Tessa Koch

Wounded World


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mich nie getraut sie so einfach zu töten.“ Sie sieht mit großen, unschuldigen Augen zu mir auf.

      „Es ist auch nicht einfach“, erwidere ich. „Wenn du es einfach so könntest, von Anfang an, dann wäre irgendetwas nicht richtig mit dir.“ Liam lacht leise neben mir. „Aber wenn es um dein Überleben geht, du gesehen hast, was sie tun, sobald sie einen Menschen in ihre Finger bekommen … Dann schaffst du es auch. Der erste Parasit, den ich tötete, fiel Adam damals an. Hätte ich ihm nicht den Schädel eingeschlagen, hätte er ihn gefressen. Und wenn man nur diese beiden Optionen hat, entscheidet man sich lieber für das eigene Leben und das der Freunde.“

      Liams und mein Blick treffen sich, wir sehen uns in tiefem Verständnis füreinander an. Wir beide haben getötet, sowohl Parasiten als auch lebende Menschen. Doch wir töteten jedes einzelne Mal, um unser Überleben zu sichern. Wir retteten einander, halfen einander. Ich bereue nicht einen dieser Momente und in seinen Augen lese ich, dass es auch ihm so ergeht, er jederzeit wieder diese Entscheidungen treffen würde.

      „Das hoffe ich.“ Lexi blickt zu mir auf, gähnt dann leise. „Entschuldigt.“

      „Nicht doch, Kindchen, es war ein anstrengender Tag.“ Auch Marsha gähnt nun. „Wir haben seit Tagen nicht richtig geschlafen, je mehr von diesen Parasiten draußen herumliefen, desto beunruhigender wurde es, sodass wir uns mit Wachehalten abgewechselt haben“, erklärt sie. „Doch auch wenn man nicht mit Wache dran war, fiel es einem schwer zu schlafen.“

      „Ich weiß, was ihr meint, man schläft trotzdem immer mit einem Auge offen.“ Ich deute auf die Decken, auf denen sie sitzen. „Wie ihr seht, haben wir ein Bett gebaut. Etwas provisorisch, doch es ist durchaus bequem. Legt euch ruhig hin und schlaft etwas, wir werden jetzt eh erstmal ein Weilchen fahren. In den Tüten sind Lebensmittel, Wasser und Medikamente. Da dürft ihr euch auch gerne dran bedienen.“

      Lexi mustert die Tüten neben sich, sieht dann wieder zu mir. „Danke, wirklich, Leute.“

      „Ihr gehört jetzt zur Truppe.“ Liam grinst wieder einmal. „Ruht euch wirklich etwas aus. Wenn wir anhalten müssen oder sonst irgendwas Spannendes passiert, wecken wir euch, keine Sorge. Aber momentan sieht alles ganz gut aus, die Straßen sind frei und ruhig.“

      Marsha und Lexi sehen sich an, dann legen sie sich unter die Decken, Bender in ihrer Mitte. Es dauert nicht lange, ehe sie alle drei friedlich schlafen. Ich habe mich wieder richtig hingesetzt, starre durch die Windschutzscheibe auf die freie Straße vor uns. Um uns herum ist noch immer Wald, ab und an sehe ich einen Parasiten zwischen den Bäumen. Mein linker Arm ruht auf der Mittelarmlehne, Liam löst seine rechte Hand vom Steuer und umfasst meine dann fest. So fahren wir mehrere Stunden schweigend, ehe ich ihn schließlich leise frage, ob ich ihn ablösen soll.

      Wir halten an und tauschen die Plätze. Keine halbe Stunde später ist es bereits dunkel geworden, Liam auf dem Beifahrersitz ebenfalls eingeschlafen. Nur selten sind wir in den letzten Tagen bei Nacht gefahren, meist hielten wir mitten auf der Straße an, versperrten das Auto und schliefen für ein paar Stunden. Doch nun, wo wir Marsha, Lexi und Bender bei uns haben, die Verantwortung für drei weitere Leben tragen, möchte ich keine unnötigen Pausen einlegen.

      In mir kommt der Wunsch auf, endlich Arkansas zu erreichen, Liams Familie wohlauf zu finden. Ich möchte nicht mehr unterwegs sein, nicht mehr in ständiger Bewegung und Angst. Die Vorstellung, mit den anderen einen sicheren Platz auf der Farm zu finden, gibt mir die Kraft, die ich brauche, um die Nacht durchzufahren. Zweimal muss ich wenden und mir auf der Karte eine neue Route suchen, doch ansonsten kommen wir gut voran. Das leise Atmen der anderen beruhigt mich, gibt mir fast das Gefühl, dass alles gut ist und bald wieder Normalität in unser Leben einkehren wird.

      Doch dann denke ich an den Jungen auf dem Interstate, den ich erschoss, das Mädchen in der Badewanne, das tote Ehepaar im Bett. Ich denke an all die Menschen, die zurückkamen, die wir nur Parasiten nennen, damit wir das Töten eher ertragen. Doch sie hatten alle einmal Namen, ein Leben, eine Geschichte. Ich kann kaum glauben, dass ein Virus für all das verantwortlich sein soll, all die Toten, all die verlorenen Seelen. Die Rede des Präsidenten kommt mir wieder in den Sinn, dass sie forschen und nach einem Gegenmittel suchen.

      Ich frage mich, ob es wirklich einmal etwas geben wird, dass all die Parasiten zurückverwandeln, sie wieder die Menschen werden lässt, die sie einmal gewesen sind. Und in diesem Zusammenhang stelle ich mir die unvermeidbare Frage, ob es dann bedeutet, dass wir kaltblütige Mörder sind. Wir haben auf unserem Weg bereits Dutzende von ihnen getötet, ihnen vielleicht die Chance auf ihr altes Leben genommen. Dann frage ich mich, ob es jemals etwas geben wird, dass dieses Virus vernichten kann und unsere Welt wieder die alte werden lässt. Ich bezweifle es irgendwie.

      Hinter mir ist ein leises Gähnen zu hören, als ich einen Blick über meine Schulter werfe, sehe ich Marsha sich langsam aufsetzen. Es ist noch immer dunkel, doch die Sonne wird bald aufgehen, es beginnt bereits zu dämmern. Sie schiebt eine Strähne aus ihrem Gesicht, sieht sich um. „Fährst du schon die ganze Nacht?“, fragt sie leise.

      „Liam hat eine Pause gebraucht“, erwidere ich, werfe einen Blick auf seine schlafende Gestalt.

      „Ich denke, dass wir alle eine brauchen.“ Marsha rutscht so nah wie möglich an die Mittelkonsole heran, lehnt sich dann seitlich an Liams Sitz. „Du siehst erschöpft aus, Kindchen.“

      Ich muss leise lachen. „Wir alle sehen erschöpft aus. Niemand wird in diesen Zeiten richtig schlafen können.“

      Marsha sieht erst zu Lexi und Bender, dann zu Liam. „Die drei anscheinend schon.“

      Wieder lache ich leise. „Liam schläft immer wie ein Stein. Ich hingegen wache bei dem leisesten Geräusch auf.“ Meine Brauen ziehen sich leicht zusammen. „Es ist mir ein Rätsel, wie er so tief schlafen kann.“

      „Er fühlt sich sicher in deiner Nähe“, sagt sie schlicht.

      „Ich fühle mich bei ihm auch sicher.“ Der bissige Unterton in meiner Stimme ist unüberhörbar.

      Nun lacht Marsha leise. „Oh, so habe ich das nicht gemeint, Kindchen. Ich bin mir ziemlich sicher, dass ihr ein tolles Team seid und beide einander tief vertraut.“ Ich nicke nur nachdrücklich. „Doch als du von Washington erzählt hast, dem Adam und seiner Clarissa und dass sie dich zurückließen … Ich habe gesehen, wie du ihn währenddessen angesehen hast. Du brauchst dir keine Sorgen zu machen, ich denke nicht, dass er dir das jemals antun könnte.“

      „Ich auch nicht. Eigentlich“, füge ich dann nach kurzem Zögern hinzu. „Ich weiß, dass er es nicht tun würde. Er hatte schon in mehreren brenzligen Situationen die Gelegenheit mich zurückzulassen und hat mir dennoch immer geholfen. Aber ich habe trotzdem Angst. Ich wurde schon einmal alleine zurückgelassen. Und es war einfach nur furchtbar.“

      Marsha seufzt leise. „Wir alle haben Angst alleine zu sein. Lexi ist ein tolles Mädchen, weißt du. Sie ist gerade erst achtzehn geworden, noch so jung. Sie ist immer so fröhlich gewesen, bis das alles hier begann. Jetzt hat sie ihre ganz Familie verloren und seitdem nur noch mich.“ Kurz schweigt sie. „Aber ich bin alt, ich habe nicht mehr die Kraft und die Schnelligkeit, um uns beide zu schützen. Ich wusste, dass wir die Stadt verlassen müssen, doch ich wusste auch, dass ich es nicht schaffen würde. Und der Gedanke sie alleine in dieser Welt zu lassen … Daher habe ich ihr gesagt, dass wir bleiben sollten, in meinem Haus. Sie verlässt sich auf mich, vertraut mir, so wie Liam dir.“

      Ich nicke langsam. „Es ist schwierig stark zu bleiben.“

      „Aber wir müssen stark bleiben, für sie.“

      „Ja.“ Kurz schweigen wir beide. „Ich werde auf sie aufpassen, Marsha“, sage ich dann leise. „Falls dir je etwas passieren sollte, werde ich auf sie aufpassen. Ich werde ihr schießen beibringen und ihr zeigen, wie sie sich verteidigen kann. Und dir auch, damit ihr beide für den Notfall bereit seid. Dafür bitte ich dich, dasselbe für mich zu tun. Ein Auge auf Liam zu haben, falls mir etwas zustoßen sollte.“ Wieder sehe ich zu seiner schlafenden Gestalt. „Er macht Witze, wirkt stets gefasst und gewappnet. Doch ich weiß, dass er Angst hat, große sogar. Er ist