Tessa Koch

Wounded World


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als einer der ihren. Als sie mich sieht, beginnt sie zu fauchen, ihre Hände nach mir auszustrecken. Sie ist zu schwach, um aufzustehen, mich tatsächlich anzugreifen. Langsam nähere ich mich der Badewanne und betrachte die junge Frau. „Es tut mir so leid“, flüstere ich, als ich in ihre milchigen leeren Augen blicke. „Das alles tut mir so unendlich leid.“

      Dann schlage ich ihr mit dem Hammer den Schädel ein. Sie sackt zusammen, nun für immer fort. Mir rutscht der Hammer aus den Fingern und ich sinke erschöpft neben dem toten Mädchen auf die Knie. „Es ist nicht deine Schuld.“ Ich blicke über die Schulter und sehe Liam mit bekümmerter Miene im Türrahmen stehen.

      „Es ist einfach nur furchtbar“, flüstere ich. „Vor ein paar Tagen ist alles noch normal gewesen. Sie alle haben noch gelebt, waren Menschen. Und nun töten wir sie.“ Ich blicke wieder auf das tote Mädchen. „Eben war ich in einem Kinderzimmer. Es kann nicht ihres gewesen sein, es waren Spielsachen für ein kleines Mädchen dort, nicht älter als sechs.“ Wieder schweige ich kurz. „Vielleicht hat sie ihre ganze Familie verloren und keinen anderen Ausweg mehr gesehen.“

      Liam legt seine Hand auf meine Schulter. „Du hast sie erlöst.“ Ich sehe zu ihm auf. „Sie alle werden von uns erlöst. Das, was wir da draußen sehen, sind keine Menschen mehr. Sie haben nicht mehr diese Empfindungen und Gedanken, die wir haben. Sie sind nicht mehr, verstehst du?“ Er sieht mich ernst an. Ich denke über seine Worte nach, das, was ich selber erlebt habe. Wieder fällt mein Blick auf das tote Mädchen, ihre graue Haut, ihre milchigen Augen. Sie wollte mich angreifen, sie wollte das Fleisch von meinen Knochen reißen, weil für sie nichts anderes mehr gezählt hat als ihr Hunger, ihr Verlangen nach Blut und Fleisch. Liam hat recht, sie sind nicht mehr die Menschen, die sie einmal waren, auf die dieses Haus schließen lässt. Sie sind nichts weiter als niedere Wesen, reduziert auf einen einzigen, ewigen Trieb.

      „Lass uns aus diesem Raum verschwinden, ja? Ich halte es hier drin nicht mehr aus.“

      „Klar. Ich habe ohnehin noch ein anderes Bad gefunden, es grenzt an das Elternschlafzimmer.“ Liam führt mich aus dem Raum und zieht die Tür hinter uns fest zu. „Es ist direkt gegenüber der Treppe.“ Wir betreten das Schlafzimmer, Liam schließt die Tür hinter uns und setzt dann unsere Rucksäcke ab. „Wie konntest du die soweit tragen? Die sind unglaublich schwer.“

      Kaum dass er es erwähnt, beginnen meine Schultern wieder zu schmerzen. „Keine Ahnung“, sage ich und setze mich auf das Bett. „Es wundert mich, dass ich mich überhaupt noch bewegen kann. Mir tut alles weh. Und ich bin einfach nur müde.“ Ich lasse mich nach hinten fallen und starre an die Decke, die Füße noch auf dem Boden.

      „Ich auch.“ Liam legt sich neben mich, starrt ebenfalls an die Decke. „Wir sollten uns auch auf jeden Fall ausruhen, ehe wir weiterreisen.“

      „Und wir brauchen ein Auto.“ Mit den Augen folge ich einer Fliege, die unter der Decke umherschwirrt. „Am besten ein großes. Wir durchsuchen die Häuser, sammeln Essen, Medikamente, alles was wir so brauchen, ein und machen uns dann auf den Weg nach Arkansas.“

      „Halten nur an, wenn wir Benzin brauchen.“

      „Oder uns das Essen ausgeht.“

      Liam wendet sich mir zu. „Das klingt nach einem ziemlich guten Plan.“ Ich lächle ihm schwach zu. „Und weißt du das?“ Ich ziehe meine Brauen fragend hoch und nun lächelt auch er. „Wir haben es tatsächlich geschafft. Du hast uns aus diesem verdammten, verseuchten Nest raus geschafft, Blondie.“

      „Wir haben es beide geschafft“, verbessere ich ihn. „Ich wäre in der Kanalisation nämlich fast gefressen worden.“

      „Und ich in der Gasse, noch bevor wir überhaupt unter der Erde waren.“ Wir schweigen beide kurz. „Dachtest du eigentlich, ich würde dich zurücklassen als ich los gelaufen bin, um meine Gitarre zu holen?“, fragt er mich nach wenigen Sekunden der Stille.

      „Ganz ehrlich?“ Ich sehe ihn an, in seine grauen Augen. Aus der Nähe sehe ich die braunen Sprenkel, die sich um seine Pupille ziehen. „Ja, ich dachte es wirklich. Aber ich bin dir nicht böse gewesen.“

      Er seufzt leise, beinahe unglücklich. „Dann merk dir ab sofort eins: Ich werde dich nicht zurücklassen, niemals, und wenn wir am Ende beide bei draufgehen.“

      „Dito.“ Wir grinsen uns an, auch wenn uns der Ernst unseres Gespräches bewusst ist. Langsam komme ich zur Ruhe, merke wie mein Puls sich wieder normalisiert, das Adrenalin in meinen Adern abklingt. Nun, wo es nicht mehr um unser Leben geht, wir nicht mehr fliehen müssen, fällt mir auch etwas anderes auf. „Wir stinken.“

      Ich ziehe die Nase kraus und Liam beginnt zu lachen. „Wir sind durch die Kanalisation gekrochen, kilometerweit gerannt und haben hier und da einen Parasiten getötet. Wenn wir nicht stinken würden, wäre eindeutig etwas falsch gelaufen.“

      „Kann schon sein“, stimme ich ihm zu und setze mich auf. „Aber jetzt, wo wir in einem Raum sind, in dem es nicht stinkt, fängt es an mich zu stören.“ Ich sehe mich in dem Schlafzimmer um und sehe den breiten Kleiderschrank gegenüber dem Bett. Langsam rappele ich mich auf und gehe auf ihn zu. „Wird Zeit, für einen Tapetenwechsel.“ Ich ziehe die Schranktüren auf und sehe die fein eingestapelten Klamotten durch. „Hier.“ Ich werfe Liam ein weißes Hemd und eine dunkle Jeans zu. „Das dürfte dir eigentlich passen.“

      Er fängt die Sachen auf und seufzt dann theatralisch. „Die Welt geht unter und dennoch habe ich eine herrische Frau hinter mir, die meine Klamotten aussucht.“

      Ich muss lachen, während ich die Kleidung der fremden Frau durchsehe. „Wer hat dir denn früher deine Sachen rausgesucht? Deine Freundin?“ Ich versuche es beiläufig klingen zu lassen, falte ein Oberteil auseinander und halte es mir probehalber vor den Brustkorb.

      „Nein, meine Mutter. Zumindest als ich noch zu Hause gewohnt habe. Die letzten Jahre habe ich es dann alleine bewerkstelligt, irgendwie.“ Er tritt zu mir an den Schrank, beginnt nun ebenfalls die Klamotten durchzusehen.

      „Aha.“ Ich falte das Oberteil wieder zusammen und lege es zurück, nehme mir ein anderes.

      „Ja.“ Auch er betrachtet ein Hemd eingehend. „Die Richtige war halt noch nicht dabei. Seit Jahren.“ Er wirft mir einen schnellen Blick zu und sieht dann wieder auf sein Hemd. „Bei dir scheint sie ja auch noch nicht allzu erfolgreich gewesen zu sein, was? Die Partnersuche?“

      Ich verziehe leicht das Gesicht, als ich an Adam denke. Und an Clarissa. „Könnte man wohl so sagen. Von der neuen Flamme seines Ex-Freundes niedergeschlagen zu werden, würde ich nicht unbedingt als erfolgreich bezeichnen.“

      „Oder du hast grade alles richtig gemacht.“

      Ich muss lachen. „Oder so. Okay“, sage ich dann. Wir haben genug unsere Fühlerchen nacheinander ausgestreckt. „Ich glaube, dass ich mal duschen werde. Solange es noch fließendes Wasser gibt.“ Meine Stirn legt sich in leichte Falten, als ich darüber nachdenke.

      „Ich warte hier brav.“ Liam geht zurück zum Bett und setzt sich neben die Sachen, die ich für ihn ausgesucht habe. Er verschränkt die Hände miteinander und sieht mich wie ein aufmerksamer Schüler an.

      Über seine Miene muss ich grinsen. „Auch besser für dich.“ Ich löse den Waffengürtel von meinen Hüften und werfe ihn neben ihm auf das Bett. „Ich kann mich nämlich auch wunderbar ohne Waffen zur Wehr setzen.“

      „Nach allem, was ich in den letzten sechs Stunden gesehen habe, möchte ich das nicht bestreiten.“ Sein Lachen folgt mir in das Bad. Kurz überlege ich die Tür zu verschließen, entscheide mich dann aber dagegen. Ich vertraue Liam, auch wenn wir uns erst seit wenigen Stunden kennen. Außerdem muss man nun immer damit rechnen, im Notfall schnell weiterziehen zu können. Türschlösser können dabei durchaus hinderlich sein.

      Ich lege die neuen Klamotten auf die geschlossene Toilette und bin dankbar, als ich mich meiner verdreckten und verschwitzten Kleidung entledigen kann. Es dauert etwas, bis ich meinen Zopf gelöst und meine Haare entknotet habe, doch dann steige ich in die Dusche, schließe