigen Stunden noch zugerufen hat, er solle in seiner Wohnung bleiben und alles verschließen.

      Noch immer hat Clarissa ihre Arme vor der Brust verschränkt, noch immer blickt sie mich wütend an. Doch sie widerspricht nicht, auf mehr können wir momentan nicht hoffen. „Also gut.“ Adam wirft ihr einen schnellen Blick zu, dann wendet er sich an mich. „Wir sollten erst einmal schauen, was wir in der Nachbarwohnung finden, bevor wir uns in eine andere Etage wagen.“

      „Klingt nach einem Plan“, erwidere ich nervös.

      Er streckt seine Hand nach mir aus und berührt mich sanft an der Schulter. „Wir schaffen das. Also los.“ Er wirft uns einen letzten Blick zu, dann tritt er aus der Küche, Clarissa dicht hinter sich. Ich schaue den beiden nach, blicke dann wieder zu den paar Sachen, die ich gefunden habe. Bevor ich den beiden folge, nehme ich mir den Fleischklopfer.

      Adam und Clarissa sind bereits aus der Wohnung heraus und stehen vor der Tür des Nachbarn. Die Tür ist nur angelehnt, in der Wohnung dahinter ist es ruhig. „Ich finde immer noch, dass wir das nicht tun sollten“, flüstert Clarissa.

      „Wir müssen.“ Adam wirft uns einen letzten Blick zu, dann stößt er die Tür weit auf und betritt uns voran die fremde Wohnung. Clarissa schaut mich alarmiert an, folgt ihm aber sofort. Ich hole tief Luft und folge den beiden dann ebenfalls. In der Wohnung ist es dunkel, die Rollläden sind vor den Fenstern herunter gelassen. Auf den ersten Blick scheint es mir, dass sie denselben Schnitt hat wie Clarissas Wohnung; auch hier ist der Flur lang und läuft in das Wohnzimmer aus, dem größten Raum der Wohnung. Küche, Schlafzimmer und Bad liegen hinter den geschlossenen Türen zu unserer Linken und Rechten.

      Adam geht uns geduckt voran auf das Wohnzimmer zu, seine Muskeln sind angespannt. Ich will ihm gerade folgen, als ich eine Bewegung aus dem Augenwinkel ausmache. Im nächsten Moment fliegt die Tür zu meiner Linken auf, eines dieser Dinger kommt aus dem Raum und stürzt sich augenblicklich auf Adam. Es reißt ihn zu Boden, er schreit erschrocken auf, seine Hand tastet nach dem Messer, dass er vor Schreck fallen gelassen hat. Ich mache einen Satz nach vorne, hole weit aus und schmettere dann den Fleischklopfer fest auf den Kopf des Wesens. Blut spritzt, direkt in mein Gesicht. Ich hole wieder aus, schlage wieder zu, solange, bis es sich nicht mehr rührt.

      Schwer atmend blicke ich von dem toten Ding zu Adam auf, der mich erschrocken, aber unversehrt ansieht. „Lass – nie – deine – Waffe – fallen!“, schnaube ich und halte den Fleischklopfer in die Höhe. Der Edelstahl ist über und über mit Blut verschmiert.

      Er starrt mich weiterhin an, überrascht. Dann lacht er auf. „So kenne ich meinen Engel, wenn es sein muss bissig wie ein Terrier!“

      Ich lächle ihn an. „Mir wäre es aber lieber, wenn es nicht noch einmal vorkommen muss.“ Langsam stehe ich auf und halte ihm dann meine unverletzte Hand hin, um ihm ebenfalls auf die Beine zu helfen.

      Er