Tessa Koch

Wounded World


Скачать книгу

zu lassen, wäre ihr Todesurteil, wir alle wissen es. Doch ich kann noch immer nicht vergessen, dass sie mich zurückgelassen haben, dass Clarissa mich töten wollte. Und dass Adam ihr, obwohl er nun die Wahrheit kennt, verzeiht, nach wie vor zu ihr hält.

      Ich frage mich, was es zu bedeuten hat, dass mir das noch immer etwas ausmacht. Liebe ich Adam noch immer? Trotz allem, was geschehen ist? Weswegen sonst hätte ich Liam dazu zwingen sollen, anzuhalten und mit mir das Wrack zu untersuchen? Wieso sonst sollte es mich so treffen, dass er zu Clarissa und nicht zu mir hält? Und falls ich noch immer Gefühle für ihn habe, wieso sollte ich ihn dann mitnehmen? In meiner Nähe haben wollen? Um mir selbst unnötig wehzutun?

      „Aber du bist kein Monster“, sagt Liam sanft. „Denke an den Jungen auf dem Interstate. Das Mädchen in der Badewanne. Du – wir sind nie davongelaufen, wir haben immer unser Möglichstes getan, Kleines.“ Seine Hand drückt meine fest, ich sehe in seine grauen Augen und vergesse Adam und Clarissa für einen Moment. Es gibt nur ihn und mich und niemanden sonst.

      Da verstehe ich, dass ich mir keine Sorgen wegen Adam machen muss und den Gefühlen, die da einmal gewesen sind. Denn nun sind sie alle fort, gemeinsam mit meinem alten Leben. Ich seufze leise, lächle dann schwach. „Du hast immer recht, was?“

      Liam erwidert mein Lächeln. „Meistens, ja.“ Dann sieht er zu den anderen beiden. „Ihr könnt mit uns kommen, wenn ihr wollt. Wir haben einen Transporter und parken an der Straße. Dort ist auch der Rest unserer Gruppe.“

      „Ihr seid noch mehr?“ Adams Augen weiten sich leicht.

      „Ja.“ Ich sehe ihn an. „Wir haben vor ein paar Tagen ein junges Mädchen, Lexi, und eine ältere Dame, Marsha, aufgegriffen. Und ihren Hund Bender natürlich.“ Adam und Clarissa sehen überrascht aus. „Sie kommen mit uns nach Arkansas.“

      „Arkansas?“ Clarissa sieht mich nur kurz an, senkt ihren Blick dann wieder.

      „Meine Familie lebt dort“, erklärt Liam. „Wir wollen zu ihr.“

      „Nach Arkansas?“ Clarissa zieht ihre Nase leicht kraus. „Wirklich?“

      Meine Arme verschränken sich wieder vor meiner Brust. „Ihr könnt auch gerne hier bleiben.“

      „Nein, nein!“, fährt Adam eilig dazwischen. „Wir kommen gerne erstmal mit, wirklich.“ Er wirft Clarissa einen warnenden Blick zu. „Ob wir ganz bis nach Arkansas mitkommen, kann ich noch nicht sagen, aber wir begleiten euch gerne ein Stück.“

      „Na super, dann lasst uns mal gehen.“ Liam wirft Clarissa einen eisigen Blick zu, dann zieht er mich sanft hinter sich her, den Weg zurück, den wir gekommen sind. Ich höre Clarissa leise ächzen, als Adam ihr aufhilft, und sie uns dann leise folgen.

      Nach wenigen Minuten kommen die Straße und unser Transporter in Sicht. Ich sehe Lexi mit dem Revolver in der Hand, Marsha ist mit Bender an der Leine am gegenüberliegenden Waldrand. Als Lexi unsere Schritte hört, richtet sie den Revolver auf die Bäume, hat ihn mit beiden Händen sicher und fest umfasst. „Wir sind es, Lexi“, rufe ich durch die Bäume.

      „Gott sei Dank“, ruft sie zurück, als wir zwischen den Bäumen hervorkommen. „Ihr wart ganz schön lange weg, ich dachte schon, dass ich euch hinterher muss.“ Sie lässt den Revolver mit einem erleichterten Lächeln sinken. „Ich hätt’s gemacht, wirklich. Um nach euch zu suchen. Aber ich hatte schon etwas Bammel davor.“

      Lächelnd gehe ich auf sie zu. „Du hättest es geschafft, das weiß ich.“ Mein Blick gleitet suchend über die Straße und Bäume. „War alles ruhig hier?“

      „Ja, wir scheinen hier ganz sicher zu sein. Wer sind die?“, fragt sie dann, den Blick auf etwas hinter mir gerichtet. Ich sehe, dass sich ihre Hand wieder fester um den Revolver schließt, und ich muss kurz grinsen.

      „Das sind Adam und Clarissa“, antworte ich, ohne mich umzudrehen.

      „Etwa die …?“, setzt Lexi an, ihre Augen weiten sich etwas.

      Nun drehe ich mich doch zu Adam und Clarissa um, seufze leise. „Jip, das sind die beiden, die mich in Washington zurückgelassen haben. Sie werden uns ein kleines Stück begleiten.“ Ich deute auf das Wrack. „Ihr eigener Wagen ist nicht mehr wirklich fahrtüchtig.“

      „Sie kommen mit uns?“ Lexi sieht mich an. „Findest du das okay?“, fragt sie dann Liam.

      Er sieht mich kurz an. „Um ehrlich zu sein, war es meine Idee. Blondie wollte sie nämlich zurücklassen.“ Lexis Brauen ziehen sich verwundert zusammen. Zu Beginn habe ich unbedingt nach ihnen sehen wollen, Liam war dagegen. Dass ich nun gegen ihr Mitkommen bin, Liam hingegen dafür, muss für sie sehr verwirrend sein.

      „Ist doch toll, je mehr wir sind, desto lustiger wird es.“ Marsha kommt zu uns herüber, ihre Augen mustern Adam und Clarissa eingehend. „Ich bin Marsha und das ist mein Hund Bender. Und diese hübsche junge Dame ist Lexi“, fügt sie mit einem Blick zu ihr hinzu.

      „Freut mich“, sagt Adam, besieht dann unseren Transporter. „Damit seid ihr unterwegs?“

      „Ja.“ Liam tritt zu Lexi, Marsha und mir. Wir stehen den anderen beiden als eine Front gegenüber. „Bis jetzt hat er uns gute Dienste geleistet.“

      „Ein tolles Gefährt“, stimmt Marsha glucksend zu. „Wir haben genügend Platz und können uns sicher fortbewegen. Apropos“, sagt sie dann, schaut zu Liam und mir, „wir sollten langsam weiterfahren, es wird bald dunkel. Da möchte ich nicht unbedingt hier draußen sein.“

      „Nein, ich auch nicht.“ Liam sieht zu Adam und Clarissa. „Blondie und ich haben uns bisher immer mit dem Fahren abgewechselt, weil Lexi noch keinen Führerschein hat und Marsha … äh, Marsha ist -“

      „- zu alt“, beendet sie seinen Satz. „Sag ruhig, wie es ist, Jungchen.“

      Liam muss grinsen. „Na schön, sie ist zu alt. Auf jeden Fall haben wir so bisher einige Meilen zurückgelegt, aber es ist auf Dauer sehr anstrengend.“ Er wirft mir einen Blick zu und ich weiß, dass er sich Sorgen um mich macht. Die letzten Tage bin ich immer nachts gefahren, habe tagsüber dennoch kaum geschlafen. Das Gerede der anderen, die Stopps, die wir nur im Hellen einlegen, und die Angst, in entscheidenden Momenten nicht wach zu sein, lassen mich nur sehr selten Schlaf finden. „Es wäre daher schön, wenn ihr uns die ein oder andere Fahrt abnehmen könntet. Ihr beide könnt doch Autofahren, oder?“

      „Ja, klar.“ Adam sieht kurz zu dem zerstörten Jeep. „Wenn nicht gerade eine Herde Untoter auf den Straßen unterwegs ist.“

      „Eine Herde sagst du?“ Sofort legt sich meine Hand auf die Glock.

      „Ja, es waren mindestens fünfzehn. Sie kamen einfach aus dem Wald, wir hatten keine Chance ihnen auszuweichen und haben dann einen erwischt.“ Er deutet auf den toten Parasiten unter den Rädern. „Der Großteil ist einfach weiter, doch ein paar haben sich um unser Auto gescharrt. Ich musste sie nach und nach erschießen, wir haben ihre Kadaver dann um unser Zelt gelegt, um weitere fernzuhalten. Ich habe unsere gesamte Munition verschossen.“

      Mein Blick schweift über die Bäume. „Also sind hier immer noch einige Parasiten unterwegs.“

      Auch Liams Hand legt sich um seine Waffe. „Lasst uns am besten erstmal weiterfahren, wir können unterwegs alle Fragen klären und Geschichten austauschen.“ Er sieht Clarissa und Adam an. „Ihr geht erstmal nach hinten zu Lexi, Marsha und Bender.“

      „Ich will nicht hinten auf irgendeiner schmutzigen Ladefläche hocken. Ich sitze vorne.“ Clarissa stemmt ihre Hände in die Hüften.

      „Entweder du setzt dich mit nach hinten, wo es sauber und auch sehr bequem ist, oder du musst laufen.“ Ich lächle zuckersüß.

      Sie funkelt mich an. „Als ob du mir sagen könntest, was ich -“

      „Wir gehen nach hinten“, unterbricht Adam Clarissa eilig, legt seinen Arm um ihre Schultern. „Komm schon, Baby, reiß dich mal etwas zusammen.“