Tessa Koch

Wounded World


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„Vielleicht so fünf bis zehn Minuten?“

      „Würde ich auch sagen.“ Er setzt seinen Rucksack ab und lässt sich dann neben ihm auf dem Boden nieder. „Mach’s dir bequem, Blondie, ein Weilchen dauert’s ja noch.“

      „Du sollst mich nicht so nennen.“ Dennoch setze ich mich zu ihm. Er grinst mich nur spitzbübisch an. Ich verdrehe kurz die Augen. „Hast du einen Plan, wie wir uns in der Kanalisation zurecht finden sollen?“

      „Naja, wir sind nicht weit vom Potomac River entfernt, wenn wir uns in südwestlicher Richtung halten, können wir nichts verkehrt machen.“

      „Und woher wissen wir, dass wir in südwestliche Richtung gehen?“ Liam zieht einen Kompass aus seiner Gesäßtasche und grinst mich an. „Natürlich hast du einen Kompass dabei“, sage ich und schüttele leicht fassungslos den Kopf. „Du scheinst gut auf eine Zombie-Apokalypse vorbereitet zu sein.“

      Er lacht leise. „Man muss immer auf einen Ausnahmezustand vorbereitet sein.“

      „Ja genau, deswegen hatte ich auch Deo, mein Handy und Pfefferminzbonbons dabei, als ich gestern meine Wohnung verließ.“ Er blickt mich amüsiert an. „Was schaust du denn so? Während du uns den Weg durch die Kanalisation bahnst, sorge ich dafür, dass wir hinterher nicht allzu übel riechen.“

      Sein stummes Lachen schüttelt ihn. „Du bist mir eine, verdammt nochmal.“

      „Ich weiß, du bist froh mich zu haben.“

      „Und wie.“ Dieses Mal lächelt er nicht, sieht mir nur fest in die Augen.

      Nach wenigen Sekunden senke ich den Blick. „Ich glaube, die Luft ist langsam rein.“

      „Du hast recht.“ Er erhebt sich und setzt sich den Rucksack wieder auf. Dann drückt er auf die Taste, die die Fahrstuhltüren wieder aufgleiten lässt, und nimmt seine Gitarre in die Hand. Kurz mustert er sie eingehend. „Keine Kratzer, dein Glück.“ Er verlässt mir voran den Fahrstuhl und schleicht auf die Tür zu. Er blickt auf die Straße und auch ich schaue über seine Schulter nach draußen. Sie liegt ruhig und verlassen vor uns, rechts kann ich den Strom der Parasiten sehen, der dem Geheul des Streifenwagens folgt, das sich noch immer von uns entfernt. „Dann mal los.“

      Liam zieht die Tür auf und tritt nach draußen. Sofort schlägt er die entgegengesetzte Richtung zu den Untoten ein und biegt in die erste Gasse zu unserer Linken. Es ist die, über die ich waghalsig gesprungen bin, die zerschmetterten Toten liegen noch immer dort. Liam schleicht weiter, direkt auf einen Gullideckel zu, der am Ende der Gasse ist. Er geht gerade an den breiten Mülltonnen vorbei, als ich ein leises Ächzen höre. Plötzlich greift eine tote Hand nach Liams Knöchel und bringt ihn zu Fall. Ich sehe ihn hart mit dem Kinn auf dem Teer aufschlagen, seine Glock schlittert über den Boden. Eine weitere Hand fasst sein Bein, ich sehe den Toten, der sich schwer über den Boden zu Liam zieht. Seine Beine fehlen, eine Blutspur zeigt seinen Weg zu den Mülltonnen, hinter denen er gelehnt hat. Der Untote erinnert mich an den Jungen von dem Unfall, dem einer der Beamten mitten ins Gesicht geschossen hat. Die Zähne des Parasiten sind nur Zentimeter von Liams Bein entfernt, als ich nach vorne stürze und den Hammer tief in seinem Kopf versenke. Wieder spritzt mir Blut ins Gesicht, auch Liam bekommt welches ab. Der Junge sackt zusammen, endgültig tot.

      „Danke.“ Liam keucht schwer und sieht zu mir mit weit aufgerissenen Augen auf.

      „Kein Problem.“ Ich halte ihm meine Hand hin und ziehe ihn schnell auf die Beine. „Wir sollten echt von hier verschwinden.“

      „Ja.“ Er wirkt noch immer geschockt, doch er ist schon wieder so weit bei sich, dass er seine Glock einsammelt und weiter auf den Gulli zugeht. „Darf ich mir den mal leihen?“, fragt er und deutet auf meinen Hammer.

      „Sei aber vorsichtig, mit dem töte ich am liebsten.“

      Er lächelt halbherzig über meinen Scherz, dann schiebt er die Finne in eines der Löcher und hebt den Deckel an. Er zieht ihn wenige Meter weit, dann reicht er mir den Hammer zurück. „Bereit?“, fragt er und sieht mich prüfend an.

      Ich blicke in die Dunkelheit unter uns. „Kann’s gar nicht erwarten.“

      „Sehr schön.“ Er lässt einen der Träger von seiner Schulter gleiten und zieht den Rucksack nach vorne. Kurz sucht er in einem vorderen Reißverschlussfach, dann holt er zwei Taschenlampen zum Vorschein. Er reicht mir eine. „Lass uns gehen.“ Er zieht seinen Rucksack fest und klemmt sich die Gitarre wieder unter den Arm. Dann steigt er mir voran die Leiter hinab.

      Ein leises Seufzen entfährt mir, als ich ihm hinterher sehe. Mein Herzschlag beschleunigt sich etwas, ich muss mir eingestehen, dass ich Angst habe. Dann schalte ich meine Taschenlampe ein und nehme sie fest zwischen die Zähne, während ich meine Füße auf die Sprossen setze. Ich atme ein letztes Mal tief die frische Luft ein, ehe ich Liam hinab folge. „Oh mein Gott!“, stoße ich hervor, nachdem ich die Lampe aus meinem Mund genommen habe. Mit der anderen Hand halte ich mir fest die Nase zu.

      „Was hast du erwartet?“ Sein Grinsen wirkt nicht ganz so schelmisch wie zuvor. „Da wird uns dein Deo auch nicht weiterhelfen, was?“

      „Kein Deo dieser Welt könnte das bekämpfen.“

      Er lacht, während er auf seinen Kompass leuchtet. „Wir müssen hier lang.“ Er deutet nach rechts. „Du hast keine Angst vor Ratten, oder?“

      „Ich habe Angst vor übel riechenden Kanalisationen“, erwidere ich dumpf und nehme die Hand von der Nase.

      „Wird Zeit, die Phobie zu bekämpfen.“

      „Juhu.“

      Er grinst, natürlich tut er es. „Lass uns gehen.“

      Wir waten langsam durch das knöchelhohe Wasser und ich versuche mir nicht vorzustellen, was da alles um meine Füße herum schwimmt. Zum ersten Mal, seit das alles begonnen hat, bin ich froh, dass ich meine hohen Lederboots angezogen habe und mir das Brackwasser so nicht in die Schuhe laufen kann. Der Schein unserer Taschenlampen durchschneidet die Schwärze und tatsächlich sehe ich hier und da eine Ratte entlang laufen. Doch nach allem, was ich in den letzten Stunden gesehen habe, weiß ich, dass eine Ratte das letzte ist, wovor ich mich fürchten muss.

      „Also“, setze ich an, nachdem wir eine ganze Weile schweigend nebeneinander hergelaufen sind. „Du warst bei der Army?“

      Er sieht mich überrascht an. „Woher weißt du das?“

      „Man muss kein Genie sein, um das rauszukriegen. Du kannst mit ´ner Glock umgehen, hast noch Ansätze dieses typischen Haarschnitts, weißt, wie man ein Auto kurzschließt und der tarnfarbende Militärrucksack erschien mir auch sehr verdächtig.“

      „Ja, der Rucksack macht’s“, stimmt er mir zu und ich lache. Dann seufzt er. „Ja, ich war im Fort Meade in Maryland stationiert. Ich hatte mich für fünf Jahre verpflichtet und mein Vertrag lief vor einem Monat aus.“ Er lacht auf. „Kurz bevor das alles hier passiert ist, das nennt man wohl Glück im Unglück, was?“

      „Und deswegen das Vorstellungsgespräch hier? Von dem du vorhin erzählt hast?“

      „Naja.“ Tatsächlich wird Liam leicht rot. „Ich wollte nicht mein Leben lang bei der Army bleiben, ich habe es mehr meinem Vater zu liebe getan. Ich dachte … naja.“ Er hebt seine Gitarre leicht an. „Ich hatte ein … Vorsingen.“

      Überrascht sehe ich ihn an. „Cool“, sage ich dann und lächle breit, als er mich ungläubig anblickt. „Nein, wirklich, ich meine es ernst. Ich singe auch gerne, allerdings nur unter der Dusche. Und irgendwie auch sehr falsch und sehr schief.“

      Liam fängt an zu lachen. „Man, Blondie, in deiner Nähe kann man sich gar nicht unwohl fühlen, was?“

      Ich nestele an meinem Gürtel herum. „Weiß nicht, ich glaube, dass ich oft nerve.“

      „Also mich nicht.“ Er grinst. „Was ist denn deine Geschichte?“

      „Hm?“ Gerade bin ich mit dem Strahl meiner