Tessa Koch

Wounded World


Скачать книгу

schütze Amerika …“, stammelt der Präsident und taumelt langsam rückwärts. Augenblicke später wankt eine Gestalt in das Bild, sie hat eine gräuliche Haut, wie die eines Toten, einer längst verwesten Leiche. Das marineblaue Kostüm ist zerrissen und hängt teilweise in Fetzen hinab, die Haut ist über und über mit Wunden übersät, das einst blonde Haar vom Blut verklebt. Als die Person weiter in das Bild taumelt, erkenne ich in ihr die Pressesprecherin des Weißen Hauses wieder.

      Erneut schießt der Soldat, die Kugel dringt in die Schulter der Frau ein. Ihr Oberkörper wird durch die Wucht nach hinten geschleudert, doch es reißt sie nicht um. Wenige Sekunden taumelt sie, sucht ihr Gleichgewicht. Dann richtet sie sich wieder zu ihrer vollen Größe auf und wankt weiter auf den Präsidenten zu. „Gott schütze Amerika!“, ruft dieser wieder aus, lauter dieses Mal.

      Der Soldat wirft sich auf die Frau und will sie aus dem Bild, fort von unserem Staatsoberhaupt schaffen. Ihre zu Klauen geformten Hände kratzen das Gesicht des Mannes blutig, er schreit auf, als sie im nächsten Moment ihre Zähne tief in seinem Hals versenkt und nur wenige Augenblicke später seinen Kehlkopf herausreißt. Der Mann sackt zu Boden, tot. Kurz blicken die milchig weißen Augen der Frau direkt in die Kamera, dann wendet sie sich wieder dem Präsidenten zu und taumelt langsam auf ihn zu, das rechte Bein leicht nachziehend. „Gott schütze Ameri-“

      Plötzlich ist das Bild blau.

      „Oh mein Gott!“ Clarissa ist auf den Beinen, sie hat mit beiden Händen ihren Kopf fest umfasst. „Oh mein Gott! Ich – habt ihr – was war das?“ Sie schreit, hoch, angsterfüllt, fassungslos. Auch ich spüre die Angst, sie kocht in mir hoch wie ein ausbrechender Vulkan. Ich kann nicht verstehen, was ich soeben gesehen habe, ich will nicht verstehen, was ich soeben gesehen habe, wieder gesehen habe. Denn nun weiß ich, dass auch die Bilder vor wenigen Stunden wahr gewesen sind und keine schrecklichen Auswüchse meiner Phantasie.

      „Ich weiß es nicht.“ Adam sitzt nach wie vor neben mir auf der Couch, die Augen weit aufgerissen. „Ich weiß es verdammt nochmal nicht!“

      Auch ich will etwas sagen, ich suche meine Stimme, suche passende Worte. Da ertönen wieder Schreie, dieses Mal direkt vor unseren Fenstern auf der Straße. Noch ehe ich wirklich einen Befehl an meine Beine gesendet habe, laufe ich bereits zu den breiten Fenstern und blicke hinaus auf die Straße. Das Wrack steht dort nach wie vor und blockiert die halbe Straße, wenige Meter entfernt ist der Polizeiwagen. Die Türen stehen offen, doch die Beamten scheinen nicht in der Nähe zu sein. Ich sehe Dutzende Menschen dort unten, viele haben Taschen und Koffer bei sich, strömen die Straße hinab. Instinktiv weiß ich, dass sie alle die Stadt verlassen wollen, dass sie auf dem Weg zum Interstate sind, hier nur raus wollen.

      Doch ich sehe auch die anderen. Unverkennbar durch diese gräuliche Haut, mit Wunden und Blut übersät, torkeln sie in der Menge umher, ungelenk, steif. Sie fallen über die Menschen her, wetzen ihre Zähne tief in deren Fleisch und reißen ganze Stücke aus ihnen heraus. Ihre Klauen zerkratzen, zerreißen die Haut, sie graben ihre Hände tief in die Körper, versuchen an die Gedärme zu gelangen. Ich sehe die Menschen schreien, weinen, flüchten. Teilweise versuchen sie auch sie zu töten, greifen sie mit Messern an. Eine Frau sehe ich sogar mit einer Bratpfanne auf eines dieser Wesen einschlagen. Doch egal wie sie sie auch verletzen, sie stehen immer wieder auf, die Messer vereinzelt noch in den Bäuchen.

      Unter den Monstern erkenne ich die Polizisten wieder, einer von ihnen stürzt sich auf ein junges Mädchen, entreißt es den Armen ihrer schreienden Mutter. Er wetzt seine Zähne immer und immer wieder in den kleinen Körper, reißt das Fleisch von den Knochen, frisst sie. Erst als die Mutter sich auf ihn stürzt, mit den bloßen Fäusten auf ihn einzuschlagen beginnt, lässt er von ihr ab und stürzt sich stattdessen auf die Frau. Die Finger graben sich tief in ihr Shirt, ihren Bauch. Ich sehe sie schreien, jegliche Farbe aus ihrem Gesicht weichen, als der Polizist ihre Bauchdecke aufreißt und über ihre Eingeweide herfällt.

      Ich wende mich abrupt ab und erbreche mich auf den Teppich von Clarissa. Mit den Händen auf den Oberschenkeln abgestützt ringe ich nach Luft, nach Fassung. Noch immer kann ich nicht glauben, was ich da eben gesehen habe, was dort unten geschieht. Es muss ein Traum sein, es kann nur ein Traum sein, sowas kann nicht geschehen. Menschen, die andere Menschen fressen, sie in Stücke zerreißen, töten.

      Clarissas Worte hallen in meinem Kopf wider. Also laufen da draußen Tote herum, wollt ihr mir das sagen? Die uns Menschen fressen wollen? Meint ihr, dass uns eine verdammte Zombie-Apokalypse bevorsteht? Das Bild der Mutter tritt mir wieder vor Augen, der Polizist, der über ihr kniet, ihre blutigen Eingeweide in den Händen hält und einfach frisst. Erneut erbreche ich mich.

      „Oh mein Gott … oh mein Gott … oh mein Gott ...“ Clarissa wiederholt diese Worte immer wieder, wie ein Singsang mischen sie sich unter die Schreie, die von der Straße unten zu uns hinauf dringen. Weder sie noch Adam haben Augen für mich und kommen mir zu Hilfe. Sie blicken nur weiterhin auf die Straße, das Schlachtfeld, das unter uns ist.

      „Seht!“, ruft Adam aus, deutet zitternd auf einen Punkt. Ich zwinge mich in eine aufrechte Position und folge seinem Finger. Er deutet auf das kleine Mädchen, von dem der Polizist abließ. Es ist zweifelsohne tot gewesen, auch ihr Brustkorb wurde zuvor von dem Beamten aufgerissen, ihr Innerstes freigelegt. Doch nun sehe ich, wie sie sich langsam, schwankend, auf die Beine kämpft, die Haut mit einem Mal fahl, die Augen milchig. Noch immer ist ihr Brustkorb geöffnet, ihr Hals und ihr Gesicht zerbissen und blutig. Und dennoch lebt sie, irgendwie.

      „Sie ist eine von ihnen geworden“, flüstere ich erstickt.

      „Oh mein Gott.“ Mit einem Mal erbricht auch Clarissa sich, mitten auf meine Schuhe. „Entschuldige, Eve“, keucht sie, während sie sich mit dem Handrücken über den Mund fährt.

      Ich ziehe meine Nase leicht kraus. „Schon okay. Das dürfte jetzt wirklich mein geringstes Problem sein.“

      „Sie ist eine von ihnen geworden“, wiederholt Adam leise, den Blick nach wie vor auf die Straße gerichtet. „Sie ist tot … Aber sie lebt. Wie – wie ein -“

      „- Zombie“, sage ich leise.

      „Ja.“ Er schweigt kurz. „Sagt mir, dass das ein Traum ist. Dass ich eingeschlafen bin und das alles nur träume.“

      Ich werfe ihm einen schnellen Blick von der Seite zu, dann hole ich weit aus und schlage ihm mit der flachen Hand einmal kräftig ins Gesicht. Er schreit nicht einmal auf, sondern sieht mich nur überrascht an. „Der Beweis, du träumst nicht. Außerdem wollte ich das schon seit Längerem machen.“ Er sieht mich nur weiterhin verwundert an. Dann fängt er auf einmal an zu lachen.

      „Bist du jetzt vollkommen durchgedreht?“ Clarissa ist noch immer sehr blass, Schweiß steht auf ihrer Stirn. „Dort draußen laufen … laufen verdammte Zombies rum, fallen über die Menschen her und du lachst?

      „Das ist es ja!“, lacht er. „Da draußen laufen verdammte Zombies rum! Das ist kein Film, das ist kein Kunstblut, das ist alles echt! Man, ich habe die Resident Evil Filme geliebt, ich habe das Game zu The Walking Dead bestimmt achtmal durchgespielt und jetzt laufen da draußen, vor unserer Wohnung, echte beschissene Zombies herum!“ Er lacht noch lauter. Clarissa und ich sehen uns an. Im nächsten Moment lassen auch wir unserer Hysterie freien Lauf und stimmen mit in sein Gelächter ein.

      „Echte beschissene Zombies!“, wiederhole ich und wir lachen noch lauter. Adam laufen Tränen über das Gesicht, Clarissas Wangen sind rot gefleckt. Im nächsten Moment dringt die ganze Tragweite meiner Worte zu mir durch. „Echte Zombies“, sage ich wieder, dieses Mal vollkommen ernst. „Leute.“ Ich strecke meine Hand aus und berühre Clarissa an der Schulter, damit sie sich beruhigt. „Leute, das ist echt. Es ist wirklich echt. Diese Dinger dort draußen fallen über eure Nachbarn her, über Bekannte, Freunde. Das ist kein verdammtes Spiel, kein Horrorfilm! Dort draußen sterben gerade Menschen.“

      Sie hören ebenfalls augenblicklich zu lachen auf. „Wir könnten die Nächsten sein.“

      „Ja.“ Ich blicke die beiden an. „Wir brauchen einen