Tessa Koch

Wounded World


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Messer. „Sorry“, sagt er, als er mit dem Gesicht auf Höhe des Toten ist, „aber ich mochte dich eh noch nie, Derek.“

      „Hoffen wir mal, dass er der einzige hier war“, erwidere ich. Auch ich sehe auf die Leiche, Derek. Sein Kopf ist zertrümmert, das Gesicht dadurch kaum noch zu erkennen. Nun, wo das Adrenalin langsam aus meinen Adern weicht, wird mir etwas übel bei dem Gedanken, dass ich das gewesen bin, dass ich ihm den Schädel eingeschlagen habe. Auch wenn er einer von den Untoten gewesen ist, so war er vorher einmal einer von uns. Ein Mensch mit Gedanken, Gefühlen, Träumen.

      „Ja.“ Auch Clarissa ist grün im Gesicht, eine Hand hat sie auf ihren Bauch gepresst. „Er lebte alleine hier … Gott, du hast ihn einfach so getötet.“

      „Nicht einfach so, Clairy. Sie hat ihn getötet, weil er sonst mich getötet hätte. Oder was auch immer.“ Kurz schweigen wir alle. „Und nun lasst uns endlich die Wohnung nach brauchbarem Zeug absuchen, ja?“

      Wir teilen uns in der Wohnung auf. Ich betrete leise das Schlafzimmer, den Fleischklopfer locker in der Hand, bereit, ihn notfalls wieder zu benutzen. Doch das Schlafzimmer ist leer. Ich schalte das Licht ein und schaue mich in dem spartanisch eingerichteten Raum um; Bett, Nachttisch, Kleiderschrank und ein Stuhl mit abgelegten Klamotten, mehr befindet sich nicht in dem Zimmer. Ich trete an das Bett und setze mich vorsichtig auf die Kante. Auf dem Nachttisch steht eine Pillendose und als ich sie näher betrachte, sehe ich, dass es Schlaftabletten sind. Doch die Dose ist leer.

      „Deswegen kam er zurück“, murmele ich. „Er hat sich mit den Tabletten umgebracht. Oder wolle es zumindest.“ Ich stelle die Dose zurück auf das Tischchen und öffne dann die erste Schublade von diesem. In ihm liegen eine Tube Gleitgel, Taschentücher und ein Schmuddelheft. „Also wirklich, Derek …“ Schnell schiebe ich sie wieder zu und spüre wie ich rot werde. In der anderen Schublade befinden sich Antibiotika, noch mehr Schlaftabletten und eine kleine Flasche Jägermeister. „Keine besonders gute Kombi“, flüstere ich als ich die Medikamente herausnehme. Kurz zögere ich, dann nehme ich auch die Flasche an mich. „Kann nicht schaden.“ Ich lege alles gesammelt neben mich auf das Bett, dann erhebe ich mich, um den Raum weiter zu untersuchen.

      Die Klamotten im Kleiderschrank sind ordentlich eingeräumt, die Hemden hängen auf Bügeln. Auf dem Boden des Schrankes stehen vier Paar Schuhe, daneben ist ein Karton. Ich knie mich hin und öffne ihn. Dutzende Fotos liegen in ihm, außerdem mehrere Bücher. Als ich sie herausnehme, sehe ich, dass es sich um Tagebücher handelt. Bis auf eines sind sie bis auf die letzte Seite beschrieben.

      Ich wiege das leere Buch in meiner Hand, dann werfe ich es zu den anderen Sachen auf das Bett. Danach stehe ich auf, schließe den Schrank wieder und stelle mich auf die Zehenspitzen, um zu sehen, was noch obenauf liegt. Doch ich kann es nicht erkennen. Ich sehe mich im Raum um und mein Blick fällt wieder auf den Stuhl mit den Klamotten.

      Als ich sie vom Stuhl fegen will, sehe ich, dass unter den dreckigen Jeans ein Werkzeuggürtel liegt. Er ist aus Wildleder mit insgesamt zwölf Fächern. Zwei große Taschen befinden sich auf beiden Seiten, doch bis auf ein paar Stifte sind sie leer. Neben diesen sind jeweils vier Laschen, in denen Schraubenzieher, Zangen, Feilen und ein Cuttermesser hängen. Zwei breite Schlaufen befinden sich am äußeren Rand, in einer ein robuster Hammer, die andere ist leer.

      Ich lege den Gürtel um meinen Bauch und schließe dann den Klickverschluss. Er rutscht mir über die Hüfte und ich ziehe den Verschluss enger, bis der Gurt fest um meine Taille sitzt. Probehalber drehe ich mich erst in die eine, dann in die andere Richtung und gehe ein paar Schritte. Der Gürtel sitzt fest genug, um nicht zu rutschen, behindert mich allerdings auch nicht in meinen Bewegungen. Ein Grinsen huscht mir über das Gesicht, als mir bewusst wird, dass ich mit dem Ding wohlmöglich einen echten Glücksgriff gelandet habe.

      Dann schnappe ich mir den Stuhl, den ich eigentlich holen wollte, und trage ihn vor den Schrank. Nachdem ich auf ihn gestiegen bin, sehe ich, dass auf dem Schrank Rucksäcke und Taschen liegen. Ich suche mir einen Rucksack aus, der eine schöne Größe hat, und klettere wieder vom Stuhl. Anschließend räume ich die Medikamente und das Buch in eines der Innenfächer, stecke die kleine Handtasche, mit der ich zu Adam gekommen bin, in den Rucksack und schwinge ihn auf meinen Rücken. Die Träger stelle ich so ein, dass der Rucksack ebenfalls fest auf meinen Rücken sitzt und beim Laufen nicht hin und her fliegt.

      Einen letzten Blick lasse ich durch das karge Schlafzimmer schweifen, dann trete ich aus dem Raum und suche nach den anderen beiden. Ich finde Adam und Clarissa in der Küche, wo sie gerade die Besteckschublade durchsuchen. „Habt ihr was Brauchbares gefunden?“, frage ich und betrachte die bereits geöffneten Schränke und Schubladen.

      „Steakmesser.“ Clarissa drückt den Messerblock etwas fester an ihre Brust und ich verstehe, dass sie nicht will, dass ich mir eines nehme. Sie hat diese wertvollen Waffen entdeckt und möchte sie nun nicht mit mir teilen. Sie gehören Adam und ihr.

      Ich möchte seufzen, lasse es aber. „Im Schlafzimmer war nichts zu holen, es sei denn, ihr braucht Boxershorts und Pornos.“ Ich ziehe die Nase leicht angewidert kraus.

      „Und was ist das?“ Clarissa deutet mit dem Kinn auf den Gürtel.

      „Ein Werkzeuggürtel. Ich dachte, der könnte mir stehen.“

      „Praktisches Ding.“ Adam lächelt mir zu. „Keine schlechte Idee, sich sowas zuzulegen.“

      „Mein Reden. Oh, Taschen sind auch noch im Schlafzimmer, falls ihr welche braucht.“

      „Ich habe selber welche drüben.“ Clarissa wirkt abweisend und distanziert.

      „Okay, hier wären wir auch durch.“ Adam erhebt sich mit einem leisen Ächzen. „Außer Dosen-Ravioli ist hier nichts zu holen. Das einzig Wertvolle waren die Messer. Lasst uns uns noch im Wohnzimmer und im Bad umsehen.“

      „Ich schaue, was ich so im Bad finden kann“, sage ich.

      „Gut, dann gehen wir ins Wohnzimmer.“ Er lächelt mir wieder zu, dann geht er an mir vorbei und weiter ins Wohnzimmer. Clarissa ist dicht hinter ihm, ich bin mir ziemlich sicher, dass sie zu große Angst hat, um ihm auch nur einen Zentimeter von der Seite zu weichen.

      Ich vergewissere mich mit einem Blick über die Schulter, dass sie fort sind, dann packe ich die Dosen-Ravioli in meinen Rucksack und suche in den offenen Schubladen nach einem Dosenöffner. Als ich ihn finde, landet er in einer der großen Taschen meines Gürtels, zusammen mit einer Gabel und einem Löffel. Ich sehe mich weiter um und finde eine Trinkflasche. Sie fasst nur einen halben Liter, dennoch ist es besser als nichts. Ich fülle sie am Hahn mit Leitungswasser, dann verstaue ich auch sie in meinem Rucksack. Zwar habe ich vorerst nicht vor, die beiden zu verlassen, doch sollten wir getrennt werden, möchte ich vorbereitet sein. Wenn dort unten auf den Straßen Tote umher wandeln, will ich nicht letztendlich an Dehydrierung oder Hunger sterben.

      In einer weiteren Schublade finde ich Frischhaltebeutel. Zuerst will ich die Schublade einfach wieder ungeachtet schließen, als ich es mir doch anders überlege. Ich nehme die Beutel heraus und wühle aus dem Rucksack meine kleine Handtasche heraus. Behutsam schiebe ich Portemonnaie und Handy in einen der Beutel und verschließe ihn sorgfältig. Nach kurzem Überlegen stecke ich auch das Notizbuch und den Stift, die ich in Dereks Schlafzimmer fand, in einen Beutel, ehe ich sie wieder in die Tasche des Werkzeuggürtels stopfe.

      Anschließend mache ich mich auf in das Bad, doch finde ich dort nichts Nützliches. Die Medikamente, die Derek besessen hat, scheine ich bereits im Schlafzimmer gefunden zu haben. Mein Blick fällt auf den Spiegel und als ich das Blut in meinem Gesicht sehe, drehe ich das Wasser auf und wasche es mir aus dem Gesicht, zusammen mit dem Make Up, das ich heute Morgen aufgelegt habe. Als ich wieder in den Spiegel blicke, rinnen Wassertropfen über meine Haut, das Blut ist fort. Ich sehe blass und müde aus, aus meinem französischen Zopf sind einzelne Strähnen gerutscht. Kurz frage ich mich, wieso ich so mitgenommen und Clarissa nach wie vor einfach perfekt aussieht. Doch ich schiebe diese Gedanken schnell beiseite, jetzt ist definitiv nicht der richtige Zeitpunkt, um über mein Äußeres nachzudenken. Mit einem leisen Seufzen stoße ich mich vom Waschbecken ab und gehe dann zu den anderen beiden ins Wohnzimmer.