Tessa Koch

Wounded World


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gehört.“

      „Wie bist du hierher gekommen?“ Ich blicke mich auf dem Dach um.

      „Ganz altmodisch über die Treppe. Ich dachte, dass von Dach-zu-Dach-springen überlasse ich dir, Blondie.“

      Meine Augenbrauen ziehen sich ärgerlich zusammen. „Und davor?“

      Er seufzt. „Bist du immer so?“

      „Ich versuche nur festzustellen, ob du gefährlich bist.“

      „Gefährlich?“ Er lacht auf. „Komm mal mit.“ Er dreht mir den Rücken zu und geht zu den Lüftungsschächten zurück. Ich zögere kurz, dann folge ich ihm, eine Hand zur Sicherheit auf dem Hammer. Als ich um die breiten Schächte herumgehe, sehe ich mehrere auf dem Boden ausgebreitete Decken. Auf ihnen ein Schlafsack, mehrere gestapelte Dosen, eine große Flasche Wasser und eine E-Gitarre. „Seit das alles begann, hause ich hier oben. Ich habe mich hinter den Schächten versteckt, weil ich mir nicht sicher war, ob du vielleicht gefährlich bist.“

      „Das bin ich ganz bestimmt nicht“, sage ich leise. „Sieht bequem aus“, füge ich dann hinzu.

      „Kein Fünf-Sterne-Hotel, aber es ist okay.“ Er wirft mir einen schnellen Blick zu. „Du hast ganz schön viel Blut im Gesicht, Blondie, diesen furchtbaren Verband um deine Hand, fliegst einfach so über Dächer … Noch mehr Gründe, weswegen ich mich lieber erstmal vor dir versteckt habe.“

      Sofort fasse ich mir ins Gesicht. „Ja, ich habe eines von diesen … diesen Dingern im Treppenhaus erledigt.“ Mein Blick fällt auf meine bandagierte Hand, der Verband ist dreckig und sie pocht unangenehm, jetzt wo ich wieder an die Verletzung denke.

      „Du hast einen Parasiten getötet? Nicht schlecht.“

      „Parasiten? So nennst du sie?“

      „Ja.“ Mit einem leisen Schnauben setzt er sich auf die Decken und bietet auch mir einen Platz an. Ich setze mich ebenfalls. „In der Rede vom Präsidenten sprach er von einem Virus, der die Menschen so werden lässt. Rw-irgendwas. Deswegen Parasiten.“

      Ich muss tatsächlich kurz lachen. „Gefällt mir.“

      „Und mir gefällt, dass du lachen kannst, Blondie.“ Er legt den Kopf leicht schief.

      „Eve Baker“, sage ich. Ich habe beschlossen, dass ich ihm trauen kann. „Das ist mir irgendwie lieber als Blondie.“

      „Alles klar. Blondie gefällt mir aber auch“, grinst er und nickt zu meinem hellen Schopf.

      Ich erwidere sein Grinsen. „Und wie sieht dein Plan aus, Liam? Dich hier oben auf dem Dach häuslich einrichten und hoffen, dass diese Invasion irgendwie vorübergeht?“

      „Oh, ganz sicher nicht. Bis dahin würde ich hier oben wahrscheinlich verhungern.“ Er seufzt, schaut mit zusammen gezogenen Brauen auf seine Hände. „Ich will hier raus. Irgendwohin, wo keine Parasiten sind, wo man leben kann, ohne Angst haben zu müssen.“ Er schweigt kurz. „Und du?“

      „Ich auch.“ Ich blicke über die vielen Dächer Washingtons, male mir aus, wie viele Parasiten inzwischen unter diesen sein müssen. „Das war von Anfang an der Plan, doch dann kam das.“ Ich sehe wieder zu Liam und deute auf meine Stirn. „Als das alles begann, war ich gerade bei meinem Ex-Freund und seiner bescheuerten neuen Freundin. Ich wollte nur ein paar Sachen zu ihm bringen und auf einmal war ich in ihrer Wohnung gefangen.“ Ich seufze schwer. „Wir wollten uns einen Wagen holen und raus aus Washington. Doch Clarissa hat mich niedergeschlagen, diese verlogene, kleine -“ Ich unterbreche mich. „Als ich zu mir kam, war ich in einer fremden Wohnung eingeschlossen und konnte nur noch durch das Fenster verschwinden.“

      „Was im Übrigen sehr beeindruckend war.“ Er lächelt schwach.

      „Danke.“ Auch ich muss lächeln.

      „Diese Clarissa … Hatte sie schwarze Haare?“

      „Ja.“ Meine Augen weiten sich verwundert. „Woher weißt du das? Hast du sie gesehen?“

      „Ich habe gestern zwei Leute beobachtet. Sie haben einen Jeep beladen und sind dann abgehauen. Der Wagen hatte ein bescheuertes In god we trust hinten drauf. Sag mir mal, wo der Penner ist, während die Menschheit gerade zu Grunde geht.“

      „Gestern? Oh scheiße.“ Ich vergrabe das Gesicht in den Händen. Immerhin weiß ich nun, wie viel Zeit ich verloren habe, wie viel Vorsprung Adam und Clarissa haben. Vorausgesetzt … „Weißt du, ob sie es geschafft haben?“ Ich linse zwischen meinen Fingern zu Liam durch.

      „Soweit ich es beurteilen kann, ja. Sie haben einige von den Parasiten übergemäht und sind dann Richtung Interstate 395 gefahren.“

      „Ich habe ihm doch gesagt, dass er nicht den verdammten Interstate nehmen soll. Der wird bestimmt total verstopft sein!“

      „Davon kannst du ausgehen.“ Liam mustert mich. „Ich halte es eh für gefährlich die Straßen zu nutzen. Da unten sind Tausende Parasiten, alle nur auf eine köstliche Mahlzeit aus. Und du scheinst mir ein besonderes Sahneschnittchen zu sein. Nein, am sichersten wird es wohl sein, wenn man sich durch die Kanalisation einen Weg nach draußen bahnt.“

      „Das habe ich ihnen auch vorgeschlagen!“ Als ich seine amüsierte Miene sehe, räuspere ich mich. „Äh, ich meine, als wir diskutiert haben, wie man hier am besten rauskommt, hatte ich denselben Gedanken.“ Ich versuche gleichgültig zu wirken, cool. Doch ich spüre bereits, wie ich rot werde.

      „Weil du nämlich alles andere als blöd bist. Und du hast schon welche von den Parasiten erledigt, ich wusste gleich, dass es ´ne gute Idee ist, dich anzusprechen.“

      „Kann sein.“ Ich werde noch etwas röter. „Was ist denn deine Geschichte?“

      „Meine Geschichte?“ Er sieht mich fragend an. Leicht überrascht stelle ich fest, dass er nicht hässlich ist. Seine braunen Haare sind kurz und stehen leicht ab, er hat interessante graue Augen und ein markantes Gesicht. Der Dreitagebart lässt ihn beinahe gefährlich aussehen.

      „Naja.“ Ich deute auf sein provisorisches Lager. „Ich gehe mal stark davon aus, dass du hier vorher noch nicht gehaust hast, oder?“

      Er lacht auf. „Nein, das habe ich tatsächlich nicht. Ich komme aus New York, weißt du? Ich hatte hier ein Vorstellungsgespräch und auf dem Hinweg … tja, da ist der Zug entgleist.“

      Meine Augen weiten sich. „Ich habe es in den Nachrichten gesehen, schrecklich.“

      „Ja.“ Wieder ziehen sich seine Brauen zusammen. „Ich war im letzten Wagon, als die Durchsage kam, es sei etwas auf den Schienen. Inzwischen glaube ich, dass es die ersten Parasiten waren. Naja, wie dem auch sei, weil ich so weit hinten war, bin ich nochmal mit dem Schrecken davongekommen. Doch es waren so unendlich viele Tote und Verletzte überall … Und auf einmal standen die Toten wieder auf und fielen über den Rest her.“

      Er schweigt kurz. „Ich bin abgehauen, so wie alle, die es noch konnten. Als ich zurück in mein Hotel kam, um meine Sachen zu holen, hörte ich von den anderen Unfällen. Ich blieb bis zur Rede des Präsidenten … Du weißt ja, wie sie ausging. Ich bin raus auf die Straße, wollte so schnell wie möglich zum Flughafen. Dann sah ich die ganzen Parasiten, wie sie die Menschen anfielen, sie töteten und diese wiederum zu neuen Parasiten wurden … Nur ein kompletter Vollidiot hätte da noch versucht, sich ganz bis zum Flughafen durchzuschlagen. Ich bin in das nächstbeste Haus geflüchtet und et voila –“ Er breitet einladend die Arme aus „– das ist das Ergebnis meiner wilden Reise. Eine kuschelige Freiluft-Bleibe.“

      Ich muss ungewollt kichern. „So schlecht hast du es hier oben eigentlich gar nicht.“

      „Nö, mir ist nur jetzt schon das Essen ausgegangen.“ Er deutet auf die leeren Dosen.

      Sie erinnern mich an etwas. „Da kann ich dir helfen.“ Ich lasse den Rucksack von meinen Schultern gleiten und ziehe den Reißverschluss auf. „Köstliche Dosen-Ravioli“, sage ich, als ich die Dosen herausziehe.